| # taz.de -- DEFA-Filmmarathon im Kino Babylon: Mit DDR-Filmlegende im Kino | |
| > Das Kino Babylon in Berlin zeigt die 100 besten DEFA-Filme der 1970er | |
| > Jahre. Darunter ist der wohl bekannteste: „Die Legende von Paul und | |
| > Paula“. | |
| Bild: Auch Angela Merkel ist Fan: Auf ihren Wunsch zeigte die Deutsche Filmakad… | |
| Als ich 16 war, bin ich den Puhdys hinterhergereist. Ich war auf Konzerten | |
| in mehreren Städten, in Leipzig, Berlin und bin sogar extra nach Nürnberg | |
| gefahren, obwohl ich damals nicht mal wusste, wo sich die Stadt befindet, | |
| „halt irgendwo in Bayern“. | |
| Warum ich begonnen habe, eine DDR-Ostrock-Band zu fan-girlen, lässt sich | |
| mit meinem familiären Hintergrund erklären. Meine Leipziger Oma hatte Lust | |
| auf ein Konzert und so fanden wir uns 2014 in der Arena Leipzig wieder, um | |
| zusammen zu „Geh zu ihr“ zu tanzen. | |
| Wenn das Lied lief, sagten die Menschen auf meinen Puhdys-Konzerten oft: | |
| „Das ist doch das von Paul und Paula!“ | |
| [1][„Die Legende von Paul und Paula“] ist eine der erfolgreichsten | |
| Produktionen des DDR-Filmunternehmens [2][DEFA] Die Musik dazu schrieb | |
| Peter Gotthardt, die Puhdys spielten sie ein. Und da ich den Film noch nie | |
| gesehen habe, gehe ich ins Kino. | |
| ## Schwelgen in Ostalgie | |
| Im [3][Babylon] liefen vom 1. bis 24. Februar die 100 besten DEFA-Filme der | |
| 1970er Jahre, darunter Juwelen wie „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ und | |
| „Anton der Zauberer“. Pro Tag gibt es mehrere Filme bei freiem Eintritt, | |
| sodass mensch getrost DDR-Film-Marathons absolvieren kann. | |
| Außer durch Plakate in der Stadt wurde die Veranstaltung nicht groß | |
| beworben. Zudem steht sie etwas im Schatten der Berlinale, wo man | |
| Cineast:innen momentan eher antrifft. Das Babylon bietet dafür | |
| Ex-DDRler:innen einen Ort, gemeinsam in Ostalgie zu schwelgen. Es sind | |
| aber auch Menschen da, die sich einfach über den kostenlosen Eintritt | |
| freuen. | |
| Auf dem Weg zum Alexanderplatz hilft mir die Rätsel-App „Quizduell“ dabei, | |
| mich mental auf den Film vorzubereiten. Momentan gibt dort das | |
| Ostalgie-Quiz mit Fragen wie: „Wonach schmeckte die Süßigkeit ‚Kissen‘ … | |
| Viba?“ Ich bin zu jung, die richtige Antwort „Minze“ zu wissen und verlie… | |
| 8 zu 17 gegen Deutschland. | |
| ## Der seltsame Vorfilm | |
| Vor dem Eingang zu Babylon stehen noch andere junge Menschen, viele in | |
| ihren 20ern und teilweise englischsprachig. Sie haben nice Frisuren: | |
| Dauerwellen und Vokuhilas. Es sind aber auch welche da, die die DDR noch | |
| miterlebt haben könnten. | |
| Weil ich nicht das erste Mal da bin, weiß ich, dass das salzige Popcorn im | |
| Babylon das beste der Stadt. Es ist explizit als vegan ausgeschildert, was | |
| ich eine superliebe Geste finde. Darum schalte ich bei der Frage „aber ist | |
| Popcorn nicht immer vegan?“ auf stumm wie die Filmemacher:innen der | |
| 1920er Jahre. Ich gehe mit meinem Popcorn in den historischen Kinosaal 1, | |
| der gut belegt ist, ein paar mehr Leute hätten aber noch Platz. | |
| Doch bevor die „Die Legende von Paul und Paula“ startet, sehen wir einen | |
| Dokumentarfilm darüber, wie in Ostberlin der Palast der Republik | |
| hochgezogen wird. Die Doku zeigt Erich Honecker und viele Bauarbeiter. Am | |
| Anfang bin ich noch gespannt dabei, weil ich glaube, dass der „Paul und | |
| Paula“-Film so losgeht. Auch andere denken so und sind konzentriert, bis | |
| uns auffällt, dass Honecker wahrscheinlich eher nicht Teil des | |
| DDR-Kultfilm-Casts war. | |
| Es gefällt mir, filmisch ins Ostberlin der 1970er Jahre einzutauchen. Aber | |
| nach einer Viertelstunde wird es doch zu viel, den Arbeitern beim Palastbau | |
| auf dem Marx-Engels-Platz zuzuschauen. Den Leuten um mich herum geht es | |
| ähnlich, sie fangen an zu tuscheln und zu rascheln. Doch nur drei Minuten | |
| später, 1976, ist der Palast der Republik fertiggestellt und wird feierlich | |
| eröffnet. | |
| ## Eigenarten der DDR-Vergangenheit | |
| Dann beginnt der Hauptfilm, das Lied [4][„Wenn ein Mensch lebt“] begleitet | |
| die erste Szene, ich wippe mit dem Fuß. Ich meine zu hören, wie jemand | |
| mitsummt. | |
| Den Film finde ich gut. Kameraführung und Story-Telling sind anders, als | |
| ich es gewohnt bin. Er hat englische Untertitel, die ich mitlese, um Pauls | |
| Schwiegermutter in spe zu verstehen, die wirklich undeutlich redet. | |
| Manchmal lachen die Menschen im Publikum über Aussagen, die ich nicht | |
| verstehe. Sie erkennen wohl DDR-Sprechweisen und Eigenarten aus ihrer | |
| eigenen Vergangenheit wieder. | |
| Ich erkenne auch Dinge wieder, Bezeichnungen für Lebensmittel, | |
| Schreibblöcke, die bis heute bei meiner Leipziger Oma liegen. Eine Frau | |
| erzählt mir im Nachhinein: „So einen Schulranzen wie Paulas Tochter hatte | |
| ich auch.“ | |
| Ohne viel zu verraten, der Film hat ein unerwartetes, trauriges Ende. Das | |
| gesamte Kinopublikum schweigt und ich werde auch etwas sentimental. Dann | |
| laufe ich zurück zum Alex, einen Ohrwurm von „Geh zu ihr“ im Kopf. | |
| 24 Feb 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Legende_von_Paul_und_Paula | |
| [2] https://www.defa-stiftung.de/ | |
| [3] https://babylonberlin.eu/programm | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Wenn_ein_Mensch_lebt | |
| ## AUTOREN | |
| Wio Groeger | |
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