# taz.de -- Journalistin über Sinti und Roma: „Bilder im Kopf hinterfragen“ | |
> Die Journalistin Gilda Horvath engagiert sich seit Jahren für Rom:nja. Im | |
> Interview spricht sie über Vorurteile und bedrohte Erinnerung an | |
> NS-Verbrechen. | |
Bild: Rom:nja bei ihrem Kampf für Anerkennung auf einer Demonstration in Frank… | |
taz: Frau Horvath, in Wien soll bald ein Denkmal für die Rom:nja und | |
Sinti:zze entstehen, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurde. | |
Gemeinsam mit NGOs haben Sie sich dafür starkgemacht. Wie ist der aktuelle | |
Stand? | |
Gilda Horvath: Im November hat die österreichische Regierung beschlossen, | |
dass es ein Denkmal geben wird. Das ist schon mal ein großer historischer | |
Erfolg für die Community, die insgesamt 30 Jahre lang gefordert hat, dass | |
es einen Gedenkort für die unter den Nationalsozialisten ermordeten | |
Rom:nja geben muss. Wir haben nun seit zwei Jahren als Kollektiv dafür | |
gearbeitet. Erst vor ein paar Tagen war die erste Sitzung im | |
österreichischen Parlament, in der wir mit dem Nationalfonds über die | |
Ausschreibung gesprochen haben. Wir sind sehr glücklich über diese | |
Fortschritte. | |
In Berlin wurde das Denkmal für die Rom:nja-Opfer der Nazis bereits 2012 | |
eingeweiht, heute ist es bedroht. [1][Die Deutsche Bahn will einen Tunnel | |
darunter bauen], was mindestens den heutigen Charakter des Denkmals | |
verändern würde. | |
Man muss sich vor Augen führen, worum es da geht. Die Deutsche Bahn ist ein | |
Konzern mit Gewinnabsicht: Es geht ihr also letztlich ums Geld. Für die | |
Rom:nja und Sinti:zze ist dieser Ort aber auch eine Grabstätte, ein Ort, | |
wo Menschen gedenken, die keine Gräber für ihre Vorfahren haben, weil sie | |
vergast wurden. Und das wird vergessen. Ich denke, wenn wir in eine | |
christliche Grabstätte eingreifen würden oder in die Grabstätte einer | |
anderen Religion, würde man das respektvoller diskutieren. | |
Auch in der weiteren Gesellschaft werden Sinti:zze und Rom:nja nach wie | |
vor diskriminiert. | |
Genau. Mehr als 40 Prozent der Diskriminierung in der Gegenwart passiert | |
bei öffentlichen Institutionen und Behörden: in Schulen, bei Ärzten, die | |
uns die Behandlung verweigern, bei Polizisten, die ihre Kompetenzen | |
überschreiten, bei Ämtern, die die Belege nicht lesen, sondern Anträge | |
einfach ablehnen. Der Bundesbeauftragte für Roma und Sinti, Dr. Mehmet | |
Daimagüler, plant daher eine Wahrheitskommission, die das Unrecht, das bis | |
in die Gegenwart geschieht, aufarbeiten soll. | |
Trägt auch die mediale Berichterstattung zu dieser Ungleichbehandlung bei? | |
Es ist wissenschaftlich belegt, dass Medien eine verzerrte Darstellung | |
haben. Sie fallen auf kollektive Illusionen herein. Es gibt | |
jahrhundertealte Lügengeschichten, wie etwa, dass Rom:nja Kinder stehlen | |
würden. Vor ein paar Jahren gab es einen Fall von einem Mädchen namens | |
Maria, wo die Medien dann riesige Mythen verbreitet haben über einen | |
angeblichen Menschenhändlerring, der nie existiert hat. Das Kind war | |
letztlich ein Teil der Familie. Aber weil es blond und blauäugig war, | |
wollte man ihr einfach nicht glauben, es wurde sogar ein DNA-Test | |
durchgeführt. Diese falschen Informationen in den Medien führen zu Gewalt | |
in der Realität. | |
Sie kritisieren die Medien auch dafür, dass sie zu eng mit | |
Internetplattformen kooperieren. Weshalb? | |
Facebooks Mutterkonzern Meta hat ein „Journalismus-Programm“, bei dem er | |
anbietet, Journalist:innen auszubilden. Da lernt man aber keinen | |
Journalismus, sondern wie man Inhalte so produziert, dass sie auf Facebook | |
die größte Reichweite bekommen. Das ist ein Paradigmenshift: [2][Ein | |
Privatkonzern fängt an, Journalist:innen auszubilden], die dann | |
Informationen an sein System angepasst schreiben. Damit geben wir die | |
Deutungshoheit über die Realität ab. Das ist eine gefährliche Entwicklung. | |
Wir Journalist:innen können unsere Verantwortung nicht an Drittanbieter | |
wie Meta oder Facebook delegieren. | |
Und wenn selbst die Presse immer noch auf alte Mythen über Rom:nja | |
hereinfällt, verbreitet ein soziales Netzwerk, das viel weniger kuratiert | |
ist, eher noch solche Bilder. | |
Absolut. Wir sehen das auch bei der künstlichen Intelligenz: Wenn man das | |
Bild eines CEO anfragt, und es kommt bei acht Versuchen immer ein Mann | |
raus. Die KI hat eine stark verzerrte Spiegelung unserer Realität. | |
Sie kennen die Redaktionen als Journalistin auch von innen. Wie reagieren | |
Sie, wenn Sie dort auf Vorurteile stoßen? | |
Von Mensch zu Mensch reagiere ich in erster Linien mit Güte und Humor. Weil | |
ich glaube, dass die allerwenigsten Menschen absichtlich etwas sagen, das | |
mich verletzen könnte. Eine sehr gute Journalistin, die ich schätze, hat | |
mich in einem Interview einmal gefragt, wie ich zu einem Vorfall stehe – | |
irgendwo in Griechenland hatte es Ausschreitungen gegeben, bei denen | |
Rom:nja angeblich Marktstände zerstört hätten. Ich habe geantwortet: Ich | |
habe gehört, am Ballermann haben wieder 300 Deutsche randaliert, ein paar | |
Biergläser zerhauen, und da gibt’s jetzt ein Verfahren: Wie stehen Sie | |
dazu? Dann hat sie sehr schnell verstanden, wo ich hin wollte. Dieses | |
Kollektiv-verantwortlich-Sein für ein ganzes Volk ist ein typischer Fehler, | |
den Journalist:innen machen. | |
Was können Medien konkret besser machen, um eine vorurteilsbehaftete | |
Berichterstattung über Rom:nja zu vermeiden? | |
Journalist:innen müssen die eigenen Bilder im Kopf hinterfragen. Über | |
95 Prozent aller Roma weltweit sind sesshaft, wandern nicht, leben in | |
Wohnungen und arbeiten. Sie führen ein ganz normales Leben. Das Bild in den | |
Medien spiegelt das nicht wider. Armut und Obdachlosigkeit gibt es nicht | |
nur in der Community, sondern auch in der deutschen Bevölkerung. Das ist | |
aber medial nicht so präsent und somit auch nicht in unserem kollektiven | |
Bewusstsein. | |
Sie probieren sich beruflich gerade anderweitig aus und entwickeln | |
gemeinsam mit Partnern ein Computerspiel, bei dem es um Selbstermächtigung | |
geht. Was hat es damit auf sich? | |
Das soll ein Spiel für alle Menschen werden, die sich in einem Prozess der | |
Selbstreflexion und Transformation befinden. Es wird ein RPG, also ein Role | |
Play Game. Das heißt, man hat einen Charakter, den Protagonisten, und den | |
kann man über das Spiel entwickeln. In diesem Fall gibt es einen ganz | |
großartigen Dreh, der dazu führen wird, dass wir unsere Realität anders | |
sehen werden. Und zwar nicht nur im Spiel, sondern auch außerhalb. Das | |
Spiel wird auf die Realität außerhalb des Screens wirken. | |
8 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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