# taz.de -- Interview mit Popmusik-Experten Hentschel: „Heißester Gig des Ka… | |
> Autor Joachim Hentschel über sein Buch zur Musikgeschichte zwischen DDR | |
> und BRD, Punks im Osten und den gecancelten Udo Lindenberg. | |
Bild: Ekstase eindeutig erkennbar: der Gitarrist Bernd Römer von der DDR-Band … | |
taz: Herr Hentschel, warum haben Sie drei Jahrzehnte nach der | |
Wiedervereinigung noch ein Buch geschrieben über die Popmusik in der DDR | |
und BRD und ihr Verhältnis zueinander? | |
Joachim Hentschel: Mir ging es um die Dynamik, wie diese Szenen miteinander | |
in Kontakt gekommen sind und den gesellschaftspolitischen Kontext. Ich | |
selbst wurde ja in der sogenannten Deutschrockzeit in den 80ern | |
sozialisiert, die anders als die Krautrock- oder Punkzeit lange als uncool | |
galt. Dabei ist diese Ära sehr interessant, weil sie keine rein | |
westdeutsche Geschichte widerspiegelt. Peter Maffays Durchbruchhit „Über | |
sieben Brücken“ stammte aus der DDR. Karats „Blauer Planet“ wiederum war | |
ein Top-Ten-Erfolg im Westen. | |
Berlin war eine Drehscheibe des Kulturaustauschs im Kalten Krieg? | |
Ja, schon weil Ostberlin das kulturelle Zentrum der DDR war, sowohl der | |
offiziellen DDR-Kultur wie auch der Subkultur. | |
Sie sind in Süddeutschland aufgewachsen. Wie kamen Sie persönlich mit der | |
DDR-Musik in Kontakt? | |
Als Acht-, Neunjähriger habe ich in Baden-Württemberg bereits DDR-Musik | |
wahrgenommen. Da mein Vater und ein Opa aus Sachsen stammten und wir | |
gelegentlich Besuch aus der DDR bekamen, war mein Interesse vielleicht | |
etwas stärker ausgeprägt, als das üblich war. Ich war aber nur einmal auf | |
Klassenfahrt in Ostberlin, wo wir die 25 Mark Zwangsumtausch für | |
Klaviernoten und das „Kommunistische Manifest“ ausgegeben haben. Zu Hause | |
hatte ich allerdings auch Platten von Ostbands. Karat, City, Puhdys oder | |
die Sängerin Bettina Wegner kannte ich aus dem Süddeutschen Rundfunk. Ich | |
habe den Ost-West-Unterschied bei der Musik gar nicht so krass | |
wahrgenommen. Mein Buch behandelt letztlich die Frage: Wie wurde dieser | |
Kanal eingerichtet, in dem Musik von einer Seite auf die andere gelangte? | |
Dieser Musiktauschverkehr begann ja sehr früh. | |
Ja, schon zu einer Zeit, in der jegliche Annäherung auf beiden Seiten ein | |
heikles Thema war. Ab 1959 hat der westdeutsche Musikmanager Hans Beierlein | |
die Rechte an mehreren DDR-Schlagern billig in Ostberlin erworben und sie | |
mit neuen Sängern in der Bundesrepublik zu Hits gemacht. Später waren es | |
auch Schlagersänger aus dem Westen, die als erste Popmusiker in der DDR | |
auftreten dürften, vor allem in Ostberlin, gern in der TV-Show „Kessel | |
Buntes“. Diese Art von Annäherung darf man nicht banalisieren von wegen: | |
War ja eh wurscht bei Schlagersängern. | |
Mit den befürchtete man wohl allerdings auch wenig Ärger, da kaum | |
Ausschreitungen wie vielleicht bei Rockbands zu befürchten waren, oder? | |
Die Sorge gab es sicherlich. Als die Rolling Stones 1965 die Waldbühne | |
verwüsteten, wurde das von der DDR-Presse sofort ausgeschlachtet. Das Neue | |
Deutschland druckte den Bild-Horrorartikel „Ich saß in der Hölle“ von | |
Marianne Koch eins zu eins nach als Beleg für die Gewalt und Gehirnwäsche | |
des westlichen Rocks. Danach verschärften sich auch die Schikanen für die | |
eigenen Beatbands. | |
Trotzdem ging es auch im Rock- und Popbereich, vor allem im Zuge der | |
politischer Entspannung, ziemlich hin und her, vor allem zwischen West- und | |
Ostberlin? | |
Das lag einerseits daran, dass das trotz der Teilung der Stadt logistisch | |
relativ einfach war, und andererseits, dass auf beiden Seiten viele | |
Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Austauschs bestanden. In Ostberlin | |
befanden sich das DDR-Fernsehen, die Plattenfirma Amiga und die | |
Rundfunkstudios, in denen viel DDR-Musik produziert wurde. Auch die | |
populärsten DDR-Künstler lebten in Ostberlin. Und in Westberlin gab es | |
ebenfalls Plattenfirmen sowie eine Menge Auftrittsorte wie das Quartier | |
Latin oder die Waldbühne, die für die Ostmusiker quasi um die Ecke lagen | |
und günstig zu erreichen waren – wenn man einen Pass bekam. | |
Ostberlin schien fast eine Art Sehnsuchtsort für etliche Westkünstler, man | |
denke nur an Udo Lindenberg, der mit dem „Sonderzug nach Pankow“ wollte. | |
Er schaffte es ja 1983 immerhin nach Mitte in den Palast der Republik, wo | |
er bei einer Friedensgala auftrat. Seine Show kann man als das | |
Leuchtturmereignis des deutsch-deutschen Musikaustauschs bezeichnen. Es hat | |
im Grenzverkehr wohl dramatischere, spannungsreichere Episoden gegeben, | |
aber Udo live in concert im Prunkbau Erich Honeckers, das war der | |
spektakulärste Gig während der eiskalten Jahre. Er war auch im Westen | |
umstritten, aber alles andere als läppisch. Was man auch daran sieht, dass | |
die Funktionäre ihm anschließend die zugesagte DDR-Tournee cancelten, weil | |
ihnen die Verehrung der DDR-Fans nicht mehr geheuer war. Außerdem hatte | |
Lindenberg bei seinem Kurzauftritt die Sowjetraketen in der DDR kritisiert. | |
Solche Momente oder unvorhergesehene Ereignisse wie die spontane Fantraube | |
um Udo vorm Palast entfalteten eine große Wirkung. Musik hatte damals – | |
anders als heute – auch eine Funktion als Nachrichtenmedium. Die Konzerte | |
waren nicht zu unterschätzen. | |
Welche Musik im Westen angesagt war, darüber waren die meisten DDRler dank | |
Radio und Westfernsehen auf dem Laufenden. Wie verhielt es sich anders | |
herum? | |
In Westberlin kannte man sich einigermaßen aus, wenn man sich | |
interessierte. Je weiter weg die Westdeutschen von der Grenze lebten, desto | |
weniger Ahnung hatten sie in der Regel von der Ostmusik. | |
Was man in der DDR nicht mitbekam, waren eher die seltsamen ökonomischen | |
Verflechtungen, oder? | |
Da war ich auch völlig überrascht. Die Westberliner Plattenfirma Hansa | |
hatte in den 80ern ein Sublabel namens Rockoptus, für das es zeitgemäßes | |
Rockrepertoire suchte. Dort erschienen Alben von den DDR-Bands Kreis oder | |
Silly, die erst nachträglich auf Amiga veröffentlicht wurden. Man | |
produzierte im DDR-Rundfunk in der Nalepastraße in Oberschöneweide auch | |
kostengünstig Instrumentalmusik für die ARD-Nachtschiene. So entstanden | |
Aufnahmen von glamourösen Gaststars wie Max Greger mit einem | |
DDR-Tanzmusikorchester. Für die abgeriegelten Sonderproduktionen wurde der | |
DDR-Rundfunk in D-Mark bezahlt. Oder: Als Wolf Biermann in der DDR keine | |
Platten veröffentlichen durfte, hat er sie zu Hause in der Chausseestraße | |
auf Tonband aufgenommen. Dann kam eine Frau vom CBS-Label aus | |
Frankfurt/Main mit Tagespassierschein zu ihm und hat die Bänder abgeholt. | |
Das war der Stasi sicher bekannt. Es wurde geduldet, denn die DDR verdiente | |
über die Gema-Ausschüttungen an Biermann rückwirkend mit davon. Später gab | |
es für Sillys Album „Februar“ eine deutsch-deutsche Koproduktion von Amiga | |
und Ariola. Wenn es ums Geldverdienen ging, scheute man keine Berührung. | |
Auch im Underground wurde gemeinsame Sache gemacht?! | |
Auf beiden Seiten wurden ja die Subkulturen vom Mainstream abgelehnt, aber | |
im Westen konnten eigene Netzwerke aufgebaut und Platten veröffentlicht | |
werden. Das ging im Osten nicht. Trotzdem erschien 1983 mit heimlicher | |
Unterstützung von Westlern die historische Punk-LP „DDR von unten“ in | |
Westberlin. Leute wie Dimitri Hegemann hatten die Aufnahmen von | |
Ostpunkbands in die Bundesrepublik geschmuggelt. Überhaupt wurde viel | |
zwischen Ost- und Westberlin halb- bis illegal gehandelt. Ständig reisende | |
Bands wie Puhdys oder Karat brachten Musikequipment mit in die DDR, wo sie | |
es an andere Musiker verkauften. | |
Es gab sogar illegale Konzerte von Westbands in Ostberlin, zweimal allein | |
von den Toten Hosen. | |
Für sie waren die regelrecht identitätsstiftend, weil sie auf einmal | |
spürten, was Gefahr und Ärger mit der Polizei wirklich heißt. Punks im | |
Osten konnten wählen zwischen Schnauzehalten und Knast. Da war es fast | |
makaber, dass die Hosen den Nervenkitzel hatten und danach wieder | |
rüberkonnten, während ihre Kollegen von der Ostberliner Band Planlos weiter | |
mit der Gefahr klarkommen mussten. Das ist auch ein bitterer Aspekt in | |
diesem Fall: Planlos konnten noch so erfindungsreich sein, hatten aber | |
keine Zukunft. Für sie war es unmöglich, mit der Musik Geld zu verdienen | |
und auch eine große Nummer zu werden. | |
Welche Bedeutung hatte der musikalische Grenzverkehr nach Ihrer Meinung für | |
den Fall der Mauer 1989? | |
Ich habe mit vielen Protagonisten von damals gesprochen und fand die sehr | |
unterschiedlichen Haltungen zu der Frage überraschend. Deutlich wurde mir, | |
dass die musikalischen Begegnungen über die Mauer hinweg noch mal etwas | |
anders waren als Waren-Import-Export. Es entstand eine unglaubliche Kraft, | |
wenn Künstler auf der anderen Seite auftraten mit allen Unwägbarkeiten, die | |
vor allem der DDR nicht gefielen. Zugleich gab es in der DDR einzelne | |
Menschen, die nicht warten wollten, bis von oben ein Schlupfloch in der | |
Mauer geöffnet wird, sondern die selbst Initiative zeigten. Mal waren das | |
radikale Systemgegner aus der Subkultur, mal auch Leute aus dem Apparat, | |
die die Musik liebten und Dinge im Rahmen des Erlaubten ermöglicht haben, | |
ohne das System infrage zu stellen. Leute wie Rainer Börner, der | |
hauptamtlich bei der Ostberliner FDJ-Bezirksleitung arbeitete, aber auch | |
ein Rock-’n’-Roller war. Er hatte sich für Konzerte von Bob Dylan, Depeche | |
Mode und Rio Reiser in Ostberlin eingesetzt, teilweise mit persönlichem | |
Risiko, und auch den Rocksommer 1988 mit den Auftritten von Bruce | |
Spingsteen und anderen in Weißensee geprägt. Er war zeitweise Stasi-IM und | |
hat unangepasste Bands in der FDJ gefördert, womit er sie auch ein Stück | |
weit ins System integrierte. An diesen Widersprüchen in der Biografie hatte | |
er bis zu seinem Tod zu knabbern. | |
18 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Gunnar Leue | |
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