# taz.de -- Ecuador-Reise mit Risiken: Sauerbananen im Land der Vulkane | |
> Ecuador war wegen der Drogenmafia weltweit in den Schlagzeilen. Kann man | |
> dort noch hinreisen, noch dazu mit kleinen Kindern? | |
Bild: Aussicht vom Mirador Indichuris auf den Rio Pastaza | |
Dann sind sie weg, die Berge. Gerade haben sie sich noch aufgetürmt auf | |
beiden Seiten des Rio Pastaza, an dem wir im Bus entlangfahren. Bis zu | |
5.000 Meter hohe Gipfel rechts und links des Tales. Doch plötzlich räkelt | |
sich der Fluss, streckt seine Arme aus, beginnt zu mäandern in der sich nun | |
öffnenden Weite des Regenwaldes, die sich ab hier bis zur Tausende | |
Kilometer entfernten Mündung des Amazonas am Atlantik erstreckt. Was für | |
ein Anblick! | |
Und die Kinder? Der Große liegt neben mir in der letzten Reihe unseres | |
rappelvollen Überlandbusses. Der Kleine schläft auch, den Kopf auf dem | |
Schoß seiner Mutter, die neben mir sitzt. Ein Moment der Ruhe. Für uns | |
Eltern vor allem. Auch das ist viel wert bei so einer Reise. Mehr als ich | |
gedacht habe. Fast so schön wie der Blick auf die vorbeiziehende | |
Landschaft. | |
Zwei Monate lang wollen wir [1][durch Ecuador reisen]. Das Land erkunden, | |
in dem meine Frau länger gelebt hat. Die Chance nutzen, bevor der Große im | |
Sommer in die Schule kommt. Doch die Fragen, die uns in den Wochen vor dem | |
Abflug gestellt wurden, waren immer wieder: Geht das überhaupt? Mit zwei | |
Kindern im Kitaalter? Und gerade jetzt? | |
Mitte Januar war Ecuador weltweit in den Nachrichten. Der junge Präsident | |
[2][Daniel Noboa] hatte den Kampf gegen [3][die seit Jahren mächtiger | |
gewordene Drogenmafia] angekündigt. Die stürmte daraufhin ein TV-Studio in | |
der Hafenstadt Guayaquil und zeigte [4][mit gezogenen Waffen live im | |
Fernsehen ihre Stärke]. Aufstände in den Gefängnissen wurden angezettelt, | |
bei denen das Wachpersonal mehrere Menschen tötete. Noboa sprach vom „Krieg | |
gegen die Mafia“. | |
## Überraschende Leere | |
Wir hatten mit Freund:innen im Land telefoniert und schließlich | |
entschieden: Wir schauen es uns vor Ort an. Wenn es uns zu unsicher wird, | |
ziehen wir in eins der Nachbarländer. | |
Vor Ort stellt sich schnell heraus, dass das Land ruhig ist. Sehr ruhig. | |
Die Hauptstadt Quito überraschend leer. Außer uns sind Anfang Februar | |
praktisch keine anderen Tourist:innen zu sehen. Selbst in der sonst so | |
quirligen Altstadt sind die Straßen leer. Der Präsidentenpalast an der | |
zentralen Plaza der Altstadt ist von Absperrgittern umgeben, hinter denen | |
ein paar Soldaten stehen. Aber solche Schutzmaßnahmen sind in anderen | |
Ländern auch üblich. Man denke nur an die Gitter rund um den Reichstag in | |
Berlin. | |
Ungewöhnlich ist nur, dass die meisten Ladenbesitzer schon gegen 18 Uhr, | |
kurz vor dem hier am Äquator rasend schnellen Einbruch der Dunkelheit, die | |
Rollos runterlassen. Es gilt eine nächtliche Ausgangssperre ab 22 Uhr. Aber | |
so lange hält sich offenbar eh kaum jemand draußen auf. Wir schon mal gar | |
nicht. Wir reisen ja mit Kindern. | |
Richtig hart trifft der Ausfall des Tourismus die ärmeren Schichten. Für | |
viele Ecuadorianer:innen ist der Handel auf den Straßen | |
überlebenswichtig. Sie bieten das wenige, was sie haben, aus Kisten oder | |
Lastenfahrrädern, Bauchläden oder einfach aus der Hand den Passant:innen | |
an. Aber wenn es die geldbringenden Tourist:innen nicht gibt? | |
## Corona-Nachwirkungen | |
„Schon die Pandemie war schlimm für Ecuador“, erzählt eine Freundin meiner | |
Frau. Corona hatte Ecuador weltweit in die Schlagzeilen gebracht. In | |
Guayaquil, der größten Stadt des Landes, [5][wurden damals die Toten auf | |
die Straßen gelegt]. | |
Nun ist der Tourismus erneut nahezu komplett eingebrochen. Im Nebelwald von | |
Mindo sind wir in dem aus Bambus gebauten Hostal die einzigen Gäste, ebenso | |
oben an der fantastischen Lagune Quilotoa, die auf fast 4.000 Metern Höhe | |
im riesigen Krater eines erloschenen Vulkans liegt. | |
Der Besitzer des Hostals Café Tiana in Latacunga südlich von Quito stöhnt. | |
Gerade seien mal wieder 20 Gäste im Haus, sagt er. Das sei früher das | |
Minimum gewesen. Jetzt ist es ein glücklicher Ausreißer nach oben. Der Chef | |
nutzt die viele Zeit, um mal wieder seine beeindruckende Sammlung von | |
Bergschuhen zu sortieren. Die bietet er seinen Gästen für Wanderungen auf | |
den 5.900 Meter hohen Vulkan Cotopaxi an, dessen Silhouette mitsamt der | |
Rauchwolke über dem Gipfel man bei gutem Wetter vom Dach des Hostals sehen | |
kann. Nur kommt gerade fast niemand. Noch, sagt der Inhaber, könne er vom | |
Betrieb des Hostals leben, aber er habe Personal entlassen müssen. | |
Erinnert sich noch jemand an die Berichte über die Reisenden, die sich | |
getraut hatten, [6][während der Coronazeit nach Venedig zu fahren]? Und die | |
ansonsten komplett überlaufene Stadt leer und ruhig vorfanden? | |
So geht es uns jetzt in Ecuador. Wir buchen den Tagestrip auf den Cotopaxi. | |
Nicht auf den Gipfel, nur die Tour für Anfänger. Die soll auch mit Kindern | |
gehen. Man wird über eine extrem rumpelige Piste gefahren, vorbei an | |
Wildpferden, die in der Hochebene grasen, bis auf 4.500 Meter Höhe. Von | |
dort kann man in Serpentinen noch mal 300 Meter höher kraxeln bis zum | |
Refugio, einem Gasthaus unter den Ausläufern der Gletscherzungen. Nebelige | |
Wolken begleiten uns beim Aufstieg. | |
## Zur Attraktion werden | |
Früher, erzählt unser Guide, habe er diese Tour bis zu siebenmal pro Woche | |
gemacht, meist mit größeren Gruppen, nicht nur mit einer vierköpfigen | |
Familie. Jetzt sind wir seine ersten Kunden seit einer Woche. Längst sind | |
die Bergtouren für ihn nur noch ein Job neben anderen. | |
Die Luft ist dünn, die Jungs weigern sich, hier oben auch nur einen Meter | |
zu laufen. Der Fünfjährige lässt sich nach einigem Zureden erweichen und | |
versucht es immerhin an meiner Hand. Der Dreijährige streikt. Hartnäckig. | |
Bis unser Guide ihn mit einem Lächeln auf seine Schultern hebt und den Berg | |
raufträgt. | |
Überhaupt, die Kinder. Sie rauben uns, das darf man nicht verschweigen, den | |
letzten Nerv. Zwei Monate Reisen wird öfter als gedacht zur | |
Herausforderung. Weil die Erwachsenen lieber zum Wasserfall wandern wollen, | |
als schon wieder auf dem Spielplatz zu rutschen. Weil die Jungs nicht schon | |
wieder durch eine Altstadt schlendern wollen, sondern lieber auf den | |
Treppen des Hostals toben. Weil die heiße Schokolade aus dem hier | |
geernteten Kakao einfach zu schokoladig schmeckt. | |
Aber die Kinder öffnen uns auch Türen, sie sind Anlass für Gespräche mit | |
wildfremden Menschen, die uns zeigen, wie reizvoll das Unbekannte auch für | |
die Ecuadorianer:innen ist. Wir staunen über die Freundlichkeit der | |
Menschen, die Gipfel [7][der Anden], die [8][Flüsse im Regenwald] und | |
[9][die Riesenschildkröten] an der Küste. Sie staunen über die nicht ganz | |
so dunkle Haarfarbe unserer Jungen, die sie schnell mal mit dem Handy | |
fotografieren müssen. Wir gehören zu den ganz wenigen Gringos, die trotz | |
der schwierigen Lage durchs Land reisen, und werden selbst zur Attraktion. | |
## Ambivalenz bleibt | |
Die Jungs wiederum entwickeln hier und da sogar eine eigene Sprache für das | |
Erlebte. Was so zitronig schmeckt wie die gelben [10][Granadillas] mit | |
ihren glibberigen Kernen, heißt bei ihnen nur noch „Sauerbanane“. | |
Und es ist großartig, wenn man merkt, dass die Beschäftigung mit Land und | |
Leuten auch bei ihnen Spuren hinterlässt. Etwa wenn der Kleine sich die | |
Landkarte genau anschaut und nach dem Gang aufs Klo stolz verkündet: „Mama, | |
ich hab die Galapagosinseln gekackt.“ | |
Nach den zwei Monaten ist man geneigt, uneingeschränkt von diesem Land am | |
Äquator zu schwärmen. Dann liest man die Meldung, dass bei einer Schießerei | |
an einem der von uns gemiedenen Küstenorte fünf Tourist:innen ums Leben | |
kamen. Und es bleibt ambivalent. | |
29 Apr 2024 | |
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[10] https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BC%C3%9Fe_Granadilla | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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