# taz.de -- Podcast der taz Panter Stiftung: Migrationspolitik mitentscheiden | |
> In einem Monat bestimmt die EU ihr neues Parlament, Migration ist ein | |
> großes Thema im Wahlkampf. Doch steht eine andere Migrationspolitik zur | |
> Wahl? | |
Bild: Stavros Malichoudis, Redakteur bei We Are Solomon, und Lisa Schneider, ta… | |
Anfang Juni treten die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union an die | |
Urnen. Den Wahlkampf beherrschen die Themen Sicherheit und Migration – und | |
die Differenzen zwischen den Parteien sowie ihren Wählerinnen und Wählern | |
könnten nicht größer sein. | |
Die Frage, wie mit Migration umgegangen werden soll, birgt in der EU schon | |
lange Sprengkraft: Soll sie ihre Außengrenzen weiter abdichten? Wie sollen | |
Migranten und Geflüchtete verteilt werden? | |
Länder wie [1][Italien stehen für einen harten Antimigrantenkurs], | |
Deutschland eher für ein weiterhin uneingeschränkt geltendes Recht auf | |
Asyl. Italien wird rechts regiert – der Kurs des Landes überrascht daher | |
kaum. [2][Griechenland hingegen hat eine konservative Regierung] – und | |
fährt dennoch einen noch härteren Kurs. Auch die EU selbst setzt auf | |
Abschreckung und dabei auf Abkommen mit Staaten, die für | |
Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, etwa Tunesien. | |
Bringt wählen überhaupt etwas? Oder hat sich die Migrationspolitik längst | |
von den versprochenen Kursen der Parteien gelöst? | |
Darüber diskutieren Stavros Malichoudis, Redakteur beim griechischen Medium | |
We Are Solomon, das vor allem zu Migration arbeitet, Alessia Manzi, die für | |
italienische Medien über Migration und Menschenrechte berichtet, und Mirco | |
Keilberth, Tunesien-Korrespondent der taz und oft an den Ablegeplätzen der | |
Boote nach Europa unterwegs. Lisa Schneider, Redakteurin im | |
Ausslandsressort der taz und Co-Leiterin des Projekts der [3][taz Panter | |
Stiftung] zu Migration und den EU-Wahlen, moderiert. | |
Dieser Podcast ist der Auftakt zu einer Serie: Jede zweite Woche bis zur | |
EU-Wahl veröffentlicht die taz Panter Stiftung an dieser Stelle eine neue | |
Podcastfolge – und geht dabei verschiedenen Fragen zu den EU-Wahlen und | |
Migration nach. | |
Nachfolgenden findet Sie ein deutsches und gekürztes Transkript des | |
Podcasts zum Nachlesen: | |
Lisa Schneider (Moderation): Ich möchte mit einem Zitat aus einem Artikel | |
der taz beginnen, den wir vor kurzem veröffentlicht haben, denn es führt | |
direkt zum Thema der heutigen Diskussion ein. Ganz unverblümt ausgedrückt, | |
ob wählen überhaupt einen Unterschied macht oder ob die Migrationspolitik | |
im Grunde genommen nicht durch die Entscheidungen der Menschen beeinflusst | |
werden kann. | |
Wie ich und meine Kollegen in diesem Podcast erläutern werden, scheint es, | |
dass die Migrationspolitik in Europa nicht durch das Wahlverhalten der | |
Menschen oder die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung beeinflusst wird, | |
sondern im Wesentlichen durch Angst. Das ist eine starke These, denke ich, | |
und wir werden sie jetzt diskutieren. | |
In der taz haben wir berichtet: Italiens rechtsextreme Regierungschefin | |
Georgia Meloni steht derzeit besonders unter Druck, weil sie die Wahlen im | |
Herbst 2022 mit dem Versprechen gewonnen hat, die Zahl der in Italien | |
ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren. Stattdessensind seit ihrem | |
Amtsantritt so viele Flüchtlinge nach Italien gekommen wie seit mehreren | |
Jahren nicht mehr. Ich denke, das gilt für ganz Europa. Heute kommen | |
ähnlich viele Menschen wie im Jahr 2015, die Zahlen sind also nach einer | |
Phase niedrigerer Zahlen wieder gestiegen. | |
Alessia – glaubst du, dass Meloni oder ihre Partei, Fratelli d'Italia, bei | |
den EU-Wahlen dafür bestraft werden, dass sie dieses Versprechen, das sie | |
im letzten Wahlgang gegeben haben, nicht einhalten? | |
Alessia Manzi: Am 8. und 9. Juni ist Italien aufgerufen, seine Vertreter | |
für das Europäische Parlament zu wählen. Das wird in einem besonderen | |
Kontext stattfinden: Europa ist von Konflikten umgeben: dem Krieg mit | |
Russland und der Ukraine, dem Nahen Osten und dem Vormarsch des | |
Rechtspopulismus und des Neofaschismus in dem Geist, der die rechtsextremen | |
Parteien umgibt. Dazu zählt auch die aktuelle Regierung, die Präsidentin | |
Meloni für Fratelli d' Italia und Matteo Salvini von der Lega. | |
Beide italienischen Parteien gehören zu den Parlamentsgruppen der | |
Konservativen und Reformisten beziehungsweise der Identität und Demokratie. | |
Diese rufen zur Verteidigung der nationalen Interessen auf, während sie den | |
Kreuzzug gegen Asylbewerber und angebliche Islamisten vorbereiteten. Sie | |
tun das, um die wirklichen Probleme in den jeweiligen Ländern – wie etwa | |
die Arbeitslosigkeit – zu verbergen. Georgia Meloni sagt: „Ich bin Georgia, | |
ich bin Mutter. Ich bin Italiener, italienischer Geist. Also Schluss mit | |
der Umkehrung.“ Alles nur leere Slogans. Mit der Zeit ist ein Gefühl von | |
Feindseligkeit gegenüber Migranten in Italien entstanden, gegen diejenigen, | |
die an den Küsten oder auf den Straßen ankommen. Das wirkt sich zum | |
Beispiel auch auf die italienisch-slowenische Grenze aus. | |
Lisa Schneider: Abkommen, wie das zwischen Italien und Albanien, dienen | |
dazu, Migranten draußen zu halten. Die EU hat eine Reihe Abkommen | |
geschlossen – eines der jüngsten war das Abkommen mit Tunesien. Mirco, | |
könntest du uns ein wenig darüber erzählen, wie dieses Abkommen in Tunesien | |
aufgenommen wurde? Du hast sehr viel mit Migrant:innen zu tun, die | |
Tunesien Richtung Europa verlassen wollen – wie wird es von ihnen | |
angenommen? | |
Mirco Keilberth: Tunesien ist ein sehr interessanter Schmelztiegel und ein | |
Beispiel für die Probleme, die Europa versucht auf andere Länder | |
abzuwälzen. Seit 2014 können Menschen aus Westafrika, Migranten, aber auch | |
Studenten ohne Visum nach Tunesien kommen. Es gibt auch viele Menschen, die | |
aus Libyen geflohen sind, vor den Gefangenenlagern und den libyschen | |
Milizen, und einen sicheren Zufluchtsort in Tunesien gesucht haben. | |
Lange Zeit hat das ganz gut funktioniert – bis Anfang letzten Jahres hatten | |
wir eine Art Lösung in Tunesien. Die Leute hatten informelle Jobs, die | |
Migranten und die Flüchtlinge haben in der Dienstleistungsbranche in | |
Tunesien gearbeitet. Es gibt ein Asylgesetz, und es gab eine Art | |
Gleichgewicht zwischen der lokalen Bevölkerung und den Migranten. | |
Weder Italien noch Tunesien sind Endzielländer. Migration wird in Tunesien | |
als eine Art Verschwörung gegen die arabische und islamische Kultur, gegen | |
Nordafrika, bezeichnet. Das Ergebnis: Die Wut, die viele Tunesier über ihre | |
eigene soziale Situation haben, über ihr eigenes Versagen, über das | |
Versagen der Demokratie, wird übertragen. Wir sehen auch das Versagen von | |
zehn Jahren politische Parteien. Seit dem Arabischen Frühling, seit 2011, | |
hat sich das Leben, das wirtschaftliches Leben hier überhaupt nicht | |
verbessert. Und plötzlich gab es einen Sündenbock: die Migranten. Und ich | |
denke, es ist diese sehr miserable, sagen wir mal europäische, tunesische, | |
autokratische Zusammenarbeit, die zu Gewalt gegen Migranten geführt hat. | |
Ich bin recht oft in den Migrantengemeinschaften, in Sfax und in anderen | |
Küstenstädten in Tunesien, unterwegs: „Offensichtlich will uns niemand hier | |
in Tunesien, also lasst uns gehen“, sagen sie. Und sie verstehen nicht, | |
warum Europa sie in Tunesien festhalten will und die tunesischen Behörden | |
gewaltsam gegen die Gemeinschaft vorgehen, sie aber auch nicht mit dem Boot | |
ausreisen lassen wollen. In Libyen oder Tunesien wollen sie nicht bleiben. | |
Diese Abkommen sind keine Lösunge. | |
Lisa Schneider: Welche Auswirkungen hat das Abkommen mit Tunesien vor Ort? | |
Mirco Keilberth: Ich habe viele Menschen getroffen, die tief traumatisiert | |
sind und Freunde auf dem Meer verloren haben. Ich habe dutzende Menschen | |
getroffen, die miterlebt haben, wie jemand in der Wüste oder auf dem Meer | |
gestorben ist. Und selbst sie sagen: „Lass es mich noch einmal versuchen. | |
Warum lassen mich die tunesischen Behörden oder die libyschen Behörden | |
nicht noch einmal mein Leben riskieren?“ | |
Ich weiß, dass es aus europäischer Sicht absurd klingt, aber ich höre immer | |
wieder die gleichen Antworten: „Ich habe nichts zu verlieren. Ich kann | |
maximal 50 Dollar im Monat verdienen. Ein informeller Job in meinem | |
Heimatland. Ich habe nichts, was dort auf mich wartet“, sagen sie. Sie | |
nehmen auch die sehr brutale Art und Weise, wie die Behörden oder Milizen | |
in Libyen und Tunesien gegen sie vorgehen, oder auch in Marokko, in Kauf. | |
Das hat für sie keine Bedeutung, weil sie nur eine Richtung kennen: Norden. | |
Sie werden es versuchen und wieder versuchen. Menschen, die einen Job | |
gefunden haben – in Sfax, aber auch in Tripolis, Libyen – und ein sicheres | |
Umfeld, fangen an zu überlegen, ob sie bleiben und nicht ihr Leben | |
riskieren sollten, auch weil sie Kinder oder ihre Familie dabeihaben. | |
Dieses Abkommen bringt weder den Italienern noch den Europäern Sicherheit | |
noch den Menschen in Tunesien. Es sollte ein Abschreckungsfaktor sein, und | |
ich habe von einigen Mitgliedern des Parlaments gehört: So muss die | |
Situation aussehen. Weil die Leute, die jetzt in Tunesien sind, eine | |
Botschaft nach Westafrika zurückschicken sollen: Kommt nicht dorthin. Doch | |
das wird nicht passieren. Es fehlt das Bewusstsein, dass eine unmenschliche | |
Behandlung von Menschen nicht unbedingt bedeutet, dass sie nicht mehr | |
kommen werden. | |
Lisa Schneider: Ich möchte ein weiteres Zitat aus einem anderen Artikel der | |
taz hinzufügen. Es geht nicht nur um die Gefahr, auf dem Mittelmeer sein | |
Leben zu verlieren. Es geht auch darum, was einen dann erwartet, wenn man | |
kommt. Die Bedingungen, vor allem in Griechenland im Jahr 2015 oder an den | |
osteuropäischen Grenzen, sind auch heute noch ziemlich schlecht. | |
Etwa in Griechenland, das zum Beispiel seit 2020 mit einem neuen Gesetz den | |
Straftatbestand der Beihilfe zur illegalen Einreise regelt. Seitdem kann | |
praktisch jede Form der Hilfeleistung, der medizinischen Versorgung, des | |
Transports, der Seenotrettung innerhalb der Hoheitsgewässer oder der | |
Verteilung von Lebensmitteln strafrechtlich verfolgt werden, wenn das nicht | |
mit den Behörden abgestimmt ist. | |
Hilfe ist also theoretisch erlaubt, aber die Helfer müssen sich vorher mit | |
den Behörden abstimmen, die diese verweigern können. Das bedeutet also, | |
dass in Griechenland sogar Hilfe für ankommende Menschen, die Hilfe für | |
Menschen in Not, illegal sein kann. | |
Deshalb möchte ich dich fragen, Stavros: Griechenland hat keine | |
rechtsextreme Regierung, sondern eine konservative Regierung. Woher kommt | |
deiner Meinung nach diese Tendenz in Griechenland, gegenüber Migranten noch | |
härter zu sein als die italienische Regierung heute? | |
Stavros Malichoudis: Ich würde sagen, dass die derzeitige griechische | |
Regierung der Rhetorik zum Opfer gefallen ist, die sie vor ihrem | |
Amtsantritt verwendet hat. Vor 2019, als sie an die Macht kam, hat die | |
derzeitige Regierung der Nea Dimokratia eine Rhetorik verwendet, die sehr | |
gegen Menschen auf der Flucht war und die Menschen auf der Flucht | |
kriminalisiert hat. Als sie an die Macht kam, erwarteten die Wähler, die | |
ihr Vertrauen in diese Art von Rhetorik gesetzt hatten, von der Regierung, | |
dass sie das auch umsetzt. | |
Und die Regierung hat auch erkannt, dass diese Art von Rhetorik der | |
Regierung wirklich hilft, fester im Sattel zu sitzen. Das Gesetz, das du | |
erwähnt hast, ist in Kraft, aber auch zuvor gab es schon Fälle, in denen | |
Menschen kriminalisiert wurden, die Flüchtlingen bei der Ankunft im Land | |
geholfen haben. Etwa im Jahr 2015, als eine große Zahl von Menschen ins | |
Land kam. Im Jahr 2015 kamen über eine Million Menschen an und passierten | |
Griechenland, meist um nach Mittel- und Nordeuropa weiterzureisen. | |
Seit drei Jahren gibt es keine Such- und Rettungsaktionen mehr, keine NGOs, | |
die zum Beispiel auf den Inseln in der Nähe der Türkei bei Booten helfen. | |
Früher gab es verschiedene NGOs und Basisorganisationen, die geholfen | |
haben, aber das ist heute nicht mehr der Fall. Die Unterstützung von | |
Flüchtlingen bei ihrer Ankunft im Land wird kriminalisiert. Wir hatten | |
Fälle von NGOs, die wegen Schmuggels angeklagt wurden. Am Ende wurden die | |
Leute in allen Fällen für unschuldig befunden. Aber sie wurden vier oder | |
fünf Jahre lang verfolgt, und mussten sich all diesen rechtlichen | |
Bedrohungen stellen. Das hat dazu geführt, dass auch Kollektive, Menschen, | |
die sich mit den Menschen auf der Flucht solidarisch zeigen, zögerlicher | |
sind, was das Ausmaß der Hilfe angeht, die sie leisten. | |
Lisa Schneider: Ich möchte auf etwas zurückkommen, das du ganz am Anfang | |
gesagt hast: Die Regierung wurde von den Versprechen, die sie während der | |
Wahlkampagne gemacht hatte, angetrieben. Ich glaube, aus unserer Sicht ist | |
es oft so, dass die Leute kaum direkte Kontakte zu Migranten haben. Und | |
auch deshalb entscheiden sie sich, für die Nea Dimokratia oder die Fratelli | |
d'Italia zu stimmen. Sie haben nicht genug Kontakt zu den Menschen, um ihre | |
Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen und zu begreifen, warum sie nach | |
Europa kommen. Ändert sich das bei den Menschen auf den griechischen | |
Inseln, die täglich mit Migranten in Kontakt kommen? | |
Stavros Malichoudis: Ich stimme vollkommen zu. Es gibt ein sehr, sehr | |
großes Maß an Desinformation. Das hat sich über die Jahre überhaupt nicht | |
geändert. Ich erinnere mich daran, dass es vor zehn Jahren genauso war, und | |
heute ist es immer noch so. | |
Es gibt zum Beispiel die weit verbreitete Vorstellung, dass Menschen, die | |
nach Griechenland kommen, etwa Asylbewerber, sehr große finanzielle | |
Vorteile im Land erhalten. In der Praxis bekommen Asylbewerber etwa 75 € | |
pro Monat, was wir in einem europäischen Land niemals als substanziellen | |
finanziellen Anreiz bezeichnen würden. Es gibt eine sehr, sehr große | |
Desinformation, wenn es darum geht, worauf Drittstaatsangehörige Anspruch | |
haben und warum sie hierherkommen, und auch, was die Ankunftszahlen | |
betrifft. | |
Es wird immer so getan, als kämen so viele Menschen, dass Griechenland das | |
nicht schaffen kann. Die Zahlen sind zwar recht klein, etwa 11.000 Leute, | |
aber dafür kommen im Sommer etwa 30 Millionen Touristen nach Griechenland. | |
Und das ist gar kein Problem. | |
Es fehlt an objektiven Informationen. Eine Sache, die die Dinge in den | |
letzten Jahren wirklich nicht einfacher gemacht hat, ist, dass die | |
Regierung geschlossene Zentren geschaffen hat, in denen Menschen auf der | |
Flucht untergebracht werden. Diese befinden sich auf den Inseln. Sie werden | |
von der EU mit Millionen von Euro finanziert. Das führt zur Isolation der | |
Menschen. | |
Lisa Schneider: Das ist eine Parallele, die auch in Tunesien sowie in | |
Italien und wahrscheinlich auch in Deutschland gilt, dass es viele | |
Fehlinformationen und Meinungen gibt, die auf sehr selektiven Informationen | |
basieren. Bei den bevorstehenden Wahlen ist das vielleicht sogar noch | |
gravierender. Denn Migration wird eine große Rolle bei den EU-Wahlen | |
spielen – aber es gibt ein großes Maß an Desinformation, an | |
Fehlinformation. | |
Und man kann sogar sagen, dass die Menschen sehr nachrichtenmüde sind, mit | |
den beiden großen Kriegen in Nahost und der Ukraine. Das wäre eine Frage an | |
alle: Wie könnte man bessere Berichterstattung über Migration erreichen? | |
Mirco Keilberth: Nun, vielleicht kann ich mit der Sichtweise aus Tunis | |
beginnen, wo es zwei Gemeinschaften gibt, die nach Europa wollen: die der | |
Gastgeber, die dort ein besseres Leben will, und die Gemeinschaft der | |
Migranten und Flüchtlinge, wie die Sudanesen, die aus einem Krieg mit 7 | |
Millionen Flüchtlingen fliehen. Beide wollen einfach Geld verdienen und ein | |
normales Leben führen. | |
Europa will dieses Thema aus den Nachrichten vor der EU-Wahl heraushalten. | |
Sie wollen das Thema bis Juni, bis zum Sommer, aus den Medien fernhalten, | |
eben wegen der Wahlen. Ich habe es übrigens sogar von vielen Migranten | |
gehört: Sie verfolgen die Politik in Europa. Sie hören sich diese Dinge an. | |
Es ist ihnen nicht entgangen, dass sie nicht willkommen sind. | |
Es scheint für Politiker recht einfach zu sein, diese Sache aus der | |
Öffentlichkeit herauszuhalten. Und das ist buchstäblich das, was in | |
Tunesien passiert ist und auch auf den griechischen Inseln mit den | |
geschlossenen Lagern. Hier in Tunesien sind es die Olivenfelder in der Nähe | |
der Stadt Sfax, wo die Menschen aus der Öffentlichkeit, aus der | |
öffentlichen Meinung herausgehalten werden, lokale Journalisten dürfen da | |
nicht hin. Selbst Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen nicht | |
kommen. | |
Was hilft, wäre, eine offene Diskussion zu beginnen. Ich denke, es gab | |
bereits einen Weg, wie man damit umgehen kann. Es gab eine Art saisonale | |
Arbeitsmigration aus all diesen Ländern. Tunesier zum Beispiel gingen zur | |
Erntezeit oder zur Bausaison nach Sizilien, nach Italien, verdienten etwas | |
Geld, kehrten zurück und brauchten kein Visum. Und Menschen aus Afrika | |
südlich der Sahara kamen bis zum Arabischen Frühling nach Libyen und | |
Tunesien und arbeiteten in tunesischen Hotels, um etwas Geld zu verdienen. | |
Dann kehrten sie zurück und investierten dieses Geld in ihrem Heimatland. | |
Was nicht hilft, ist, dass es für Menschen aus Nordafrika so schwierig ist, | |
in Europa zu arbeiten. Und sie selbst sind von der Welt, die sie auf ihren | |
Smartphones, auf Youtube und in den sozialen Medien sehen, so abgeschnitten | |
wie nie zuvor. | |
Jeder in Nordafrika kann bezeugen, dass selbst nach den brutalen Maßnahmen, | |
die die Behörden in Libyen und Tunesien gegen Migration fahren, die Zahlen | |
nicht geringer werden. Es kommen mehr Migranten über die algerische und | |
libysche Grenze nach Sfax und mehr nach Tunesien als im letzten Jahr. | |
Obwohl Menschen berichten, dass sie in die Wüste abgeschoben wurden. Europa | |
und Tunesien müssen in diesem Fall also neue Wege finden, um Migration zu | |
legalisieren. | |
Alessia Manzi: Wir haben ein großes Problem mit den Informationen in | |
Italien, weil die Regierung die Flüchtlinge als „Invasion“ bezeichnet. Die | |
Regierung hat die Migranten zu einem Teil der Wirtschaftskrise gemacht. Das | |
ist aber nicht der Fall. Es gibt viele Fehlinformationen, und diese | |
Invasion wird konstruiert – sie existiert nicht. | |
Wenn man sich die Zahlen ansieht, sagt Meloni, dass einige Länder, wie | |
Tunesien, sicher sind. Man muss sich nur die Geschichten von den Fliehenden | |
anhören, um zu verstehen, dass das nicht der Fall ist. Oft ist zu lesen, | |
dass die jungen Leute mit teuren Smartphones ankommen. Doch das ist nicht | |
der Fall. Es ist eine Propaganda der Regierung von Meloni. | |
Lisa Schneider: Glaubst du, Stavros, dass dies auch auf die Situation in | |
Griechenland zutrifft? Denn wenn man in die Herkunftsländer der Migranten | |
schaut, die nach Griechenland kommen – etwa Syrien oder Afghanistan –, gibt | |
es vielleicht keinen aktiven Krieg mehr, aber einen schwelenden Konflikt. | |
Stavros Malichoudis: Ja, dies ist ein Fall in Griechenland. Wenn man die | |
letzten Jahre betrachtet: Die Menschen, die in Griechenland ankommen, | |
werden in sehr, sehr großer Zahl als Flüchtlinge anerkannt, weil sie | |
internationalen Schutz benötigen. Ein großer Teil kommt, wie bereits | |
erwähnt, aus Syrien und Afghanistan. Es kommen auch eine Reihe von Menschen | |
aus den Palästinensischen Gebieten an oder aus Eritrea oder Somalia. Doch | |
nach einem Asylantrag und einer langen Wartezeit werden sie meistens als | |
Flüchtlinge anerkannt. | |
Lisa Schneider: Es gibt im Grunde zwei Faktoren, einer in journalistischer | |
Hinsicht und einer in politischer Hinsicht, die dazu beitragen könnten, | |
dieses schwierige Thema der Migration ein wenig zu entwirren. Der erste | |
ist: Journalisten müssen Zugang zu Orten bekommen, der ihnen derzeit | |
verwehrt wird – etwa in bestimmten Ecken in Sfax oder in geschlossenen | |
Haftzentren in Griechenland. Darüber zu berichten, vor allem vor der | |
EU-Wahl, wäre wichtig, um andere Perspektiven zu geben. So könnte man der | |
Taktik, das Thema Migration aus der Vorwahlberichterstattung | |
herauszuhalten, etwas entgegensetzen. | |
Und das Zweite wäre – und das ist eine Aufgabe für Politiker –, legale We… | |
zu finden, wie Menschen ihren Lebensunterhalt in Europa verdienen können, | |
ohne das Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Vielen Dank an meine Kollegen | |
Stavros, Alessia und Mirco. | |
Freie Rede – Hören Sie den neuen Podcast der taz Panter Stiftung und seien | |
Sie am 29. Mai dabei, wenn wir den Podcast in der taz Kantine live | |
aufnehmen: [4][taz.de/stiftung/podcasts] | |
8 May 2024 | |
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