Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berlins CDU-Verkehrssenatorin Schreiner: Abtritt einer Glücklosen
> Manja Schreiner verliert ihren Doktortitel und zieht daraus eine
> berlinuntypische Konsequenz: Sie tritt als Senatorin zurück.
Bild: Titel weg, Amt weg: Verkehrs- und Umweltsenatorin Manja Schreiner (CDU) a…
Berlin taz | Berlins Verkehrs- und Umweltsenatorin Manja Schreiner ist am
Dienstag aufgrund von Plagiatsvorwürfen gegen ihre Doktorarbeit von ihrem
Amt zurückgetreten. Sie tue das, „um Schaden vom Berliner Senat abzuwenden“
und „nur schweren Herzens“, erklärte die CDU-Politikerin in einer ersten
Stellungnahme. Sie habe seit ihrem Amtsantritt vor ziemlich genau einem
Jahr „stets große Verantwortung gegenüber der Stadt und ihren Menschen
empfunden“, und ebendiese „Verantwortung gibt mir nun diesen Weg aus dem
Amt vor“, so Schreiner.
Parallel zu Schreiners Rücktrittserklärung hatte die Universität Rostock
bekannt gegeben, dass der Fakultätsrat einstimmig beschlossen habe,
Schreiner den ihr 2007 für ihre Dissertation „Arbeitnehmerberücksichtigung
im Übernahmerecht“ verliehenen Doktortitel wieder zu entziehen.
„Die Quantität der Fehler und ihre qualitative Gewichtung ließen den
Fakultätsrat zu dem Schluss kommen, dass das Werk den Ansprüchen an eine
wissenschaftliche Arbeit nicht genügt. Daher hätte Frau Schreiner der
Doktorgrad nicht verliehen werden dürfen“, teilte die Universität mit.
Bereits im Sommer vergangenen Jahres hatte es [1][Berichte über
Unregelmäßigkeiten und mögliche Plagiate in ihrer Dissertation] gegeben.
Schreiner selbst hatte daraufhin erklärt, dass sie ihre Doktorarbeit von
der Universität überprüfen lasse.
Unabhängig von ihrem Rücktritt: Mit dem jetzt vorgelegten Urteil will sich
Schreiner gleichwohl nicht abfinden. „Ich habe an keiner Stelle meiner
Dissertationsarbeit vorsätzlich getäuscht oder betrogen. Als Privatperson
werde ich deshalb gegen diese Entscheidung der Fakultät Widerspruch
einlegen“, sagte die gewesene Senatorin.
## Selbst Grüne zollen Schreiner Respekt für den Schritt
Wie Schreiner plagte am Dienstag auch den Regierenden Bürgermeister Kai
Wegner (CDU) das „schwere Herzen“, mit dem er in seinem Fall Schreiners
Bitte um Entlassung aus dem Amt entsprochen habe. Sie habe sich für eine
Verkehrspolitik eingesetzt, die alle Verkehrsteilnehmer:innen in den
Blick nehme, wiederholte Wegner das CDU-spezifische Mantra.
Ähnlich lobende Worte fand SPD-Fraktions- und Noch-Landeschef Raed Saleh,
der Schreiner nach ihrem Rücktritt „für die gute Zusammenarbeit im Senat
und mit den Fraktionen“ dankte. „Frau Schreiner hat sich stets dafür
eingesetzt, verschiedene Interessen auszugleichen und die Mobilitätswende
in Berlin weiter voranzutreiben“, teilte Saleh mit. Eine Aussage, der
Mobilitätswendebewegte vehement widersprechen.
Die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Antje Kapek, zollte
Schreiner dennoch Respekt für ihren Schritt: „Ich finde es ausgesprochen
respektabel, wie Frau Schreiner mit diesem Vorgang umgegangen ist und dass
sie ihr Amt umgehend und unaufgefordert niedergelegt hat.“ Nicht alle
Senatsmitglieder seien so konsequent gewesen, sagte Kapek mit einem
Seitenhieb auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), die sich 2021
nach Aberkennung ihres Doktortitels deutlich schwerer tat, vom Amt der
Bundesfamilienministerin zu lassen.
Jetzt treibe aber viele die Sorge um, dass es nach Schreiner noch
schlechter um die Mobilitätswende bestellt sein könnte. „Sie hat vieles
geprüft und gestoppt, aber andererseits nicht Tabula rasa gemacht, wie man
sich das bei manchen potenziellen Nachfolger:innen vorstellen könnte“,
so Kapek zur taz. Schreiner sei „keine klassische Hardlinerin und
empfänglich für Argumente“ gewesen.
## „Baulobbyistin“, Chaossenatorin, Prüfsenatorin
Das Fast-Lob der Grünen-Politikerin überrascht insofern, als ihre Partei
seit Schreiners Amtsantritt Ende April 2023 in der Regel kein gutes Haar an
der Politik der Senatorin gelassen hatte. Tatsächlich wirkte die als
„Baulobbyistin“ geschmähte ehemalige Hauptgeschäftsführerin der
Fachgemeinschaft Bau in Verkehrssachen häufig überfordert.
Auch deshalb galt Schreiner vielen von Beginn an als Fehlbesetzung.
Unbestritten war ihre interne wie externe Kommunikation
gewöhnungsbedürftig, manche sagen: katastrophal. Da mochte sie Kai Wegner
vor ihrer Ernennung zur Senatorin noch so sehr loben, sie stehe „für eine
unideologische, pragmatische Verkehrspolitik“.
Vor allem der [2][Planungsstopp für den Radwegeausbau] Mitte Juni
vergangenen Jahres sorgte für massive Proteste. Schreiner selbst sprach von
einer harmlosen „Atempause“, sie und eine in ihrem Haus eingerichtete
„agile Taskforce“ würden doch nur die bisherigen Planungen prüfen.
Als sie bald darauf auch noch anfing, die bisherigen, längst durchgeprüften
[3][Ausbauplanungen für das Tramnetz einer neuerlichen Überprüfung zu
unterziehen], hatte sie einen weiteren Namen weg. Schreiner war nun nicht
mehr nur „die Chaossenatorin“, sie war nun auch „die Prüfsenatorin“.
Die CDU-Politikerin bekannte sich bei alldem immer dazu, dass sie eben auch
[4][die Sorgen der Autofahrer:innen fest im Blick] habe: „Wenn ich
sage, wir nehmen hunderte Parkplätze wegen eines Fahrradweges weg, dann
heißt das aber nicht, dass die Autos sich just wegzaubern, die sind ja
immer noch da. Das bedeutet, dass es eben im Kiez drumherum einen enormen
Druck noch mal gibt und die Leute natürlich auch verzweifelt sind“, hatte
sie kurz vor dem Radwegestopp ihre Position deutlich gemacht.
## Keine Trauer bei Radverkehrs-Aktivist:innen
Womöglich gebietet es nur der parlamentarische Anstand, dass Antje Kapek
von den Grünen nach Schreiners Rücktritt nicht in diese Richtung
nachgetreten hat, die ihr zuvor regelmäßig im Abgeordnetenhaus und darüber
hinaus den Puls hochgetrieben hat. Weit weniger zurückhaltend äußerten sich
jedenfalls die außerparlamentarischen Radverkehrs-Aktivist:innen.
„Mit ihrem Radwegestopp hat Frau Schreiner der Verkehrswende ordentliche
Knüppel zwischen die Fahrradspeichen geworfen“, fasste etwa Karl Grünberg,
Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, die Position seines
Verbands gegenüber der taz zusammen. „Seitdem fahren wir den Radwegen
hinterher, die eigentlich schon längst hätten gebaut sein müssen.“
Schreiner hinterlasse „keine gute Bilanz“. Nötig sei jetzt wieder eine
Verkehrspolitik, „die Rad-, Fuß- und öffentlichen Personennahverkehr stärkt
und nicht das Auto fördert“, so Grünberg.
In dieselbe Kerbe schlägt der Verein, der mit der CDU-Politikerin seit
deren Amtsantritt im Dauerclinch lag: Mara Hasenjürgen von Changing Cities
sagte der taz, die Senatorin sei zwar nicht für ihre Verkehrspolitik
zurückgetreten, „Grund dafür hätte es aber allemal gegeben“.
Schreiner zeichne verantwortlich für „ein Jahr Blockade beim Ausbau von
Radwegen und zukunftsfähiger Verkehrsinfrastruktur“ und habe damit „enormen
Schaden angerichtet“. Berlin könne sich einen weiteren Stillstand in der
Verkehrspolitik nicht leisten.
## Nachfolgedebatte läuft auf Hochtouren
Komplett anders bewertet [5][Jens Wieseke, der Sprecher des
Fahrgastverbands IGEB], die nur einjährige Dienstzeit Schreiners. Er habe
„im Gegensatz zu vielen anderen ein eher positives Bild von ihr gehabt“,
die zurückgetretene Senatorin habe sich „durchaus für den ÖPNV engagiert,
genau zugehört und diskutiert“, sagte Wieseke zur taz.
Allerdings sei Schreiner „von den Alphamännchen in ihrer Partei dominiert“
worden, so Wiesekes Einschränkung mit Blick auf CDU-Fraktionschef Dirk
Stettner und den verkehrspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Johannes
Kraft. [6][Deren Ideen – etwa die einer Magnetschwebebahn durch Berlin –
halte er unverändert für „unrealistisch und dumm“.]
Zu möglichen Nachfolgern sagte der Fahrgastvertreter: „Wenn die CDU klug
wäre, würde sie jemanden wie Danny Freymark nehmen – der weiß, was er will
und kennt die Probleme“. Der klima- und umweltpolitische Sprecher der
CDU-Fraktion hatte sich in den vergangenen Wahlkämpfen mit Aussagen
hervorgetan, die auch mit einer grünen Mobilitätspolitik kompatibel waren.
Für die Nachfolge Schreiners werden Namen wie Johannes Kraft oder Dirk
Stettner in der Szene der Berliner Mobilitätsaktivist:innen dann
auch eher als Horrorszenario gehandelt. Nicht zuletzt Stettner war es, der
mit der Schwebebahndebatte oder Aussagen zu Tempolimits gern an Schreiner
vorbei [7][eine Art Parallel-Verkehrspolitik] gemacht hatte.
Von manchen wird auch Thorsten Schatz ins Spiel gebracht, Spandaus
CDU-Bezirksstadtrat für Bauen, Planen, Umwelt- und Naturschutz und enger
Vertrauter Kai Wegners. Und wo die Gerüchteküche schon mal angeworfen ist,
erklären wieder andere, Berlins CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein sei die
heißeste Anwärterin für den Posten.
Klein teilte am Dienstag mit, Schreiners Entscheidung verdiene großen
Respekt. „Die vor einem Jahr begonnene Wende hin zu einer fairen Mobilität
für alle trägt ihre Handschrift.“ Anders als Stettner und Kraft war Klein
bisher nicht durch größere verkehrspolitische Initiativen aufgefallen. Aber
im schwarz-roten Senat war das vor einem Jahr auch kein Hinderungsgrund,
Schreiner zur Senatorin zu machen.
30 Apr 2024
## LINKS
[1] /Berlins-Verkehrssenatorin/!5955311
[2] /CDU-SPD-Koalition-in-Berlin-jaehrt-sich/!6006606
[3] /Verlaengerung-der-M10/!5963570
[4] /Ausbau-der-Berliner-Radinfrastruktur/!5989898
[5] /Berliner-Nahverkehrslobbyist/!5995820
[6] /Berliner-Magnetschwebebahn/!5981486
[7] /Streit-um-Tempo-30-in-Berlin/!5982669
## AUTOREN
Claudius Prößer
Rainer Rutz
## TAGS
Manja Schreiner
Schwarz-rote Koalition in Berlin
CDU Berlin
Verkehrspolitik
Mobilitätswende
Umweltpolitik
Manja Schreiner
VBB
Kai Wegner
Manja Schreiner
Manja Schreiner
## ARTIKEL ZUM THEMA
Laute Autos in Berlin: Viel Lärm um – fast – nichts
Was kann man gegen aufheulende Motoren in den Straßen tun? Theoretisch gibt
es Mittel, praktisch passiert in Berlin herzlich wenig.
Neue Berliner Verkehrssenatorin: Ute Bonde schwebt ein
Mit der VBB-Chefin Ute Bonde macht der Regierende Bürgermeister eine
Verkehrsexpertin zur Senatorin – mit einem Hang zu Luftschlössern.
CDU-SPD-Koalition in Berlin jährt sich: Trübe Aussichten
Schwarz-Rot amtiert seit einem Jahr. Öffentlicher Streit wie bei
Rot-Grün-Rot bleibt bisher aus. Doch schwierige Milliardenkürzungen kommen
erst noch.
Ausbau der Berliner Radinfrastruktur: Autofreundlichkeit per Anweisung
Die CDU-geführte Verkehrsverwaltung hat ergänzende Regeln für den
Radwegebau aufgestellt. Sie sollen auch den Wegfall von Pkw-Stellplätzen
verhindern.
Berliner Magnetschwebebahn: Schreiner schwebt über den Dingen
Ein behördenübergreifendes Gremium beschäftigt sich mit Planungen für eine
Magnetschwebebahn – unter Ausschluss von Verkehrssenatorin Manja Schreiner.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.