| # taz.de -- Milliardeneinsparungen im Landeshaushalt: „Nur scheinbar Geld im … | |
| > Finanzsenator Stefan Evers (CDU) drängt nach immer weiter gestiegenen | |
| > Ausgaben im Landeshaushalt auf einen Mentalitätswechsel. | |
| Bild: Er drängt auf ein Umdenken bei der bisherigen Ausgabenpolitik: Finanzsen… | |
| taz: Herr Evers, wie kann es sein, dass es vor anderthalb Jahren Geld | |
| scheinbar im Überfluss gab und nun im Haushalt 2 Milliarden fehlen und | |
| [1][ab 2026 noch 3 weitere Milliarden]? | |
| Stefan Evers: Sie sagen es: Es gab nur scheinbar Geld im Überfluss. Der | |
| Staat hat auf die großen Krisen der letzten Jahre durchweg mit | |
| schuldenfinanzierten, milliardenschweren Ausgaben reagiert. Das gilt | |
| insbesondere für die Pandemie und ihre Folgen. Aber auch für den | |
| Ukrainekrieg und die Energiekrise. Wumms, Doppel-Wumms, Kanzler-Bazooka – | |
| diese Zeit ist vorbei. Wir haben jetzt die große Aufgabe, zu einem normalen | |
| Haushaltsniveau zurückzukehren. Wir können nicht jedes Problem mit immer | |
| mehr Geld lösen, das wir gar nicht haben. | |
| Aber die großen Notlagenprogramme sind vorüber, Wirtschaftshilfen beendet – | |
| dann müssten die Ausgaben doch längst wieder auf Vor-Pandemie-Niveau runter | |
| sein. Was sind denn die großen Posten, die für den Milliarden-Einspardruck | |
| sorgen? | |
| Wir beobachten in fast allen Bereichen nach wie vor deutlich höhere | |
| Staatsausgaben als vor der Pandemie. Es geht also ganz offensichtlich nicht | |
| um einzelne große Posten, die das Problem verursachen. Und nach wie vor | |
| bestehen auch Krisenprogramme fort. | |
| Ein Beispiel? | |
| Nehmen Sie das Neustart-Programm für die Wirtschaft. Oder die seit Corona | |
| extrem gewachsenen Zuwendungen für Träger aller Art. Oder den Kultursommer, | |
| auf den Berlin sich wieder freut. Ein Programm, mit dem Kulturschaffende in | |
| der Pandemie unterstützt werden sollten. Wir haben in der Corona- und der | |
| sich unmittelbar anschließenden Energiekrise Hunderte von Millionen | |
| zusätzlich aufgewendet für den öffentlichen Nahverkehr – 9-Euro-Ticket, | |
| 49-Euro-Ticket, das viel diskutierte 29-Euro-Ticket. | |
| Viel diskutiert, aber auch viel genutzt. | |
| All das geht auf Krisenprogramme zurück. Beispiele dieser Art finden sich | |
| viele. Wir sind also noch weit vom haushaltspolitischen Normalmodus | |
| entfernt. Hinzu kommen überall deutlich höhere Sach- und Personalkosten als | |
| in der Vergangenheit. | |
| Wobei das ja zwei Dinge sind: einerseits bewusste Entscheidungen, Geld | |
| auszugeben, andererseits der Zwang, mehr für Strom bezahlen zu müssen oder | |
| an einen höheren Tarifvertrag gebunden zu sein. | |
| Das ist so. Höhere Preise, höhere Zinsen, Deutschlands Wirtschaftsschwäche, | |
| der Arbeitskräftemangel: All das macht die Aufgabe noch größer und | |
| schwerer. Aber nicht weniger dringend. | |
| Das 29-Euro-Ticket kostet das Land Berlin zwar 300 Millionen. Aber das ist | |
| nur ein Bruchteil der einzusparenden fünf Milliarden. Wo ist der große | |
| Rest? Tatsächlich in vielen nicht mehr haltbaren oder zu großen | |
| Einzelposten? | |
| Das ist genau, was ich meine: Allein der Verzicht auf einzelne große | |
| Maßnahmen wird das Haushaltsproblem nicht lösen können. Deshalb stehen alle | |
| Senatsverwaltungen in der Verantwortung, einen Beitrag zu leisten. | |
| Da könnte man mutmaßen, dass nicht die Ausgaben zu hoch sind, sondern die | |
| Einnahmen schlicht eingebrochen sind. Falsch, war schon von | |
| Rechnungshofchefin Karin Klingen zu hören: Die Einnahmen hätten sich normal | |
| weiterentwickelt. Hat sie recht? | |
| Ja, vollkommen richtig. Berlin hat kein Einnahme-, sondern ein | |
| Ausgabenproblem. Die Steuereinnahmen haben sich trotz aller Krisen stabil | |
| entwickelt, Berlin hebt sich sogar positiv vom Bundestrend ab. Allerdings | |
| wird Deutschlands aktuelle Wachstumsschwäche auch an uns nicht spurlos | |
| vorbeigehen. Von der Steuerschätzung Ende dieser Woche erwarte ich keine | |
| Wunder, sondern eher schmerzhafte Mindereinnahmen. Das nur als Warnung an | |
| alle, die in Gedanken schon Wunschzettel schreiben. | |
| Es ist das Abrupte dieser Kehrtwende, das so verblüfft. Noch im August 2022 | |
| war ein taz-Interview mit Raed Saleh, damals wie heute SPD-Fraktionschef, | |
| [2][mit seinem Satz „Das Geld dafür ist da“ überschrieben.] Seine | |
| Argumentation: Der Staat sei der größte Inflationsgewinner und müsse das | |
| Geld wieder zurückgeben. | |
| Es hat leider keine wundersame Vermehrung unserer Steuereinnahmen gegeben, | |
| aber immerhin eine stabile Entwicklung. | |
| Für Grünen-Fraktionschefin Jarasch steht Berlin so schlecht da wie seit dem | |
| Bankenskandal von 2001 nicht mehr. | |
| Vermutlich hat sie vergessen, von wem wir Berlins Milliardendefizit | |
| übernommen haben. Aber das Schwarze-Peter-Spiel hilft keinem weiter. Es ist | |
| schlicht und ergreifend die Aufgabe dieser Koalition, die Staatsausgaben | |
| von ihrem historischen Höchststand auf ein beherrschbares Normalmaß | |
| zurückzuführen. | |
| Für manche ist das nur eine beschönigende Umschreibung für einen sozialen | |
| Kahlschlag. | |
| Normalisierung bedeutet nicht Kahlschlag. In den Jahren bis 2019, also vor | |
| der Ausgabenexplosion, hat der Sozialstaat ja auch funktioniert. Aber | |
| natürlich muss es eine Entwöhnung geben, die manche als schmerzhaften | |
| Entzug erleben. Letztlich helfen gesunde Staatsfinanzen aber allen. | |
| Die Krise 2002 hat einer Ihrer Vorgänger bereinigt, Thilo Sarrazin, der | |
| damals noch nicht viel kritisierter Buchautor, sondern geschätzter | |
| Finanzexperte war. So drastisch sein Sparpaket auch war: Sein | |
| Regierungschef Klaus Wowereit hat ihn stets gestützt. Wie ist es bei Ihnen | |
| und Kai Wegner: Haben Sie seine volle Unterstützung? | |
| Selbstverständlich. Der Regierende Bürgermeister kennt die Herausforderung, | |
| vor der wir stehen, und er weiß auch, dass wir diese Kraftanstrengung als | |
| Senat und Koalition nur gemeinsam meistern können. | |
| Zu den Methoden Sarrazins gehörte, seinen Kollegen im Senat vorzurechnen, | |
| wie sie ihr Budget besser ausgeben könnten. Über Sie war jüngst in | |
| Kommentaren zu lesen: Der Stefan Evers analysiert exakt, macht aber zu | |
| wenig Druck, wirklich zu sparen. | |
| Es gehört zum Stil der neuen Regierung, möglichst ohne öffentlichen Streit | |
| auszukommen. Sehr zum Leidwesen der Presse, wie ich weiß. Tatsächlich haben | |
| wir als Koalition gerade erst klare Verabredungen zur | |
| Haushaltskonsolidierung getroffen. Wir haben auch klare | |
| Sanktionsmechanismen beschlossen, damit sich niemand aus der gemeinsamen | |
| Verantwortung verabschieden kann. | |
| Klare Sanktionsmechanismen? Es fliegt doch keiner raus, der nicht spart, | |
| und muss es auch nicht aus dem eigenen Portemonnaie zahlen. | |
| Für das Jahr 2024 sind die einzelnen Senatsverwaltungen bekanntlich | |
| aufgefordert, noch 2 Prozent ihrer jeweiligen Budgets einzusparen. Wer | |
| dafür in den kommenden Wochen keine in der Koalition abgestimmten | |
| Vorschläge macht, dessen Haushalt wird von der Finanzverwaltung gesperrt. | |
| Das nenne ich einen klaren Sanktionsmechanismus. Ich bin aber nach wie vor | |
| optimistisch, dass alle ihre Hausaufgaben machen. Dann wird es dazu ja gar | |
| nicht erst kommen. | |
| Was dennoch weiter unverständlich ist: Noch Ende November ging die | |
| Koalition den völlig entgegengesetzten Weg und einigte sich darauf, den | |
| danach beschlossenen Haushaltsentwurf um 800 Millionen aufzustocken. Was | |
| Sie nun sagen, kann doch da nicht völlig unbekannt gewesen sein. | |
| Die Koalitionsfraktionen haben gleichzeitig wichtige Leitplanken für die | |
| Konsolidierung beschlossen. Und natürlich setzt das Parlament bei allen | |
| Haushaltsberatungen die abschließenden Akzente, dafür ist es ja | |
| Haushaltsgesetzgeber. Aber, ja, es ist auf allen staatlichen Ebenen ein | |
| Mentalitätswechsel erforderlich. | |
| Mentalitätswechsel war schon in der Krise ab 2001 ein zentraler Begriff. | |
| Ist das von Ihnen als Zitat gemeint, wenn Sie den nun auch verwenden? | |
| Nein. Es ist schlicht eine Bestandsaufnahme. Einen Mentalitätswechsel | |
| braucht übrigens nicht nur Berlin, das gilt auch für andere Länder und die | |
| Bundespolitik. Die Politik hat sich zu lange daran gewöhnt, auf Probleme | |
| reflexartig mit nicht vorhandenem Geld zu reagieren, anstatt sie | |
| strukturell zu lösen. | |
| Auch beim Sarrazin-Sparpaket gab es Proteste. Aber der Spruch „Die Kinder | |
| schrei ’n, die Eltern flieh ’n, da hinten kommt der Sarrazin“ wirkt im | |
| Vergleich zur heutigen aufgeladenen Atmosphäre wie Ponyhof. Haben Sie | |
| Angst, zur Zielscheibe zu werden? | |
| Die gesellschaftliche Polarisierung hat nichts mit der Berliner | |
| Haushaltslage zu tun. Die Ursachen dafür liegen sehr viel tiefer. Das | |
| zunehmende Misstrauen gegenüber der Politik liegt vielleicht auch darin | |
| begründet, dass kaum noch jemand den Mut zu unbequemen Entscheidungen | |
| aufbringt. Was die Staatsfinanzen angeht, bin ich überzeugt, dass die | |
| meisten Menschen es ganz gut fänden, wenn Berlin nicht mehr von ihrem Geld | |
| ausgeben würde, als es sich leisten kann. | |
| Bei denen, die das anders sehen, konzentriert sich der Ärger aber vor allem | |
| auf den Finanzsenator – also auf Sie. Wie fühlen Sie sich da persönlich, | |
| gerade nach [3][dem Angriff auf Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey]? | |
| Ich verurteile den Angriff auf Franziska Giffey und die zahlreichen | |
| Übergriffe auf politisch Engagierte auf das Schärfste. Ich glaube, dass wir | |
| alle besser auf die Art und Weise achten müssen, wie wir miteinander | |
| umgehen. Die Wortwahl ist da oft ganz entscheidend. Diskussionen werden | |
| inzwischen oft unerbittlich geführt. Für viele ist es überhaupt keine | |
| Option mehr, andere Positionen überhaupt zuzulassen. Es gibt auch kaum noch | |
| Fehler- und Verzeihenskultur. So bringt man Demokratie an ihren Kipppunkt. | |
| Gerade deshalb macht es mir Sorgen, wie Stimmungen angeheizt werden und | |
| sich dann in solchen Taten entladen. Hier müssen alle demokratischen Kräfte | |
| und Parteien entschieden dagegenhalten. | |
| 16 May 2024 | |
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