| # taz.de -- Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock: Grünes Panikorchester | |
| > Die Reaktion der Grünen-Spitze auf die kleinteiligen Vorwürfe gegen | |
| > Annalena Baerbock wirkt unprofessionell. In der Partei regiert die Angst. | |
| Bild: Vor kurzem war noch alles gut, nun hängt der Haussegen bei den Grünen s… | |
| Berlin taz Als Annalena Baerbock ihr Buch „Jetzt“ Mitte Juni vorstellte, | |
| war der Ort gut gewählt. [1][Die Grüne präsentierte das 240-Seiten-Werk auf | |
| der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin], von hier aus | |
| ist das Kanzleramt zu sehen und die Reichstagskuppel. Auf die Frage der | |
| Moderatorin, ob es eher ein Sachbuch sei oder eine Biografie, antwortete | |
| Baerbock: „Beides.“ | |
| Inzwischen sieht sie das nicht mehr so. Als die Kanzlerkandidatin der | |
| Ökopartei am Donnerstag bei einer Veranstaltung der Frauenzeitschrift | |
| Brigitte auf die Kritik am Buch angesprochen wurde, sagte sie: „Ganz viele | |
| Ideen von anderen sind mit eingeflossen.“ Aber sie habe „kein Sachbuch oder | |
| so“ geschrieben. | |
| Sachbuch oder nicht? Oder nur kein „Fachbuch“, wie Baerbock kurz darauf in | |
| einem anderen Interview sagte? Man weiß es nicht. Es ist nur eine | |
| Kleinigkeit, aber sie ist bezeichnend für die aufgeregte | |
| Krisenkommunikation der vergangenen Woche. Bei den Grünen regiert die | |
| Angst, es zu vergeigen. Wieder einmal. | |
| In der Wählergunst ging es in den vergangenen Wochen deutlich abwärts, in | |
| einer aktuellen Umfragen liegen sie nur noch bei 18 Prozent. Die Debatte | |
| über Annalena Baerbocks zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, ihren Lebenslauf | |
| und das Buch zeigt Wirkung. Das Momentum der perfekt inszenierten | |
| Kandidatinnenkür im April, nach der sie gleichauf oder sogar vor der CDU | |
| lagen, ist verspielt, auch wenn Baerbock versucht, wieder in die Offensive | |
| zu kommen. | |
| ## Inhalte, Inhalte, Inhalte | |
| Am Sonntag forderte sie „eine Luftfilteranlage für jeden Klassenraum in | |
| diesem Land“, um Schulen besser gegen Corona zu wappnen. Am Freitag wollte | |
| sie einen „großen Klima-Anpassungsfonds“, um Opfer von Wetterkatastrophen | |
| zu entschädigen. Inhalte, Inhalte, Inhalte, lautet die Devise, bloß nicht | |
| mehr über das Schlamassel mit dem Buch reden. Die Frage ist, ob das | |
| funktioniert. | |
| Die Plagiatsfunde, [2][die der Österreicher Stefan Weber in seinem Blog | |
| penibel dokumentiert], sind in der Sache Kleinigkeiten. Aber oft sind es in | |
| der Politik gar nicht die Anlässe, die Skandale groß machen – sondern der | |
| Umgang mit ihnen. Und die Reaktionen der Grünen auf die Plagiatsvorwürfe | |
| sind bemerkenswert unprofessionell. Die Partei, die in den vergangenen drei | |
| Jahren so geschlossen und seriös kommunizierte, dass die Konkurrenz | |
| neidisch daneben stand, wirkt im Moment wie ein aufgescheuchter | |
| Hühnerhaufen. | |
| Dass sich der Plagiatsjäger in Österreich auf Baerbock eingeschossen hat, | |
| mag nerven – und aus grüner Sicht unfair erscheinen. Hatte nicht Laschet | |
| dieses peinliche Problem mit verschusselten Klausuren? Und ja, die Vorwürfe | |
| gegen Baerbock werden von Teilen der Medien und der Konkurrenz | |
| kampagnenhaft hochgejazzt. | |
| Aber dass sich die Spitzengrüne mit Copy und Paste bei anderen | |
| Veröffentlichungen bediente, ist schwer zu leugnen. Nur Grüne, die an | |
| anderer Stelle gerne auf die Wissenschaft verweisen oder die Regeln des | |
| Kulturbetriebs hochhalten, sehen das offenbar anders. | |
| Die grobe Reaktion der Parteispitze war der Sache nicht angemessen. Statt | |
| achselzuckend Fehler einzuräumen, die bei schnell geschriebenen | |
| Politikerbüchern passieren können, startete sie einen überzogenen | |
| Gegenangriff. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner rief alle Mitglieder | |
| per E-Mail zur Solidarität auf. Ein Grünen-Sprecher warf Weber vor, zu | |
| versuchen, Baerbocks Ruf „bösartig“ zu schädigen. Auch Kellner sprach von | |
| „Rufmord“, während [3][Medienanwalt Christian Schertz betonte, „nicht im | |
| Ansatz“ eine Urheberrechtsverletzung erkennen zu können.] Baerbock habe | |
| lediglich allgemein bekannte Fakten und politische Ansichten wiedergegeben. | |
| ## Die Grünen taten so, als sei der Himmel rosa | |
| In ihrer ersten Reaktion griffen die Grünen den Plagiatsjäger ad hominem, | |
| also persönlich, an – und sie blockten einen Vorwurf ab, der gar nicht im | |
| Zentrum stand. Copy and Paste muss keine Urheberrechtsverletzung sein, ist | |
| aber trotzdem peinlich. Und nur allgemein bekannte Fakten? Nun ja, der | |
| Wortlaut war trotzdem fast deckungsgleich. Die grüne Strategie, so zu tun, | |
| als seien die kopierten Stellen komplett imaginiert, als sei der Himmel | |
| sozusagen rosa, war wenig überzeugend. Solchen Whataboutism kritisieren | |
| Grüne sonst gerne bei anderen. | |
| Im Laufe der Woche steuerte die Parteispitze nach. Am Samstag präzisierte | |
| Baerbock in einem Interview mit der Funke Mediengruppe, sie habe „sehr | |
| bewusst auf Fakten aus öffentlichen Quellen zurückgegriffen“. Niemand | |
| schreibe ein Buch allein. „Es sind nicht nur viele Ideen eingeflossen, ich | |
| habe dankenswerterweise auch Unterstützung bekommen.“ | |
| Flankiert wurde die seltsame Stoßrichtung der Parteispitze von einem grünen | |
| Panikorchester in Sozialen Netzwerken, bei dem einige haltlose Vorwürfe in | |
| den Raum stellten. Die Europaabgeordnete Hannah Neumann kommentierte einen | |
| Bericht der Tagesschau mit der Überschrift „Plagiatsvorwürfe gegen | |
| Baerbock“ auf Twitter so: „Die richtige Schlagzeile lautet: Schmutzkampagne | |
| gegen Baerbock.“ | |
| Fraktionsvize Oliver Krischer warf CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen vor, | |
| den Ausbau der Windenergie zu beenden, aber Klimaschutzziele erreichen zu | |
| wollen. Er fügte hinzu: „Diese Laschet-Politik kostet überall auf der Welt | |
| – gerade in Kanada – Menschen das Leben.“ Krischer ruderte zurück, aber | |
| dennoch: Der CDU-Chef verantwortet persönlich den Tod von Menschen? Eine | |
| Europaabgeordnete korrigiert eine Schlagzeile? Das sind Überreaktionen, die | |
| man bei den Grünen lange nicht mehr beobachten konnte. | |
| ## Erfolgskonzept wird konterkariert | |
| Sie konterkarieren das Erfolgskonzept von Annalena Baerbock und Robert | |
| Habeck. Als die beiden 2018 als Parteivorsitzende starteten, achteten sie | |
| darauf, die Gesellschaft stets konziliant und versöhnlich anzusprechen. | |
| Unter ihnen hatte altes Freund-Feind-Denken ausgedient, ebenso die | |
| klassische Lagerverortung – auch gesellschaftliche Polarisierung hielten | |
| sie für hochproblematisch. | |
| Auch wenn man sich leicht hätte ausrechnen können, dass es im Wahlkampf | |
| brutal zur Sache gehen würde, wurden die Grünen offenbar kalt erwischt. | |
| Habeck und Baerbock hatten lange warmen Wind unter den Flügeln. Sie waren | |
| es inzwischen gewohnt, selbst von CEOs hofiert zu werden. Es habe ihn | |
| überrascht, wie aggressiv Teile der Wirtschaft auf das Wahlprogramm der | |
| Grünen reagiert hätten, räumt ein Stratege ein. | |
| Nun, da die postmodern und jenseits der Lager denkenden Grünen verblüfft | |
| feststellen, dass die Gegenseite sehr wohl brutal und geschlossen agiert, | |
| wenn es ums Eingemachte geht, nämlich um die Macht im Lande, greifen auch | |
| bei ihnen wieder alte Reflexe. In der Parteizentrale beobachtet man das mit | |
| Sorge. „Die Kunst wird sein, in der Auseinandersetzung härter zu werden“, | |
| hieß es – „aber offen für den Dialog zu bleiben und sich nicht | |
| einzubunkern.“ | |
| 4 Jul 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Buchvorstellung-von-Annalena-Baerbock/!5777064 | |
| [2] https://plagiatsgutachten.com/ | |
| [3] /Plagiatsvorwuerfe-gegen-Baerbock/!5779329 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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