# taz.de -- Vorwürfe gegen Annalena Baerbock: Gezielte Infantilisierung | |
> Wir wissen jetzt: Annalena Baerbock ist keine Heilige. Eine gute | |
> Kanzlerin könnte sie trotzdem sein. Denn ihre Fehler sind Lappalien. | |
Bild: Nutzte für ihr Buch wohl ein paar mal Copy und Paste: Kanzlerkandidatin … | |
In einem taz-Interview hat Winfried Kretschmann die Widersprüchlichkeit des | |
modernen Wahlvolks mal klug analysiert. „Die Menschen wollen Heilige, | |
deshalb werden sie enttäuscht“, sagte Kretschmann. In einer Demokratie | |
könnten aber die Gewählten nicht besser sein als die, die sie wählen. Da | |
hat er Recht. Volksvertreter heißen so, weil sie aus dem Volk kommen. | |
Annalena Baerbock, das wissen wir jetzt, ist auch keine Heilige. | |
Die Kanzlerkandidatin der Grünen hat Nebeneinkünfte zu spät beim Bundestag | |
angegeben, etwa das von ihrer Partei gezahlte Weihnachtsgeld. Sie hat ihren | |
Lebenslauf etwas aufgehübscht. Und in ihrem Buch finden sich ein paar | |
Sätze, die sie offenbar mit Copy und Paste aus anderen Veröffentlichungen | |
übernommen hat. Ein Muster wird erkennbar. Baerbock neigt zu jener | |
perfekten, auf Karriere getrimmten Selbstinszenierung, die den | |
Um-die-40-Jährigen, der einstigen Generation Praktikum, gerne zugeschrieben | |
wird. Sympathisch wirkt das nicht. | |
Kann sie dennoch eine gute Kanzlerin sein? Ja, selbstverständlich. Ihre | |
Fehler sind Lappalien, auch wenn sie von den üblichen Verdächtigen – | |
rechten Trollen im Netz, der Bild-Zeitung, CSU-Generalsekretär Markus Blume | |
– zu angeblichen Skandalen aufgeblasen werden. Jene haben ein Interesse | |
daran, die Maßstäbe verrutschen zu lassen, das ist ihr Job. Aber ein | |
bisschen auf die Relevanz schauen sollte man schon. | |
Es ist etwas anderes, ob ein CSU-Verkehrsminister Hunderte Millionen Euro | |
Steuergeld für eine untaugliche Pkw-Maut in den Sand setzt, ob sich | |
Unionsabgeordnete in einer tödlichen Pandemie mit Schutzmasken-Deals die | |
Taschen voll machen oder ob eine Grüne eine fremde Textstelle in ein Buch | |
einbaut. | |
## Brutale Abwehrschlacht der Konservativen | |
Wie gut Baerbock Politik macht, entscheidet sich nicht an der Frage, ob sie | |
ihre Vita etwas geliftet hat. Sie kann trotzdem hart, klug und gewieft für | |
eine bessere Klimapolitik oder den Abschied von Hartz IV kämpfen. Die | |
persönliche Lebensführung sagt wenig bis nichts über die Fähigkeit aus, die | |
öffentlichen Geschicke klug managen zu können. PolitikerInnen sollten vor | |
allem daran gemessen werden, dass sie ihre inhaltlichen Versprechen | |
einlösen und sich durchsetzen können, also die Interessen jener vertreten, | |
die sie wählen. | |
Jens Spahn kann ein guter Gesundheitsminister sein, obwohl er sich eine | |
vier Millionen Euro teure Villa gekauft hat (ist er aber leider nicht). | |
Peer Steinbrück hätte ein guter Kanzler sein können, obwohl er gerne teuren | |
Pinot Grigio trinkt. Martin Schulz hätte für Europa einiges erreicht, | |
obwohl ihm konservative Kolumnisten ankreideten, dass er sein Abi nicht | |
schaffte. | |
Luisa Neubauer mag früher gerne und viel geflogen sein. Aber das sagt | |
nichts darüber aus, ob ihre Argumente für konsequente 1,5-Grad-Politik | |
richtig oder falsch sind. Würde Annalena Baerbock auf der Autobahn | |
geblitzt, bliebe die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits davon unberührt. | |
Die Aufgabe von Politik ist es, Sachfragen zu bearbeiten und Argumente zu | |
tauschen. Angesichts dessen ist der bisherige Wahlkampf eine intellektuelle | |
Zumutung. In Kanada werden Temperaturen von bis zu 50 Grad gemessen und | |
Ortschaften durch Brände ausradiert, in Deutschland ist die Ungleichheit | |
grotesk hoch, Corona hat die Schwächen unserer Infrastruktur gnadenlos | |
offengelegt. | |
## Strategisch eingesetzter Hypermoralismus | |
Die nächste Regierung wird die letzte sein, die die Weichen zur Bekämpfung | |
der Klimakrise stellen kann. Und die deutsche Medienöffentlichkeit | |
diskutiert wochenlang Baerbocks Unzulänglichkeiten? Diese Infantilisierung | |
des Diskurses ist nicht nur schwer erträglich, sie ist unverantwortlich. | |
Dass interessierte Kreise versuchen, mit Ad-hominem-Vorwürfen, also | |
solchen, die auf die Person, nicht auf die Sache zielen, den Diskursraum zu | |
fluten, war vorhersehbar. Über Baerbocks Charakter zu diskutieren ist | |
einfacher als über das deutsche CO2-Budget. Und Abwehrschlachten von | |
Konservativen sind traditionell brutal, wenn sie ihre Hegemonie bedroht | |
sehen. Aber man sollte die Bild-Zeitung, den CSU-Generalsekretär und andere | |
in diesem Bundestagswahlkampf nicht damit durchkommen lassen. Für | |
strategisch eingesetzten Hypermoralismus ist die Lage ein bisschen zu | |
ernst. | |
3 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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