| # taz.de -- Grüner Wirtschaftsminister: Macht, Mensch, Habeck | |
| > Vom beliebtesten Politiker Deutschlands zum Sündenbock. Hat sich Robert | |
| > Habecks Erfolgsrezept überlebt? | |
| Berlin/Karlsruhe/Fuchstal taz | Robert Habeck sitzt auf dem Sofa seines | |
| Büros im Bundestag. Das Sakko hat er ausgezogen, die Ärmel seines weißen | |
| Hemdes hochgekrempelt, und hinter ihm bricht die Hölle auf. Dort, an der | |
| Wand, hängt ein Druck seines Lieblingsmalers Jonas Burgert, ein düsteres | |
| Bild mit grellen Farben: In einem bunten Trümmerfeld krümmen sich gerupfte | |
| Gestalten, von denen es die meisten Richtung Bildmitte zieht, wo sich ein | |
| tiefer Abgrund auftut. Eine Figur fällt schon. Endzeitstimmung. | |
| Davor sitzt Habeck und zählt auf, was ihm alles Hoffnung macht. Die Löhne | |
| steigen wieder stärker als die Preise. Die Energie wird billiger, der | |
| Ausbau der Erneuerbaren zieht an. Sogar Friedrich Merz redet nicht mehr | |
| ganz so schlimm über die Grünen, manchmal zumindest. | |
| Auch der Fährhafen Schlüttsiel, [1][wo Demonstrant*innen im Januar | |
| Habeck drohten und ihn am Verlassen der Fähre hinderten], scheint weit weg. | |
| Das Gespräch findet am Donnerstag vor einer Woche statt. Es ist im | |
| Hintergrund vereinbart und zitiert werden darf nur, was Habecks Sprecher | |
| freigibt. Aber so viel lässt sich sagen: Endzeitstimmung verbreitet er | |
| nicht. Wer nur dem Vizekanzler zuhört, könnte meinen, der Tiefpunkt sei | |
| überschritten – für das Land und für seine Partei. | |
| Besser wäre es für ihn. Seit zweieinhalb Jahren sind die Grünen in der | |
| Regierung. In dieser Zeit haben sie zwei Extreme erlebt. Erst war die | |
| Partei in Umfragen gleichauf mit der Union stärkste Partei, Habeck der | |
| beliebteste Politiker im Land, dann stürzte er ab. Seit über einem Jahr | |
| stecken der Wirtschaftsminister und seine Partei in der Rolle des | |
| Sündenbocks fest. Und je länger es dabei bleibt, desto drängender werden | |
| die Fragen: Hat sich Habecks Erfolgsrezept überlebt? Ist er gescheitert? | |
| ## Mancherorts wird Habeck richtig gehasst | |
| „Bündnispartei“ hat Habeck sein Konzept genannt. Auf politische Gegner | |
| zugehen, neue Milieus erschließen, den eigenen Leuten Kompromisse zumuten | |
| und bei alldem auf die Macht der Argumente und der eigenen rhetorischen | |
| Begabung vertrauen – diese Methode hat gut funktioniert, als die Zeiten | |
| günstig waren. In den ausgehenden Merkel-Jahren gab es im Land eine zarte | |
| Lust auf Veränderungen. Fridays for Future brachte Millionen auf die | |
| Straßen. Die Grünen konnten sich, so schien es, ihre Koalitionspartner | |
| aussuchen. | |
| Jetzt sind die Zeiten nicht mehr günstig. Corona, Krieg und Krisen stecken | |
| den Deutschen in den Knochen. Veränderung gilt als Bedrohung, auf rechten | |
| Demos sind die Grünen das Feindbild, mancherorts wird Habeck richtig | |
| gehasst. [2][CDU-Chef Merz hat die Partei zum „Hauptgegner“ erkoren] und | |
| räumt nur gelegentlich ein, dass Schwarz-Grün als Notlösung denkbar bleibt. | |
| In der Koalition macht auch die FDP Opposition gegen Habecks Partei. | |
| Zum Beispiel beim Klimaschutzgesetz, das die Ampel in dieser Woche nach | |
| langem Streit beschlossen hat – Kritiker*innen sagen: entkernt. | |
| [3][FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing hatte gewarnt, wegen der | |
| Grünen drohten den Deutschen Autofahrverbote]. Jetzt zwingt das Gesetz | |
| einzelne Ressorts wie Wissings Ministerium nicht mehr, die Klimaziele zu | |
| erreichen. „Es ist wichtiger, die Praxis voranzubringen, als an Zielen in | |
| der Theorie festzuhalten“, sagt Habeck dazu. | |
| Das Gesetz kommt zusammen mit dem [4][Solarpaket, einem weiteren Projekt | |
| aus Habecks Haus], das Schwung in den Ausbau der Photovoltaik bringen wird. | |
| Aber auch darin kassiert der Minister eine Niederlage. Einen Bonus für in | |
| Deutschland produzierte Solarmodule, der die Hersteller gegen chinesische | |
| Konkurrenz schützen soll, gibt es nicht. | |
| Auch sonst sieht es schlecht aus für seine Projekte. [5][Das | |
| Bundesverfassungsgericht hat etliche seiner Pläne zerschossen, als es im | |
| Herbst den Klimafonds kassierte]. Für viele Vorhaben fehlt jetzt das Geld, | |
| und aus dem nächsten Haushalt, dafür sorgen die Liberalen, wird es auch | |
| nicht kommen. | |
| Everybody's Darling, das wird Habeck so schnell nicht wieder. Und | |
| entscheidender als das: Wie viel grüne Politik die Grünen in Zukunft noch | |
| umsetzen können, ist vollkommen offen. | |
| Ein Freitagmorgen im Februar, mitten in einem Wald in Oberbayern. Der | |
| Himmel ist blau und die Luft kalt. Erwin Karg, Bürgermeister der Gemeinde | |
| Fuchstal, hat dem Bundeswirtschaftsminister einiges zu erzählen. Habeck hat | |
| einen Tross Journalist*innen mitgebracht. „Wir stehen hier im Windpark | |
| der Gemeinde Fuchstal Teil II“, sagt Karg. Drei Windräder sind in Bau, vier | |
| weitere drehen sich in der Nähe schon seit acht Jahren. Eine Seltenheit in | |
| Bayern. | |
| Die Kosten, so der parteilose Bürgermeister, tragen die Gemeinde und ein | |
| Teil der 4.200 Einwohner*innen. Beim ersten Windpark seien die Leute noch | |
| skeptisch gewesen. Inzwischen werfe die Anlage aber Geld ab. „Der Gewinn | |
| bleibt im Dorf“, sagt Karg. Auch deshalb hätten sich an der zweiten Anlage | |
| jetzt viel mehr Fuchstaler*innen beteiligt. | |
| Habeck hört zu und lächelt. Machmal klappt es doch noch: In [6][einem der | |
| schwärzesten Landstriche Deutschlands] haben sich die Menschen von der | |
| Energiewende überzeugen lassen. | |
| ## Zu grün oder nicht grün genug? | |
| Kurze Zeit später wird Habecks Wagenkolonne auf dem Weg zum nächsten Termin | |
| aufgehalten. Dutzende Protestierende stehen am Straßenrand, neben sich | |
| haben sie Traktoren aufgereiht. „Weg mit der Ampel“, steht auf einem | |
| Plakat, „verpisst euch!“ brüllen einige. Der Dienstwagen des Vizekanzlers | |
| muss abbremsen. Habeck selbst haben Beamte des BKA vorher in einen | |
| Polizeikombi verfrachtet und an den aufgebrachten Landwirten | |
| vorbeigeschleust. | |
| Die Situation ist neu für einen, der mal stolz davon erzählte, wie er als | |
| Landespolitiker mit Protesten vor seinem Ministerium umging: „Ich nahm den | |
| Hintereingang, aber nur, um durch den Haupteingang wieder rauszugehen.“ | |
| Es ist nicht so, dass die Grünen vollkommen unbeteiligt in diese Lage | |
| geraten sind. Habeck hat es seinen Gegner*innen durch Fehler leicht | |
| gemacht. Der größte wiegt so schwer, dass auch ein Jahr später fast jedes | |
| Gespräch über den Vizekanzler irgendwann darauf kommt: das | |
| Gebäudeenergiegesetz, das das Ende fossil betriebener Heizungen einleiten | |
| sollte – ein überfälliges Projekt für den Klimaschutz. | |
| Die Bild-Zeitung, der damals ein unfertiger Entwurf zugespielt wurde, | |
| machte daraus „Habecks Heiz-Hammer“. Wochenlang tobte eine Kampagne gegen | |
| ihn. Aber auch jenseits der Falschinformationen und Übertreibungen waren | |
| Habecks Pläne strenger, als es die Mehrheit im Land für erträglich hielt. | |
| Konzepte für eine soziale Abfederung konnte er zu Beginn nicht vorweisen. | |
| Eine Angst, der Herausforderung finanziell nicht gewachsen zu sein, machte | |
| sich im Land breit. | |
| Habeck reagierte anders als sonst. Er beschwerte sich im Fernsehen | |
| beleidigt über die Durchstecherei. Als für ihn „prägendes politisches | |
| Ereignis“ bezeichnet er das alles heute. Und sagt, er habe zu viel gewollt. | |
| Folgt man seiner Interpretation, dann war bis dahin für ihn in der Ampel | |
| viel möglich. Die Legislaturperiode war noch jung. Vor allem aber | |
| ermöglichten der Krieg in der Ukraine und der plötzliche Gasmangel in der | |
| Energiewende ein hohes Tempo. Sogar Christian Lindner lobte die | |
| Erneuerbaren als „Freiheitsenergien“. | |
| In diesen Monaten öffnete sich ein politisches Fenster, Habecks Ministerium | |
| schob den Ausbau von Wind- und Solarenergie massiv an. Dass er zudem eine | |
| Energiekrise verhinderte, niemand im Winter frieren musste, brachte ihm | |
| viel Anerkennung ein – auch wenn der Preis hoch war: Habeck besorgte Gas | |
| von arabischen Diktatoren und forcierte den Bau von LNG-Terminals. Manche | |
| warfen ihm Opportunismus vor. | |
| Gegen Ende des ersten Krisenwinters vor etwa drei Jahren, so erinnert es | |
| Habeck, änderte sich die Stimmung dann wieder. „Aus dem Gefühl: ‚Die | |
| Energiekrise nötigt uns schwierige Zugeständnisse ab‘ wurde wieder: ‚Das | |
| ist ein grüner Eingriff fürs Klima‘“, sagt er. „Das war zu viel für die | |
| Menschen. Das habe ich nicht ausreichend realisiert.“ | |
| Heißt im Umkehrschluss: Ab da lieber zurück zur bekannten Methode. „Ich | |
| würde für mich und die meisten Grünen reklamieren, dass wir unsere Position | |
| nicht von der grünen Beschlusslage ableiten, sondern vom Diktat der | |
| Wirklichkeit“, sagt er. Pragmatisch, unideologisch, kompromissbereit – so | |
| will er jetzt wieder klingen. | |
| ## Um ein pragmatisches Image bemüht | |
| Er hat an diesem Image seit Beginn seiner Karriere gearbeitet. Es gibt da | |
| zum Beispiel eine Anekdote aus seiner Zeit als Landesminister in | |
| Schleswig-Holstein, die immer wieder als Erfolgsgeschichte erzählt wird. An | |
| der Ostsee gab es einen Streit zwischen Naturschützer*innen und | |
| Fischer*innen, bei dem es um den Schutz von Schweinswalen ging, die sich in | |
| Stellnetzen verhedderten und starben. Durch einen Kompromiss, so die | |
| gängige Erzählung, habe Habeck den Konflikt befriedet. Das Problem daran: | |
| Das verbindliche räumliche und zeitliche Verbot der Stellnetzfischerei, das | |
| laut Koalitionsvertrag möglich gewesen wäre, war damit vom Tisch. | |
| Auch gut zehn Jahre später klingt Ingo Ludwichowski, der damals | |
| Geschäftsführer beim Naturschutzbund Schleswig-Holstein war, keineswegs | |
| befriedet. „Man hätte politisch für den Meeresschutz viel mehr erreichen | |
| können“, sagt er sofort am Telefon. Und dass dieses Versäumnis die | |
| Naturschutzpolitik an der Ostsee bis heute präge. Aber „sachliche | |
| Notwendigkeiten“ seien nicht Habecks Priorität. Hört man Ludwichowski zu, | |
| kann man die Empörung darüber noch immer spüren. | |
| Ein bisschen so klingt es auch, wenn grüne Bundestagsabgeordnete heute über | |
| Habeck und seine Rolle in der Ampel sprechen. Weniger scharf natürlich, sie | |
| schätzen ihn in der Fraktion für alles, was er hat und ihnen sonst fehlt. | |
| Niemand will ihn loswerden. Trotzdem wünschten sich viele, er wäre ein | |
| bisschen mehr wie sie. „Robert kämpft nur, wenn es um sein Haus geht. Das | |
| ist nervig“, sagt ein Fraktionsmitglied. Habeck scheue zu oft Konflikte in | |
| der Koalition, was umso schwerer wiege, da die anderen immer seltener ein | |
| Pardon kennen. Dass er verhandeln könne, zeige er nur in ausgewählten | |
| Fällen. „Er kann härter gegen die eigenen Leute sein als gegen die | |
| anderen.“ | |
| Wie machtbewusst er dabei vorgehen kann, hat Habeck beim Bundesparteitag | |
| der Grünen im vergangenen November gezeigt. Es ist Samstagabend, schon fast | |
| 22 Uhr, als Habeck in der Karlsruher Messehalle wieder auf die Bühne | |
| steigt. Die Grünen haben in der Regierung einer massiven Verschärfung des | |
| Asylrechts zugestimmt, jetzt schlägt [7][die Grüne Jugend mit einem Antrag] | |
| zurück. Sie will den grünen Minister*innen und Fraktionen verbieten, | |
| weiteren Verschärfungen zuzustimmen. „Jeden Tag ertrinken Menschen auf dem | |
| Mittelmeer“, hat Katharina Stolla, die Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, in | |
| den Saal gerufen. Die Stimmung ist aufgeheizt. | |
| ## Grüne auf Regierungslinie gezwungen | |
| Er wolle nicht drohen, „aber macht euch klar, dass das kein Spiel ist, | |
| sondern Konsequenzen hat“, sagt Habeck. „Der Antrag der Grünen Jugend ist | |
| ein Misstrauensvotum, das in Wahrheit sagt: Verlasst die Regierung.“ | |
| Inhaltlich argumentiert Habeck nicht. Er baut Druck auf, maximalen Druck. | |
| Der Antrag der Grünen Jugend wird mit klarer Mehrheit abgelehnt. Der | |
| Vizekanzler hat die Partei auf Regierungslinie gezwungen. | |
| Habeck tut überrascht, wenn man ihn mit Klagen aus der Partei konfrontiert, | |
| er mache zu viele Kompromisse. „Ich habe immer das Gefühl, dass ich zu viel | |
| will“, sagt er. Aber es passt doch ins Bild, dass es von den | |
| Koalitionspartnern oft heißt, mit dem Habeck könne man reden – nur seine | |
| Partei sei verbohrt. Und während seine Bilanz als Fachminister ordentlich | |
| ist, sehen die Ergebnisse der Grünen in anderen Bereichen, die er als | |
| Vizekanzler mit verhandelt hat, durchwachsener aus. Verkehr, Umwelt, | |
| Soziales, Migration: Alles Felder, in denen sich manche durchaus mehr | |
| Unterstützung von ihm gewünscht hätten. | |
| Oder zumindest weniger Gegenwind. Dass Habecks Pragmatismus auch | |
| kompromisslose Züge annehmen kann, zeigt ein öffentlicher Machtkampf aus | |
| dem vergangenen Sommer. Familienministerin Lisa Paus hatte Christian | |
| Lindners Wachstumschancengesetz die Zustimmung verweigert, um die | |
| FDP-Blockade gegen die Kindergrundsicherung aufzubrechen. Live im ZDF fiel | |
| ihr der Vizekanzler ein paar Tage später in den Rücken. „Da mag Frust oder | |
| falsche Taktik eine Rolle gespielt haben“, das sei aber von Paus „kein | |
| Glanzstück gewesen“. Und: „Wir versauen es uns permanent selbst.“ Ein | |
| Machtwort. | |
| Kurz darauf passiert das Wachstumschancengesetz das Kabinett, über die | |
| Kindergrundsicherung wird bis heute gestritten. Bei den Grünen ist seitdem | |
| deutlicher, wer das Sagen hat. „Klar ist, dass Robert Habeck die Grünen in | |
| der Bundesregierung führt“, sagt einer aus seinem Umfeld. | |
| ## Was ist mit den Stammwähler*innen? | |
| Ähnlich gelagert wie die Debatte über Pragmatismus und Kompromisse ist die | |
| Diskussion darüber, auf wen die Grünen im nächsten Bundestagswahlkampf | |
| abzielen sollen. Öffentlich verweisen sie zwar tapfer darauf, dass sie als | |
| einzige Ampel-Partei in Umfragen kaum verloren hätten und immer noch nahe | |
| bei den 14,7 Prozent der letzten Wahl stünden. Und es stimmt ja: Im | |
| Vergleich stehen die Grünen gut da. Das Problem liegt aber in den Zahlen | |
| jenseits der Sonntagsfrage. Laut Umfragen des Instituts für Demoskopie | |
| Allensbach sagten vor fünf Jahren nur 25 Prozent der Bevölkerung, dass | |
| ihnen die Grünen kaum oder gar nicht gefallen. Heute sind es 56 Prozent. | |
| Als ideologisch wird die Partei von zwei Dritteln wahrgenommen. Das Image, | |
| das Habeck unbedingt hinter sich lassen wollte, ist zurück. Der Ruf der | |
| Verbotspartei ist es auch. | |
| Nichts zeigt so deutlich wie diese Zahlen, dass Habecks Versuch, auf neue | |
| Milieus auszugreifen, gescheitert ist. Zumindest für den Moment. Viel | |
| spricht dafür, dass es vor allem die Stammwähler*innen sind, die die | |
| Grünen stabil halten. | |
| Im linken Parteiflügel ist die Sorge verbreitet, dass diese unter all den | |
| Kompromissen auch noch wegbrechen könnten, dass man stärker um sie kämpfen | |
| und vor allem sie im nächsten Wahlkampf mobilisieren müsse. Aber das wäre | |
| nicht die Methode des Vizekanzlers. | |
| – Herr Habeck, die Kernwähler*innen könnten doch tatsächlich verloren | |
| gehen? | |
| „Das ist richtig. Aber wenn das die strategische Weiche ist – konzentriere | |
| ich mich darauf, 14 Prozent grünes Milieu zu halten, oder gehe ich ins | |
| Risiko für den Anspruch, nach oben offen Unterstützung für eine | |
| progressive, ökologische Politik zu organisieren – dann gehe ich ins | |
| Risiko.“ | |
| – Können die Grünen wirklich noch neue Milieus erschließen? | |
| „Ja, das geht weiterhin, auch wenn es schwieriger geworden ist. Da bin ich | |
| mir sicher.“ | |
| – Passt diese Methode noch in die Zeit? | |
| „Das ist mein politischer Anspruch. Ich und wir haben das Ziel, Mehrheiten | |
| zu schaffen. So will ich agieren. Und ich sehe auch die Chance, dass das | |
| wieder gelingen kann.“ | |
| Spätestens im Herbst steht die Entscheidung darüber an, ob die Grünen für | |
| die Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin | |
| aufstellen werden. Baerbock oder Habeck? Das sei derzeit gar keine Frage, | |
| heißt es in der Bundesgeschäftsstelle. Aber das stimmt natürlich nicht. | |
| In der Partei wird die Personalie bereits heftig diskutiert. „Derzeit läuft | |
| es auf Habeck raus“, ist bei den Grünen häufig zu hören. Die Gründe sind | |
| mehrschichtig. Baerbock bekam 2021 ihre Chance und hat sie nicht genutzt. | |
| Auch ihr gutes Verhältnis zur Basis hat in den vergangenen Monaten | |
| gelitten. Baerbocks Zustimmung zur EU-Asylreform und zu Waffenexporten nach | |
| Saudi-Arabien haben einen Teil der Partei verstört. | |
| Außerdem hat Habeck in den letzten Monaten nicht nur nach innen sein | |
| Standing als Vizekanzler ausgebaut. Machtbewusst stößt er auch in die | |
| kommunikative Lücke, die Bundeskanzler Olaf Scholz lässt. In Videos äußert | |
| Habeck sich nicht nur zu Klimaschutz oder Industriepolitik, sondern erklärt | |
| auch entschieden und nachdenklich seine Sicht auf den Angriff der Hamas auf | |
| Israel, Waffenlieferungen in die Ukraine oder Demonstrationen gegen | |
| Rechtsextremismus. Das verleitet seine Fans regelmäßig zur Anmerkung, dass | |
| er kanzlertauglich sei. Unter den Videos finden sich aber auch | |
| Hass-Kommentare. | |
| ## Verdammt viele Wenns | |
| Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin, betont, wie | |
| interessant Robert Habeck als neuer Politikertypus sei. Dass er öffentlich | |
| nachdenke und Fehler eingestehe, sei bemerkenswert, sagt sie am Telefon. | |
| „In einer krisenhaften Zeit, die viele Ad-hoc-Entscheidungen verlange, ist | |
| das ein interessanter Ansatz.“ Das Problem, das ihr derzeit am meisten | |
| Sorgen mache, sei eine in Teilen beobachtbare Debattenunfähigkeit in der | |
| politischen Mitte. Da sei ein „Brückenbauer“ wie Habeck viel wert. | |
| Habeck selbst äußert sich bislang nur verschwommen zur K-Frage. Dass er | |
| will, daran aber zweifelt kaum jemand. Eine Vision für den Wahlkampf hätte | |
| er schon. Das Gespräch in seinem Büro ist fast vorbei, sein Mitarbeiter | |
| drängt zum nächsten Termin. Doch einen Gedanken möchte Habeck unbedingt | |
| noch aussprechen. | |
| Zwischen dem Weiter-so der einen und den Deindustrialisierungs-Dystopien | |
| der anderen sei ein Korridor für die Grünen reserviert, sagt er auf dem | |
| Sofa unter der Endzeitvision seines Lieblingsmalers. „Den Leuten ehrlich zu | |
| sagen, da ändern sich Dinge, da kann man nicht drüber hinweggehen, der | |
| Übergang wird nicht einfach. Aber wir gehen Schritt für Schritt voran und | |
| kriegen das dann gelöst.“ | |
| Einem verunsicherten Land Zuversicht eintrichtern – das könnte der Kern | |
| seines Wahlkampfs werden. „Da sehe ich mich“, sagt Habeck noch. | |
| Der Plan könnte aufgehen, wenn die Zeiten bis dahin wirklich wieder besser | |
| sind. Wenn sein Debakel um das Heizungsgesetz vergessen ist. Wenn seine | |
| Energiegesetze wirken. Wenn die Wirtschaft anzieht. Wenn die Menschen das | |
| auch auf dem Konto sehen. Und wenn die Ampel mit einem gnadenlosen | |
| Sparhaushalt nicht selbst alles zerstört. Verdammt viele Wenns für unruhige | |
| Zeiten. | |
| Im Kleinen hat Habeck für solche Zwecke seit der 11. Klasse einen Trick, | |
| die Geschichte hat er selbst in einem Buch aufgeschrieben. Damals wollte | |
| die Theater-AG Brechts „Dreigroschenoper“ aufführen. Habeck sollte Jonathan | |
| Jeremiah Peachum spielen, einen zynischen Machtmenschen, und verlor die | |
| Rolle fast, weil er so schlecht sang. Ein Freund riet ihm: „Du musst dir | |
| vornehmen selbstbewusst zu sein, um selbstbewusst zu werden.“ | |
| Autosuggestion also. Für die Schulaufführung hat es gereicht. | |
| Robert Habeck ist [8][Gast beim taz lab], dem Kongress der taz, am 27. | |
| April im taz-Haus an der Berliner Friedrichstraße. | |
| 22 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Landwirte-gegen-Robert-Habeck/!5983747 | |
| [2] /Friedrich-Merz-im-Kulturkampf/!5941492 | |
| [3] /Verkehrsminister-droht-mit-Fahrverboten/!6004125 | |
| [4] /Etwas-mehr-Solarenergie-in-Deutschland/!6004640 | |
| [5] /Karlsruher-Urteil-zu-Klimafonds/!5969800 | |
| [6] /Gruene-in-Bayern/!6001186 | |
| [7] /Gruenen-Parteitag-und-Migrationspolitik/!5975548 | |
| [8] /programm/2024/tazlab2024/de/events/1419.html | |
| ## AUTOREN | |
| Sabine am Orde | |
| Anja Krüger | |
| Tobias Schulze | |
| ## TAGS | |
| Robert Habeck | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Ampel-Koalition | |
| GNS | |
| Gebäudeenergiegesetz (GEG) | |
| Robert Habeck | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Europawahl | |
| Kanzlerkandidatur | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| EZB | |
| taz lab 2025 | |
| Ampel-Koalition | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Arbeitszeit | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Robert Habeck tritt ab: „Ich will nicht wie ein Gespenst über die Flure lauf… | |
| Ex-Vizekanzler Habeck verlässt den Bundestag. Die Grünen hätten ihre neue | |
| Rolle nun gefunden, sagt er der taz. Und dann gibt er Julia Klöckner noch | |
| eins mit. | |
| Klimaschädliche Subventionen: Wie der Staat die Klimakrise bezahlt | |
| Die Regierung steckt Milliarden in klimaschädliche Aktivitäten – vor allem | |
| im Verkehr. Ein Gutachten dazu hat sie lange unter Verschluss gehalten. | |
| Fehleranalyse der Grünen nach EU-Wahl: „Geht raus!“ | |
| Die Grünenspitze präsentiert ihrer Partei acht Lehren aus dem Absturz bei | |
| der Europwahl. Sie wollen mehr zuhören – und nicht zurück in die Nische. | |
| Baerbocks Verzicht auf Kanzlerkandidatur: Elegant und gerade richtig | |
| Habeck und die Grünen können sich bei der Außenministerin bedanken: Ihnen | |
| bleibt jetzt genug Zeit, den Wahlkampf vorzubereiten. Es gibt genug zu tun. | |
| Verein inkonsequenter Fußballhasser: EM ist überall | |
| Die Deutschlandfähnchen sind wieder da und Robert Habeck trägt Pink. Aber | |
| haben sich die Grünen eigentlich für eine Kanzlerkandidatur qualifiziert? | |
| Sinkende Inflation: EZB? Nein, Habeck war's! | |
| Die Europäische Zentralbank schmückt sich mit fremden Federn. Dem | |
| Wirtschaftsminister ist zu verdanken, dass die Inflation wieder sinkt. | |
| Das war das taz lab 2024: Alles Osten, oder was? | |
| Das taz lab 2024 im Berliner taz Haus und in den Livestreams. Über alles, | |
| was derzeit im Osten passiert – und wieso Osten immer eine Frage der | |
| Perspektive ist. | |
| Aufweichung des Klimaschutzgesetzes: Anton Hofreiter sagt Nein | |
| Der ehemalige Grünen-Fraktionschef nimmt Volker Wissing in die | |
| Verantwortung. Deshalb stimmt er im Bundestag gegen die Aufweichung der | |
| Klimaziele. | |
| Umweltorganisation widerspricht Minister: Habeck beim Klima zu optimistisch | |
| Agora Energiewende kritisiert die CO2-Prognosen der Bundesregierung für | |
| 2030. Die Annahmen zu Wetter, Wachstum und Windausbau seien zu positiv. | |
| DFB-Wechsel von Adidas zu Nike: Habeck, der Standortpopulist | |
| Der Wirtschaftsminister hat den Ausrüsterwechsel kritisiert, er wünscht | |
| „mehr Standortpatriotismus“. Doch Habeck ist beim Joggen selbst kein | |
| Patriot. | |
| Streiks und Arbeitszeiten: Habecks Ressentiments | |
| Der Vizekanzler meint, es werde zu viel gestreikt, und weniger Arbeit sei | |
| keine gute Idee. Bedenklich, wenn ein Grüner das sagt. |