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# taz.de -- Kirchenasyl gebrochen: Hamburg ist nichts mehr heilig
> Erstmals wird in Hamburg das Kirchenasyl gebrochen. Warum die Behörden
> gerade den 29-jährigen Afghanen ausgewiesen haben, bleibt im Vagen.
Bild: Gegen humanitäre Härte, hier eine Abschiebung in Ellwangen Baden-Württ…
Bremen taz | Erstmals wurde in Hamburg das Kirchenasyl gebrochen. In den
frühen Morgenstunden holte die Polizei am gestrigen Montag einen
29-jährigen Afghanen aus den Räumen der katholischen Gemeinde St.
Christophorus im Stadtteil Lohbrügge und schob ihn per Flugzeug nach
Schweden ab. Der Geflüchtete genoss seit August den Schutz der Kirche: Die
Gemeinde hatte ihn in der Tradition des Kirchenasyls aufgenommen, da er
sich, so Hamburgs Erzbischof Stefan Heße, „in einer überaus schwierigen
Lage“ befand.
[1][Kirchenasyl gilt als „ultima Ratio“], ein letztes Mittel gegen den
staatlichen Zugriff, wenn eine Kirchengemeinde im individuellen Fall
humanitäre Nöte sieht, die von der Rechtslage nicht erfasst werden.
Geflüchtete werden direkt in den sakralen oder kirchlichen Räumen
aufgenommen und von der Gemeinde verpflegt. In der Vergangenheit wurde
dieser kirchliche Schutz vom Staat meist akzeptiert – zuletzt mehrten sich
aber die Fälle, in denen die Behörden die Tradition nicht wahrten und die
Menschen mit [2][Polizeigewalt] aus der Kirche holten.
Der konkrete Fall bleibt im Vagen. Die Kirchengemeinde oder ihre Pfarrei
ist nicht zu sprechen, sondern verweist auf das Bistum, das auf Nachfrage
der taz nur in groben Linien erklärt, warum gerade dieser Geflüchtete in
der Gemeinde Obhut bekam. Schwerkrank sei der Afghane gewesen, heißt es,
und seit zehn Jahren auf der Flucht.
Angekommen war er 2015 in Schweden, so schreibt es die Hamburger
Innenbehörde, wo er bei Angehörigen unterkam und Asyl beantragte. Als der
Antrag im asylpolitisch immer restriktiver agierenden Schweden abgelehnt
wurde, reiste er im März 2024 nach Deutschland aus.
## Schweden heißt Afghanistan
Für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist die Sache klar:
Zuständig ist nach dem [3][Dublin-III-Abkommen] Schweden als Land des
ersten Asylantrags. Ein Argument, trotzdem in Deutschland zu bleiben, gibt
es aus Behördensicht für den Afghanen nicht.
Für die Kirche ist klar: Schweden, das bedeutet in diesem Fall Afghanistan,
und damit eine unzumutbare Härte. Ein Dossier der Kirchengemeinde sollte
den 29-Jährigen gegenüber dem BAMF verteidigen und eine Einstufung als
Härtefall ermöglichen. Die Bundesbehörde aber ließ sich durch die
Argumentation der Kirche nicht erweichen.
Eine Überraschung ist diese Entscheidung nicht: In 99 Prozent der Fälle, so
Dieter Müller von der ökumenischen [4][Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in
der Kirche“] im Mai im Gespräch mit der taz, bewertet das BAMF die
humanitäre Lage auch nach einer Intervention der Kirche nicht plötzlich
anders, es sieht also weiterhin keine Härtefälle. Das weiß und schreibt man
auch bei „Hamburgasyl“. Die Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher
Flüchtlingsarbeit beruhigt dennoch auf ihrer Website, dass „in fast allen
Fällen im deutschen Asylverfahren nach Fristablauf ein positives Ergebnis
erreicht werden“ konnte.
Neu nämlich ist nicht die Ablehnung des BAMF. Neu ist, dass die Politik
daraus teils harte Konsequenzen zieht und das Kirchenasyl räumt. Anfang
Januar war das in Schleswig-Holstein geschehen, [5][im Mai bei einer
russischen Familie im niedersächsischen Bienenbüttel]. Immer mehr Fälle von
Kirchenasyl-Brüchen zählt die ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl
in der Kirche“.
Die Hamburger Ausländerbehörde erklärt, ihr seien die Hände gebunden
gewesen: „Die Prüfung und Entscheidung in solchen Fällen obliegt
ausschließlich dem BAMF“, schreibt ein Pressesprecher. „Die
Ausländerbehörde Hamburg ist hier lediglich Vollzugsbehörde.“ Man sei
verpflichtet, die Rücküberstellung organisatorisch durchzuführen.
Die Begründung ist die gleiche, wie die der niedersächsischen
Innenministerin im Mai und der schleswig-holsteinischen
Integrationsministerin Aminata Touré im Januar. Doch allen drei
Begründungen steht eine Aussage des BAMF gegenüber: Eine Überstellung aus
kirchlichen Räumen sei grundsätzlich Entscheidung der für den Vollzug
zuständigen Behörde, heißt es von dort.
## Geflüchteter hat einfach Pech gehabt
Auf Nachfrage, was am Fall des Afghanen dabei für die Hamburger
Landesregierung anders war, als bei allen anderen Fällen von Kirchenasyl
zuvor, kann die Behörde keine Gründe nennen, die sich individuell auf
seinen Fall beziehen.
Vielmehr hat der Geflüchtete aus Schweden wohl einfach Pech gehabt, dass
nun auch hierzulande ein politischer Kurswechsel stattfindet: Es gebe,
schreibt der Behördensprecher auf Nachfrage, derzeit „große Anstrengungen�…
das Dublin-Verfahren durchzusetzen. „Wer will, dass die bestehenden Asyl-
und Aufenthaltsgesetze akzeptiert werden, muss sich gleichzeitig dafür
einsetzen, dass diese auch eingehalten werden“, schreibt er.
Aktuell leben 76 Menschen in Hamburg im Kirchenasyl. Das „letzte Mittel zur
Abwendung unzumutbarer humanitärer Härten“ (Erzbischof Heße) hat für sie
ein Stück weit an Sicherheit eingebüßt.
30 Sep 2024
## LINKS
[1] /Rekordhoch-beim-Kirchenasyl/!5989857
[2] /Schwerpunkt-Polizeigewalt-und-Rassismus/!t5008089
[3] /FAQ-zu-Migrationsdebatte/!6036279
[4] https://kirchenasyl.de/
[5] /Schutzraum-geraeumt/!6007697
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
## TAGS
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Schwerpunkt Stadtland
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Schwerpunkt Flucht
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