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# taz.de -- Baerbocks Verzicht auf Kanzlerkandidatur: Elegant und gerade richtig
> Habeck und die Grünen können sich bei der Außenministerin bedanken: Ihnen
> bleibt jetzt genug Zeit, den Wahlkampf vorzubereiten. Es gibt genug zu
> tun.
Bild: Diesmal darf er: Ex-Kanzlerkandidatin Baerbock mit ihrem designierten Nac…
Bei den Grünen läuft bekanntlich nicht immer alles rund, aber das haben sie
mal gut hinbekommen: Annalena Baerbock ist am Mittwochabend auf die
elegantest denkbare Art [1][aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur
ausgestiegen]. Sollten sowohl sie als auch Robert Habeck den Job wollen, so
hatte es der Parteivorstand schon vor zwei Jahren festgelegt, dann würden
die Mitglieder per Urabstimmung entscheiden. Das aber hätte bedeutet, dass
sich die zwei wichtigsten Kabinettsmitglieder im Herbst einen
parteiinternen Wahlkampf lieferten, statt sich aufs Regieren zu
konzentrieren.
Eine Lose-Lose-Situation. Keiner der beiden hätte dabei geglänzt; Baerbock
vermutlich noch weniger als Habeck. Sie hatte ihre Chance bei der letzten
Bundestagswahl. In Beliebtheitsrankings konnte sie seitdem nicht
entscheidend an ihm vorbeiziehen. Die besseren Argumente sprachen für den
Vizekanzler, und das hat die Außenministerin zum richtigen Zeitpunkt
eingesehen.
Indem sie das Kandidatenrennen verlässt, noch bevor es in der öffentlichen
Wahrnehmung alles dominiert, wahrt sie ihr Gesicht. Und durch die Umstände
ihrer Verzichtserklärung – während einer Auslandsreise, auf CNN und mit der
gewohnt pathetischen Begründung, als Chefdiplomatin in Krisenzeiten keine
Zeit für solche Kinkerlitzchen zu haben – steht sie erst recht nicht als
Verliererin da. Einziger Schönheitsfehler: Mit ihrer Argumentation lässt
sie Robert Habeck mal wieder ein bisschen blöd aussehen. Für den
Wirtschaftsminister sind es schließlich auch Krisenzeiten, als Kandidat
wird er sich im Wahlkampf trotzdem nicht „voll und ganz seinem Amt widmen“
können.
Aber er wird's verkraften. Habeck darf jetzt machen, worauf er so lange
gewartet hat. Vor der letzten Bundestagswahl hatte er Baerbock zwar mehr
oder weniger freiwillig den Vortritt gelassen, band danach aber dem ganzen
Land auf die Nase, wie schwer ihm das gefallen war. Geschrumpft ist seine
Sehnsucht nach der Kandidatur seitdem nicht. Jetzt hat er sie endlich.
## Schrödingers Kandidat
Mehr oder weniger zumindest. Für den Moment ist er so etwas wie
Schrödingers Kandidat: Alle wissen, dass er es macht. Offiziell ausgerufen
hat ihn die Partei aber noch nicht. Clever wäre es, wenn es dabei noch ein
Weilchen bleibt; wenn Partei und Vizekanzler weiterhin alle Nachfragen cool
abblitzen lassen („Damit beschäftigen wir uns aktuell nicht“).
Ein passender Zeitpunkt für den Vollzug wäre der Herbst. Auf dem Parteitag
im November ließe sich die Nominierung hübsch inszenieren. Bis dahin
könnten die Grünen noch ein wenig auf die Umfragewerte starren und abwägen,
ob es wirklich eine Kanzlerkandidatur sein soll oder ob eine schlichte
Spitzenkandidatur nicht doch einen seriöseren Eindruck hinterließe.
Außerdem wären die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen
vorbeigezogen, die erwarteten Niederlagen würden nicht von Beginn an die
schöne Kandidatur besudeln.
Unabhängig davon, und da können sich die Grünen aufrichtig bei Baerbock
bedanken, haben Habeck und die Parteizentrale jetzt ausreichend Zeit, sich
auf den Wahlkampf 2025 vorzubereiten. Beim letzten Versuch klärte sich die
K-Frage erst fünf Monate vor dem Wahltermin, die Kampagne war dadurch nicht
auf die Kandidatin zugeschnitten. Die Grünen versäumten damals auch,
Baerbock intensiv auf ihre Angriffsflächen hin zu durchleuchten. Von
[2][den schweren Attacken auf die Kandidatin (Lebenslauf, Plagiate) wurden
sie überrascht.]
Auch Habeck wird als Kandidat im Feuer stehen. Die Konkurrenz-Parteien, die
Springer-Presse, die Fossil-Lobby und der Kreml haben ihre Schubladen
sicher schon mit Dreck gefüllt. Sich darauf vorzubereiten ist für die
Grünen trotzdem eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Es geht um
handwerkliche Fragen. Dass Habeck im Juni in der Bunten öffentlich machte,
dass seine Vorfahren hochrangige Nazis waren, ist möglicherweise schon in
diesem Kontext zu sehen: Lieber jetzt im Klatschblatt als nächsten August
auf Russia Today.
## Nach links? Nach rechts?
Die schwierigeren Aufgaben sind politischer Art: Wie soll sich Habeck als
Kandidat inhaltlich aufstellen? Nicht nur ihn betrifft diese Frage, sondern
die ganze Partei. Diskutiert wird sie schon seit der Niederlage bei der
Europawahl intensiv.
Die weniger originellen Antworten lauten, dass die Partei wahlweise nach
links (sagen Parteilinke) oder nach rechts (sagen Realos) rücken sollte.
Ersteres in Reinform würde Habeck nicht mitmachen. Zuletzt [3][machte er in
einem taz-Porträt deutlich]: Vom Ziel ablassen, neue Milieus in der Mitte
zu erschließen – das kann er gar nicht. Ohnehin funktionieren
erfahrungsgemäß Wahlkämpfe nicht, in denen Programm und Kandidat
auseinanderklaffen.
Ebenso realitätsfern ist allerdings die Forderung, die manche
Hardcore-Realos seit Wochen erheben: Lasst Habeck jetzt führen und folgt
ganz seinem Kurs. So furchtbar diszipliniert die Partei manchmal auch
erscheinen mag: Inhaltlich getrieben ist sie doch noch. Jedes ihrer Glieder
besteht zumindest auf dem Gefühl, überall mitreden zu dürfen.
Und überhaupt: Daten zur Europawahl legen nahe, dass die Grünen verloren
haben, weil sie den einen als zu ideologisch und den anderen als zu
kompromissbereit erschienen. Deswegen noch ideologischer beziehungsweise
noch kompromissbereiter aufzutreten, mag am einen Ende helfen, könnte am
anderen Ende aber ebenso sehr schaden. Aus dem Umfragetief hilft das nicht.
Überzeugender klingt da schon ein Ansatz, der ebenfalls in der Partei
kursiert: Die Grünen müssten priorisieren und könnten dann wieder als
pragmatisch und durchsetzungsfähig angesehen werden.
Das hieße: Sich nicht an jeder Front verkämpfen und Verliererthemen auch
mal liegen lassen. An manchen Stellen würde das zwar weitere Bauchschmerzen
produzieren; manche Stammwähler*innen würden erneut enttäuscht. Über
die Enttäuschung könnten sie aber hinwegkommen, wenn sie hören: Hier, hier
und hier haben die Grünen im Gegenzug wirklich etwas Grünes erkämpft.
## Krieg und Frieden
Da Habeck die Partei in den Wahlkampf führen wird, sollten diese Erfolge im
besten Fall in Verbindung zu ihm stehen. Den Ausbau der Erneuerbaren
Energien kann er schon mal für sich verbuchen, er ist in seinem Ressort
angesiedelt und geht gut voran. Die Suche nach zusätzlichen Gewinnerthemen
ist etwas kniffliger. Unter anderem, weil vieles von dem, was der
Koalitionsvertrag für Habecks Ministerium vorgesehen hatte, schon
abgearbeitet ist.
Ein paar Vorhaben sind aber noch übrig, etwa die Einführung eines
Rüstungsexportkontrollgesetzes. Es ist in Habecks Ressort angesiedelt und
verzögert sich schon lange, [4][die Umsetzung gilt nicht mehr als
garantiert]. Dabei böte das Gesetz für die Grünen die Chance, einen Makel
zu beheben: Die eindeutige Haltung der Grünen zum Krieg in der Ukraine ist
vielen Deutschen suspekt. Die grüne Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza
ist manchen zu zahm. Auf der Friedenspartei klebt das
Kriegstreiber-Etikett, zum Teil auch auf Habeck selbst.
Würde er nun die Initiative ergreifen und ein Gesetz durchfechten, das
Waffenexporte an die Guten weiterhin erlaubt, Waffenexporte an alle anderen
aber stärker reguliert – der schlechte Eindruck wäre korrigiert.
Der größte Makel, für die Grünen und speziell für Habeck, ist aber ein
anderer: Das Debakel um das Gebäudeenergiegesetz aus dem Frühjahr 2022. Der
Ärger vieler Deutschen über das grüne Projekt will einfach nicht
verfliegen. Seinen Heizhammer wird Habeck nicht los.
## Noch mal die Baerbock fragen
Was kann man da noch machen? Abwarten und Hoffen ist eine Option.
Vielleicht verfliegt die Wut ja doch noch, spätestens dann, wenn jeder im
Land mal eine Wärmepumpe gesehen hat und sich von ihrer Funktionsfähigkeit
überzeugen konnte. Ausweislich der schleppenden Absatzzahlen, die die
Hersteller melden, wird das allerdings bis zur Bundestagswahl nicht
geschehen sein.
Was schneller helfen könnte und eigentlich leichter zu bewerkstelligen sein
sollte: Den Eindruck nicht weiter zu befeuern, den die Debatte um das
Heizungsgesetz bei vielen hinterlassen hat – dass es den Grünen nämlich
egal sei, wie es den Leuten finanziell geht und welche Lasten sie tragen
können. Leider gehört es aber nicht zu Robert Habecks großen Talenten,
diesem Eindruck entgegenzuwirken. Viele nehmen es ihm übel, wenn er
fordert, dass die Deutschen weniger streiken und mehr arbeiten sollten –
oder wenn er behauptet, das Heizungsgesetz sei ein Test dafür gewesen, wie
viel die Gesellschaft mitmache.
Als nach der verlorenen Europawahl die Kandidatenfrage ein letztes Mal
hochkochte und Annalena Baerbock noch einmal ein wenig aufzuholen schien,
[5][war ein Argument ihrer Befürworter*innen in der Partei]: Solche
Aussagen würden ihr nicht passieren. Falls sie demnächst mal Zeit hat, weil
sie für paar Minuten nicht die Welt retten muss: Vielleicht kann Robert
Habeck sie dann ja fragen, wie sie das eigentlich schafft.
11 Jul 2024
## LINKS
[1] /Baerbock-will-nicht-mehr-antreten/!6023059
[2] /Plagiatsvorwuerfe-gegen-Baerbock/!5780337
[3] /Gruener-Wirtschaftsminister/!6003076
[4] /Waffenexport-zur-arabischen-Halbinsel/!5982627
[5] /Deutschlands-Gruene-nach-der-EU-Wahl/!6016723
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Kanzlerkandidatur
Annalena Baerbock
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Robert Habeck
Bündnis 90/Die Grünen
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Annalena Baerbock
Realos
Robert Habeck
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