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# taz.de -- Sinkende Inflation: EZB? Nein, Habeck war's!
> Die Europäische Zentralbank schmückt sich mit fremden Federn. Dem
> Wirtschaftsminister ist zu verdanken, dass die Inflation wieder sinkt.
Bild: EZB-Chefin Christine Lagarde lobt sich selbst für die Bekämpfung der In…
Die Erleichterung steht ihr ins Gesicht geschrieben, als sie vor die Presse
tritt. Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), hatte
Anfang Juni eine gute Nachricht zu verkünden: Die Inflation ist im Griff,
die Zinsen werden gesenkt. Endlich. Seit Sommer 2022 hatte die [1][EZB die
Zinsen innerhalb von 14 Monaten von 0 auf 4,5 Prozent hochgepeitscht], zehn
Zinserhöhungen in Folge.
Auf diese Weise wollte sie die Inflation von zwischenzeitlich fast 10
Prozent bekämpfen. Und tatsächlich wurde dieses Ziel erreicht. [2][Dieses
Jahr soll die Inflationsrate nur noch 2,5 Prozent betragen, also nur noch
knapp über dem normalen Niveau]. Nur: Ist das wirklich ein Verdienst der
EZB?
Es gab zwei Auslöser für die heftigen Preissteigerungen: erst die
Coronapandemie, dann Putins Überfall auf die Ukraine. Lockdowns in
asiatischen Häfen haben Lieferketten reißen lassen und der Ukrainekrieg hat
für Panik an Energiemärkten gesorgt, besonders in Deutschland, wo rund die
Hälfte aller Gas- und ein Drittel aller Ölimporte aus Russland kamen.
## Die Inflation trotz schlechter Wirtschaft
Die Folge war ein Preisschock. Öl, Kohle, Gas, Strom – alles ist deutlich
teurer geworden. Als Putin die Gaslieferungen nach Deutschland endgültig
stoppte, war Gas an der Börse zehnmal so teuer wie 2021.
Eine Inflation im Sinne des ökonomischen Lehrbuchs war das allerdings gar
nicht. Denn die Lehrbuchinflation entsteht, wenn die Wirtschaft überhitzt,
der Konsum boomt und die Löhne stark steigen. Die Wirtschaft aber lief
pandemiebedingt schlecht, der Konsum lahmte, viele Menschen hatten ihren
Job verloren oder waren in Kurzarbeit, und die Löhne sind sogar gefallen.
Deutschland und die EU erlebten vielmehr einen Preisschock, weil das
Angebot an günstiger Energie und Rohstoffen weggebrochen ist. Und weil Öl,
Gas und Strom wichtiger Bestandteil von fast allen anderen Produkten sind.
Deshalb sind auch Brot, Butter und vieles andere teurer geworden. Erst als
Reaktion darauf sind dann die Löhne, Renten und Sozialleistungen gestiegen,
um den Verlust an Kaufkraft auszugleichen. Allerdings längst nicht so
schnell wie die Preise.
Preistreiber war also die Angebotsseite der Wirtschaft, nicht die
Nachfrageseite. Die Zinserhöhungen der EZB wiederum zielten aber nur auf
die Nachfrageseite. Sie machen Kredite teurer, zum Beispiel für
Häuslebauer, Autokäufer oder Firmen, und kühlen so eine überhitzte
Wirtschaft ab.
## Die Therapie der EZB passte überhaupt nicht zur Diagnose
Nur war die Wirtschaft ja längst unterkühlt und nicht überhitzt. Und gegen
Gaspanik oder teuren Strom helfen hohe Zinsen nicht. Das gibt die deutsche
EZB-Ökonomin Isabel Schnabel auch zu. Zu Energiepreisen sagte sie Ende im
Mai in der „Tagesschau“: „Darauf hat die Geldpolitik naturgemäß wenig
Einfluss.“
Das heißt, dass die Therapie der EZB überhaupt nicht zur Diagnose gepasst
hat. Die EZB hat eine Virusinfektion mit Antibiotika behandelt, aber feiert
sich trotzdem für den Erfolg. So schreibt der EZB-Rat in der neuesten
Pressemitteilung, die Dämpfung der Nachfrage habe „maßgeblich zur
Rückführung der Inflation beigetragen“. Zahlen, empirische Studien oder
andere Beweise? Fehlanzeige. Überzeugt Sie das? Mich nicht.
Auf die Fahne schreiben kann sich den Inflationserfolg eher
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als die EZB. Die Gaspreise sind
gefallen, weil über [3][LNG-Terminals] das russische Gas ersetzt werden
konnte, der größte Gasspeicher verstaatlicht wurde und so die Panik vor
einer Gasmangellage verflogen ist.
Außerdem wurde der Kostenschock für Verbraucher mit den Preisbremsen für
Strom und Gas abgeschwächt. Ebenso mit dem 9-Euro-Ticket, der Abschaffung
der EEG-Umlage und dem Tankrabatt. Die Ampel hat den Preisschock
hierzulande therapiert, nicht die EZB.
## Negative Folgen der hohen Zinsen
Dafür hatten die Zinserhöhungen erhebliche Nebenwirkungen. Die Wirtschaft
kommt vor Unterkühlung nicht vom Fleck. Wirtschaftskrise letztes Jahr,
Miniwachstum dieses Jahr. Überhaupt hängt Deutschlands Wirtschaftsleistung
noch immer auf dem Vor-Corona-Niveau. Besonders betroffen ist der
Bausektor, weil viele Projekte mit Krediten finanziert werden.
Auftragseingänge und Baugenehmigungen sind eingebrochen, Stornierungen und
Klagen über Auftragsmangel explodiert.
Der Zins für zehnjährige Immobilienkredite hat sich seit 2022 vervierfacht,
von rund 1 auf 4 Prozent. Wer seinen Hauskauf 2014 noch zu günstigen Zinsen
finanziert hat und inzwischen einen Anschlusskredit brauchte, musste
deutlich mehr Zinsen zahlen und womöglich woanders kürzen.
Bitter: Auch Studenten trifft die Zinserhöhung. Der Zins für Studienkredite
bei der staatlichen Förderbank KfW stieg zwischenzeitlich von 4 auf 9
Prozent und liegt jetzt noch immer bei 7,5 Prozent. Da die meisten Kredite
variabel verzinst sind, wurden viele Studis kalt erwischt und rutschten in
die Schuldenfalle. Verbraucherzentralen und Studierendenwerke warnen
deshalb vor den Studienkrediten.
## Die EZB ist mit ihrem Inflationsmandat überfordert
Mittlerweile ist offensichtlich, dass die Zentralbank mit ihrem
Inflationsmandat überfordert ist. Sie soll die Inflation stabil bei 2
Prozent pro Jahr halten, aber hat gar nicht die richtigen Instrumente
dafür. Erst hat sie zehn Jahre lang vergeblich versucht, die zu niedrige
Inflation mit Niedrigzinsen und billionenschweren Anleihekäufen auf 2
Prozent hochzuhieven. Und seit dem Ukrainekrieg erwarten alle, dass sie
sich mit höheren Zinsen gegen die hohen Energiepreise wehrt.
Zeit also, sich einzugestehen: Mit Zinsen und Anleihekäufen allein lässt
sich die Inflation nicht kontrollieren. Regierungen haben hingegen deutlich
mehr Werkzeuge: Steuern, Investitionen, Sozialtransfers, Preisbremsen,
Regulierungen, das Kartellamt und so weiter.
Warum also nicht Robert Habeck und Olaf Scholz dafür verantwortlich machen,
dass Deutschland jedes Jahr eine Inflation von 2 Prozent hat? Die
Zentralbank kann sich darum kümmern, dass der Bankensektor stabil ist.
Damit hätte sie ohnehin genug zu tun!
16 Jun 2024
## LINKS
[1] /Kampf-gegen-die-Inflation/!5865721
[2] /Inflation-bleibt-bei-22-Prozent/!6007920/
[3] /Erstes-LNG-Terminal-eingeweiht/!5903150
## AUTOREN
Maurice Höfgen
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EZB
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