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# taz.de -- Erinnerung an den Palast der Republik: Phantomschmerzen mit Pauken
> Im Berliner Schloss wurde just zu Ostern mit dem Gedanken an Auferstehung
> dem Ort gehuldigt, der ihm einst weichen musste: der Palast der Republik.
Bild: Das war der Palast der Republik, mit den dazu passenden Automodellen
Das Berliner Schloss zeugt von einer seltsamen Sehnsucht. Da will man was
zurück, was seine Zeit doch schon vor sehr langer Zeit gehabt hatte und
jetzt eben als Barocksimulation in der Mitte der Stadt aufgebaut steht mit
ihren Simsen und Säulen. Alles so „echt“ wie möglich.
Wundern will man sich, dass vor dieser Kulisse nicht eine Haltestelle für
Postkutschen eingerichtet wurde, falls der Kaiser nicht doch mal mit
standesgemäßer Anfahrt auf einen Besuch vorbeischauen will. Aber die
Haltestelle kann ja noch kommen. Noch ist man nicht fertig mit dem
Rekonstruieren. Vor wenigen Wochen erst wurden nach historischem Vorbild
gefertigte übermenschgroße Statuen von biblischen Propheten [1][auf die
Balustrade um die Kuppel gehievt.]
Es ist eine Geschichtsbesessenheit [2][um das Schloss]. Und halt auch eine
Verdrängung von Geschichte. Denn da, wo es nun steht, stand doch einmal der
Palast der Republik. Die prominente Ansichtskarte eines Landes, das es
genauso wenig mehr gibt wie das deutsche Kaiserreich. Die DDR. Allerdings
bejammerten auch Menschen, die diesem Staat bestimmt keine einzelne Träne
hinterherheulen wollten, die Schleifung des 2008 abgeräumten Palastes.
Nicht wenige haben weiter visuelle Phantomschmerzen, wenn sie nun auf das
Schloss schauen müssen.
Tatsächlich soll der Palast in diesem Jahr ein thematisches Leitmotiv sein
im Humboldt Forum (der museale Inhalt des Stadtschlosses). Im Mai startet
eine [3][große Ausstellung zum Palast der Republik]. Alte Wunden werden
wieder aufgerissen, was man als einen notwendigen Diskussionsprozess
begreifen kann und auch als eine Überheblichkeit, die hier stachelgleich
drin steckt. Selbst wenn man im Humboldt Forum überhaupt nicht überheblich
sein will (aber das berührt ein recht prinzipielles Dilemma dort). Der
Palast, er ist halt nun mal weg. Und er kommt auch nicht wieder.
## Mit mildem Jazzrock durch die Räume des Palastes
In einem Vorspiel zum Palast-Programm gab es zu Wiederauferstehungs-Ostern
eine musikalische Annäherung an die einstige Vergnügungsstätte der DDR:
„Mit Pauken und Palästen“, es spielte das Resident Music Collective des
Humboldt Forums. Das hätte man nun in einer Art musikalischen
Rekonstruktion auch als ein Kessel Buntes anrichten können mit der Musik
der vielen Stars aus Ost und West, die einst im Palast der Republik
gastierten, Frank Schöbel, die Puhdys, Miriam Makeba, Harry Belafonte,
Katja Ebstein. [4][Natürlich Udo Lindenberg].
Machte man aber nicht. Stattdessen arbeitete sich das sehr international
besetzte Ensemble meist mit einem milden Jazzrock durch die Räume des
niedergerissenen Palastes. Wo man sich jeweils befand – vom Foyer zum
Großen Saal und so weiter –, wurde auf einer Leinwand verkündet, wo auch
noch mal symbolisch die Lichter des berühmten Laternenensembles des
Palastes angeknipst wurden.
## Taumelnde Architekturmodelle
Überhaupt passierte da immer eine ganze Menge, mit Videos von taumelnden
Architekturmodellen. Es gab szenische Elemente. Durch die Publikumsreihen
wurde getanzt, zwischendurch wurde das Publikum aufgefordert, selbst
musikalisch tätig zu werden, das Ensemble zerfaserte in Einzelstimmen, übte
sich in Dialogen und fand immer wieder zurück ins Kollektiv.
Fast möchte man es einen musikalischen Show-Sozialismus nennen, der sich
auch wirklich so interessant hörte, dass man bei der Musik gar nicht mehr
fragen wollte, was das nun mit dem Palast zu tun hatte. Manchmal. Viel
öfter aber erschöpfte sich die Musik in fingerschnippender Beliebigkeit.
Also fragte man sich doch: War das eine Anrufung? Eine musikalische
Beschwörung? Eine Bannung?
Oder hatte man es mehr mit einer Bespaßung zu tun?
Überall waren betont gut gelaunte Gesichter zu sehen. Das sehr heterogene
Publikum – Kinder, Erziehungsberechtigte, viele Ältere und vielleicht auch
ein paar Touristen, die nach der Schlossbesichtigung gleich noch ein
Konzert mitgenommen hatten – tat der Musik den Gefallen und groovte ein
wenig mit. Hier und da war ein sachter Hüftschwung zu sehen. Der Palast der
Republik wurde einfach weggeschubst.
6 Apr 2024
## LINKS
[1] /Berliner-Humboldt-Forum/!5998689
[2] /Debatte-um-das-Berliner-Stadtschloss/!5707717
[3] https://www.humboldtforum.org/de/programm/laufzeitangebot/ausstellung/hin-u…
[4] /Interview-mit-Popmusik-Experten-Hentschel/!5865331
## AUTOREN
Thomas Mauch
## TAGS
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