# taz.de -- Kooperativen in Ecuador: Das Wunder von Salinas | |
> In den Hochanden stellen Bauern in einer Genossenschaft Käse her – nach | |
> Schweizer Rezept. Die Geschichte eines unverhofften Erfolgs. | |
Bild: Die Milch wird von den Bauern oft per Esel angeliefert, im Hintergrund di… | |
SALINAS taz | Maria Vargas treibt mit einem Zweig ihren mit einer | |
Plastikkanne bepackten Esel an. Sie trägt die traditionelle Kleidung der | |
Indigenen in den Anden, brauner Hut, bunter Rock, farbige Jacke. Eine | |
Stunde braucht sie von ihrem Haus bis zur Käserei in Salinas. Heute hat sie | |
nur acht Liter Milch dabei – eine ihrer drei Kühe gibt derzeit keine Milch. | |
3,50 Dollar bekommt sie dafür. „Ich mache das schon mein halbes Leben“, | |
sagt sie. | |
Hundert Bauern kommen jeden Morgen zu der modernen Käserei, die meisten mit | |
Eseln und wenig Milch, manche mit kleinen Lieferwagen und hundert Litern. | |
Die Kooperative in Salinas zahlt den Bauern 44 Cent pro Liter, ein Drittel | |
mehr als andere Käsereien in Ecuador. Der Preis ist fest. So schützt die | |
Kooperative die Kleinbauern vor den Schwankungen des Marktes. „Die Milch, | |
das ist Arbeit für uns alle“, sagt Maria Vargas. | |
Salinas ist eine propere florierende Kleinstadt in der Provinz Bolívar, | |
mehr als 3.500 Meter hoch in den Anden gelegen. Die Käserei verarbeitet | |
täglich bis zu 10.000 Liter Milch zu Frisch- und Hartkäse. Daneben gibt es | |
eine Spinnerei und eine kleine Schokoladenfabrik. Und ein Hotel. All das | |
gehört zur Kooperative Salinerito. Neuerdings haben im Ort ein paar | |
Pizzerien aufgemacht, ein zartes Aufkeimen von Tourismus in diesem | |
abgelegenen Ort, wo Jugendliche abends vor der Kirche Volleyball spielen. | |
Ein paar Tausend Menschen leben in der Region inzwischen von der | |
Genossenschaft Salinerito – Kleinbauern, Käseproduzenten, Weber, | |
Angestellte dieser Firmen. Die Kooperative betreibt zudem ein halbes | |
Dutzend eigene Ökoläden in der Hauptstadt Quito. Salinerito ist eine Marke | |
geworden. Ihren Qualitätskäse, in Ecuador Mangelware, und die Schokolade | |
vertreibt die Genossenschaft auch in Supermärkten im ganzen Land. | |
## Kein Paternalismus | |
Padre Antonio sitzt am Holztisch seiner Wohnküche in Salinas und isst | |
Ravioli mit Tomatensoße. Durch das Fenster fällt der Blick auf Tannen, | |
schroffe grüne Hänge, weidende Kühe. Der Padre hat weiße Haare, einen | |
weißen Bart, ein kantiges Gesicht, wache Augen. Und nicht viel Zeit. Ja, | |
ein Interview, gerne, aber nur beim Mittagessen. Er kommt gerade von einem | |
Vortrag vor Gemeindevertretern in der Provinzhauptstadt und muss noch zu | |
einer Bauernversammlung. Antonio Polo ist Priester in Salinas. Und mehr. | |
An der mit Bildern übersäten Holzwand seiner Wohnküche hängt ein großes | |
Foto, das in verblichenen Farben Salinas in den 1960er Jahren zeigt. Eine | |
Ansammlung ärmlicher, strohgedeckter Hütten. Die Kindersterblichkeit lag | |
bei fast 50 Prozent, der Analphabetismus bei fast 90. Kein Strom, kein | |
fließendes Wasser, keine Straße, die den Ort mit der Welt verband. Seit | |
Generationen regierten Großgrundbesitzer. Indigene und Mestizen schufteten | |
in der örtlichen Salzmine. Wer nicht spurte, riskierte, von den Besitzern | |
verprügelt oder gar totgeschlagen zu werden. Feudale Verhältnisse. Niemand | |
konnte sich vorstellen, dass es anders sein könnte. | |
Im Jahr 1971 gelangten Antonio Polo, ein gebürtiger Venezianer, und sein | |
Freund Bepi Tonello nach Salinas. Sie hatten nicht viel – außer | |
Enthusiasmus und die linkskatholische Überzeugung, dass soziale Befreiung | |
nottut. Und dass diese nicht durch Gewehre, sondern mithilfe von | |
Genossenschaften erkämpft werden kann. | |
„Die Großgrundbesitzer“, erinnert sich Samuel Ramirez, „haben Polo und | |
Tonello damals als Betrüger und Kommunisten beschimpft.“ Ramirez ist 75 | |
Jahre alt, hat sein Leben in Salinas verbracht und ist so etwas wie das | |
historische Gedächtnis des Ortes. Überzeugt hat Samuel Ramirez damals, dass | |
die Ausländer, die nur radebrechend Spanisch sprachen, sich nicht zu schade | |
waren, auch tagelang Steine zu schleppen, um eine Schule zu bauen. Polo und | |
Tonello kauften, unterstützt vom örtlichen Bischof und mit Krediten von | |
Hilfsorganisationen, Land und gründeten die Kooperative. | |
Der Beginn war schwierig. Vor allem die Indigenen waren skeptisch. „Die | |
Ärmsten waren die Letzten, die der Genossenschaft beitraten. Denn sie | |
brauchten die fünf Cent, die sie für die Arbeit in der Salzmine am Tag | |
bekamen. Wir dachten, es geht um Freiheit von den Grundbesitzern. Doch für | |
die Armen war Essen das Wichtigste“, sagt Bepi Tonello, der inzwischen in | |
Quito bei der FEPP, einer Organisation für Entwicklungshilfe, arbeitet. | |
## Ein Schweizer Käser half aus | |
Im Jahr 2017 ist Salinerito eine Erfolgsgeschichte. Die Käserei war die | |
Erste, die von einer Kooperative betrieben wurde; heute gibt es in ganz | |
Ecuador mehr als hundert Käsereien in genossenschaftlichem Besitz. Derzeit | |
muss Salinerito noch Kredite in Höhe von einer Million Dollar begleichen. | |
Doch das ist für einen Betrieb dieser Größe nichts Ungewöhnliches. | |
Der wirtschaftliche Aufstieg gelang durch persönliche Initiative und mit | |
Unterstützung von außen: Geld und Know-how. Der Deutsche Entwicklungsdienst | |
(DED) schickte Förster und Tierärzte, Brot für die Welt, Welthungerhilfe | |
und andere Organisationen halfen mit Krediten. Der Schweizer Sepp Dubach | |
brachte den Indigenen bei, wie man Käse herstellt. Sein Porträt hängt noch | |
immer in manchen Häusern in Salinas. Es gab in den letzten vierzig Jahren | |
kaum einen Monat, in dem nicht Entwicklungshelfer oder Freiwillige | |
aushalfen. | |
Es gibt viele solche Projekte in armen Regionen der Welt, aber sie krepeln | |
vor sich hin oder scheitern gar. Was ist in Salinas anders? | |
Bepi Tonello glaubt, dass der dauerhafte Erfolg mit dem Verzicht auf | |
Paternalismus zu tun hat. „Die Armen zu beschenken, ist falsch“, sagt er. | |
„Wir haben den Leuten in Salinas viel zugemutet – mit unserer europäischen | |
Disziplin und unseren Forderungen. Manchmal sagten sie dann: Lasst uns in | |
Ruhe mit euren Projekten. Aber wir haben die Mentalität der Leute hier | |
immer geachtet. Das war entscheidend.“ Fordern und anerkennen | |
gewissermaßen. | |
Sein Freund, der Padre, sieht in der komplexen Produktion einen Grund für | |
den Erfolg. „Wenn ich Rohmilch verkaufe, kann ich keinen Käse mehr machen. | |
Wenn ich Früchte verkaufe, keine Marmelade. Wenn ich ein Schwein verkaufe, | |
kein Fleisch.“ Nur wer Rohstoffe verarbeitet, schafft Wertschöpfungsketten. | |
Das klingt simpel. Aber das ist es nicht. Zu vermarkten, was man | |
produziert, erfordert Planung, Flexibilität, Verwaltung, ein verlässliches | |
Netz von Zwischenhändlern. Und Verlässlichkeit. Manches ging in Salinas | |
schief. Die Spinnerei, das Geschäft mit der Wolle von Schafen und Alpakas, | |
war zehn Jahre lang defizitär. Maschine kaputt, Qualität mies, falsche | |
Kostenkalkulation. Erst seit 2015 macht sie Gewinn. | |
## Allmähliche Professionalisierung | |
Salinerito besteht aus vielen kleinen Genossenschaften. Die Käsereien in | |
den verschiedenen Orten produzieren und vermarkten ihre Produkte selbst. | |
Manche erfolgreich, andere weniger. Die Genossenschaft hat sich, wie viele | |
Alternativbetriebe in Europa, professionalisiert. Auch heute entscheidet | |
die Basis über Wichtiges, aber die Treffen fallen kürzer aus. Es existiert | |
ein organisatorisches Geflecht, das die Interessen der verschiedenen | |
Einzelkooperativen ausbalanciert. Die Gehälter sind sachte differenziert. | |
Niemand bekommt weniger als den Mindestlohn von 380 Dollar im Monat, die | |
Chefs erhalten um die tausend Dollar. | |
„Unser System hier kann nicht hundertprozentig solidarisch sein. Wir leben | |
in einer globalisierten Welt. Aber die Produktionsmittel gehören immerhin | |
der Gemeinschaft“, sagt Padre Antonio. | |
Und die Zukunft? Der Padre hofft auf Tourismus in Salinas. Viele wollen | |
nicht nur die Schönheit der Anden oder den nahe gelegenen Chimborazo, den | |
höchsten Berg Ecuadors, bestaunen, sondern auch das wundersame Gedeihen des | |
Projekts Salinerito verstehen. „Die Leute hier sehen sich auch mit den | |
Augen der Besucher und vergessen deshalb nicht, dass dies hier etwas | |
Besonderes ist“, sagt Padre Antonio. | |
Es gibt Ungewissheiten. Niemand in Salinas vermag zu sagen, wie es ohne den | |
77-jährigen Padre, Herz und Kopf des Projekts, weitergehen wird. Außerdem | |
gilt seit dem 1. Januar das Freihandelsabkommen zwischen Ecuador und der | |
EU. Im Nachbarland Kolumbien hat der liberalisierte Handel mit den USA und | |
der EU Tausende Kleinbauern ruiniert. In dem Deal Ecuadors mit der EU sind | |
zwar lange Übergangsfristen für Käse vereinbart. Doch ob der | |
Salinerito-Käse danach gegen Goudabilligimporte bestehen wird? Schon jetzt | |
kann die EU 1.500 Tonnen Milch jährlich zollfrei nach Ecuador exportieren. | |
Das wird den Milchmarkt in Ecuador verändern und womöglich gefährden, dass | |
Kleinbauern wie Maria Vargas weiterhin 44 Cent für den Liter Milch | |
bekommen. | |
Der Padre und Beppe Tonello sind optimistisch. Salinerito ist als Marke | |
fest etabliert und in der Ökonische einigermaßen geschützt. Und wenn nicht? | |
Wenn Europa zerstört, was es in Salinas mit erschaffen hat? Das wäre eine | |
teuflische Wendung. | |
12 Feb 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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