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# taz.de -- Ministerin verteidigt Abschiebung: Kirchenasyl braucht Asyl
> Nach der versuchten Abschiebung aus einem Kirchenasyl verteidigt
> Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata Touré das Vorgehen der
> Behörden.
Bild: Hält den eskalierten Abschiebeversuch von Schwerin für unproblematisch:…
Bremen/Rendsburg taz | Für unproblematisch hält Schleswig-Holsteins grüne
Integrationsministerin Aminata Touré die [1][versuchte Abschiebung von zwei
afghanischen Brüdern aus dem Kirchenasyl] in Schwerin. Diese hatte vier
Tage vor Weihnachten für Aufregung gesorgt. Das lag zum einen an den
Umständen: Die Situation war eskaliert und hatte in einem Polizeieinsatz
mit 40 Beamt:innen, darunter ein Spezialeinsatzkommando, geendet. Zum
anderen kommt es sehr selten vor, dass Behörden versuchen, Menschen
abzuschieben, die von Kirchengemeinden aufgenommen worden sind, um sie vor
Deportation zu schützen.
Im Innenausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags verteidigte die
Ministerin am Mittwochabend das Vorgehen der zuständigen Ausländerbehörde
in Kiel, wo die Familie zuletzt gelebt hatte. Die Behörde habe nur die
Entscheidung des Bundesamtes für Migration umgesetzt: Danach müssen die
beiden 19 und 22 Jahre alten Brüder zurück nach Spanien gehen – das Land,
in das sie zuerst in die Europäische Union eingereist sind – und dort Asyl
beantragen. Genauso wie ihre beiden minderjährigen Geschwister sowie der
Vater und die Mutter, eine Frauenrechtlerin und TV-Journalistin.
Das ist sachlich richtig – dennoch haben Ausländerbehörden einen Spielraum,
welche Akte sie als Erstes vom Stapel ziehen. Üblicherweise sind das nicht
die, bei denen [2][sich eine Kirchengemeinde für die Betroffenen einsetzt],
weil sie eine über das Gewöhnliche hinausgehende Härte erkannt hat. Das
sagte im Ausschuss sogar der Kieler Stadtrat Christian Zierau, in dessen
Verantwortungsbereich die Ausländerbehörde fällt. „Man muss schon sehr
genau zuhören, wenn Kirchen Asyl aussprechen.“
Nicht rechtzeitig ein Visum ausgestellt
Für die Härte hatten in diesem Fall deutsche Behörden gesorgt, genauer die
Dienststellen des Auswärtigen Amtes. Denn die sechsköpfige Familie war nur
deshalb im April 2023 aus dem Iran nach Spanien gereist, weil Deutschland
ihr – wie sehr vielen anderen – nicht rechtzeitig ein Visum ausgestellt
hatte. Und das, obwohl die Bundesregierung zugesagt hatte, sie im Rahmen
eines Programms für besonders gefährdete Afghan:innen aufzunehmen.
„Aber das hat die deutschen Behörden bei der Beurteilung des Falls nicht
interessiert“, sagt Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der
Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Genauso wenig habe das
Bundesamt für Migration die gesundheitlichen Beeinträchtigungen
berücksichtigt, die die Familie bewogen hatte, über Spanien – das schneller
ein Visum ausstellte – nach Deutschland zu reisen. Die Mutter sei nach
ihrer Ankunft im Mai hierzulande sofort operiert, der Zehnjährige wegen
seiner Herzprobleme behandelt worden, so Jochims.
Diese Informationen hatte die Nordkirche in einem sogenannten
Härtefall-Dossier für das Bundesamt zusammengestellt und um erneute Prüfung
gebeten – erfolglos. Daraufhin hatte eine zur Nordkirche gehörende
Schweriner Gemeinde die Familie Mitte Dezember aufgenommen. Sie war zu der
Einschätzung gekommen, dass eine Abschiebung nach Spanien nicht zumutbar
ist – und nicht notwendig gewesen wäre, wenn das Visum schneller erteilt
worden wäre.
Die Argumente, mit denen Schleswig-Holsteins Integrationsministerin Aminata
Touré am Mittwoch versuchte, die Darstellung der Nordkirche anzuzweifeln,
lassen sich nicht anders als krude bezeichnen. So behauptete sie, es habe
nur eine Zusage der Bundesregierung für die 47-jährige Mutter gegeben – der
Nordkirche liegt eine E-Mail des Auswärtigen Amtes vor, nach denen alle
sechs nach Deutschland kommen durften. Zudem geht aus der Aufnahmeanordnung
der Bundesregierung hervor, dass Ehegatten sowie minderjährige Kinder in
jedem Fall [3][aufnahmeberechtigt sind] – weitere Angehörige können
aufgenommen werden. Außerdem bezeichnete Touré die Annahme, es habe eine
Aufnahmezusage gegeben, als „fälschlich“. Schließlich sei diese nach der
Ausreise nach Spanien zurückgenommen worden. Das aber nur, weil das Land
die Aufnahme zugesagt hatte.
## Über 450 Kirchenasyle
Als „völliges Missverständnis“ bezeichnete die Flüchtlingsbeauftragte der
Nordkirche Jochims die Behauptung der Ministerin, das Kirchenasyl sei
„vereinbarungswidrig“ gewesen. Laut Aminata Touré hätte die Kirchengemein…
die Familie nicht aufnehmen „dürfen“, weil das Bundesamt für Migration na…
Sichtung des Härtefall-Dossiers nicht zu einer Neueinschätzung gekommen
war. Das würde ein Kirchenasyl ausschließen. Sie bezog sich dabei auf
Vereinbarungen zwischen dem Bundesamt für Migration und den Kirchen in
Deutschland. Sagte aber auch: „Wir kennen diese nicht.“
Tatsächlich haben sich die katholische und die evangelische Kirche seit
2015 mit dem Bundesamt für Migration auf Verfahrensabläufe und
Kommunikationsstrukturen verständigt, um zu Lösungen im Vorfeld eines
Kirchenasyls zu kommen. Dazu gehöre allerdings nicht, dass ein Kirchenasyl
beendet wird, wenn das Bundesamt für Migration das Härtefall-Dossier
ablehnt, sagt Jochims, die auch der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft
„Asyl in der Kirche“ vorsitzt. 99 Prozent dieser Härtefall-Dossiers würden
abschlägig beschieden – danach dürfte es also gar kein Kirchenasyl mehr
geben.
Die Arbeitsgemeinschaft schreibt auf ihrer Homepage von 455 aktiven
Kirchenasylen mit mindestens 643 Personen, davon etwa 105 Kinder. Es bleibe
„ein Akt des zivilen Ungehorsams“, hatte es Martin Dutzmann 2015
formuliert, der für die evangelische Kirche die Verhandlungen mit dem
Bundesamt geführt hatte.
Wie es für die afghanische Familie weitergeht, ist offen. Die Kieler
Ausländerbehörde hatte die Abschiebung kurz vor Weihnachten vorübergehend
ausgesetzt. Der Stadtrat Christian Zierau hatte dies mit der psychischen
Belastungssituation als Folge des Polizeieinsatzes begründet. In dessen
Verlauf hatte die verzweifelte Mutter gedroht, sich und den jüngeren
Kindern etwas anzutun, wenn ihre großen Söhne mitgenommen würden. „Diese
hoch belastete Familie braucht jetzt Ruhe und Sicherheit“, sagt Dietlind
Jochims. In den nächsten Wochen läuft die Frist ab, innerhalb der das
Asylverfahren in Spanien geführt werden muss.
11 Jan 2024
## LINKS
[1] /Abschiebung-einer-Familie-in-Schwerin/!5975779
[2] /Nach-Bruch-des-Kirchenasyls-in-Viersen/!5951116
[3] /Verschaerfte-Abschieberegeln/!5966568
## AUTOREN
Eiken Bruhn
Esther Geißlinger
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