# taz.de -- Sozialrassistisch Verfolgte in NS-Zeit: Ein Leben lang herabgesetzt | |
> Ein Buch versammelt erstmals Biografien von Menschen, die die Nazis als | |
> „Asoziale“ oder „Berufsverbrecher“ verfolgten. In Hamburg wird es | |
> vorgestellt. | |
Bild: Wer dort war, ist Unrecht widerfahren: Fotos von Häftlingen des Lagers h… | |
HAMBURG taz | Dass ihr Vater Franz Walter 1937 verurteilt wurde und bis zum | |
Ende des Krieges im Konzentrationslager und in Gefängnissen inhaftiert war: | |
Davon gewusst hat Irmgard Fuchs immer. „Wir gingen von irgendetwas | |
Politischem aus“, schreibt sie in ihrem Beitrag „Für Franz: Wie die Nazis | |
das Leben meines Vaters verpfuschten“; lesen kann man ihn im soeben | |
erschienenen [1][Band „Die Nazis nannten sie ‚Asoziale‘ und | |
‚Berufsverbrecher‘]“ (Campus, 372 S., 29 Euro, E-Book 26,99 Euro). | |
Das [2][von Frank Nonnenmacher] herausgegebene Buch versammelt mehr als 20 | |
Geschichten von Opfern der sozialrassistischen Verfolgung durch das | |
NS-Regime. Verfolgt und mit einem schwarzen oder grünen Winkel | |
gekennzeichnet in Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen | |
inhaftiert wurden diese Menschen als vermeintlich genetisch verdorbene | |
[3][„Asoziale“], als „[4][Berufsverbrecher]“ oder „Arbeitsscheue“. | |
Es ist das erste Mal, dass Biografien einzelner Betroffener in Buchform | |
vorgestellt werden. Entstanden sind sie als erste Veröffentlichung des | |
[5][Verbands für das Erinnern an die verleugneten Opfer des | |
Nationalsozialismus] (Vevon). Den hatten im vergangenen Jahr rund 30 | |
Angehörige von Opfern gegründet, darunter Irmgard Fuchs und Frank | |
Nonnenmacher. | |
Dabei erzählt der Band nicht nur vom Schicksal der Menschen während des | |
Nationalsozialismus, sondern auch davon, wie diese Erfahrungen ihr Leben | |
nach der Befreiung 1945 geprägt haben: Die Stigmatisierung setzte sich in | |
der Bundesrepublik fort. | |
## Urteil wurde nie aufgehoben | |
Bis vor vier Jahren wurde dieser Opfergruppe die Anerkennung verwehrt, zu | |
Unrecht inhaftiert, gequält und ermordet worden zu sein. Erst 2020 | |
beschloss der Bundestag, dass niemand „zu Recht“ in einem | |
Konzentrationslager gesessen haben kann. | |
Weswegen Franz Walter verurteilt wurde, darüber habe er in der Familie | |
nicht gesprochen, erzählt Irmgard Fuchs der taz. Erst als Corona kam, sei | |
sie mit ihrem Mann ins Emsland gefahren, [6][ins ehemalige KZ Esterwegen]. | |
Dort sei alles hochgekommen: die Erzählungen des Vaters, seine | |
Selbstgespräche, dass er öfter geweint habe, dass ihn das alles immer | |
wieder eingeholt habe. | |
Fuchs begann nachzufragen und zu recherchieren und stieß überraschend auf | |
mehr als 50 Aktenordner und einen spektakulären Fall: Als reisender Händler | |
hatte ihr Vater Anfang der 1930er ein schlechtes Auskommen. | |
In Basel hatte er eine Lehre in einer Apotheke gemacht und gab sich nun als | |
Homöopath und Arzt aus. Als ein „falscher Arzt“ gesucht wird, glaubt die | |
Staatsanwaltschaft, ihn in Franz Walter gefunden zu haben. Die Frau, die | |
sich betrogen fühlt, erkennt ihn bei einer Gegenüberstellung nicht wieder, | |
behauptet aber auch, von ihm hypnotisiert worden zu sein. | |
Nach einem spektakulären Prozess wird er 1937 nach zwei Jahren | |
Untersuchungshaft zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Jahrelang muss Franz | |
Walter Zwangsarbeit im Moorlager Esterwegen leisten. Aufgehoben wird das | |
Urteil nie – trotz etlicher Versuche Walters, eine Revision zu bekommen. | |
Am 22. März stellen Irmgard Fuchs, Frank Nonnenmacher und drei weitere | |
Angehörige den Verband Vevon und die Geschichten ihrer Eltern und | |
Großeltern in Hamburg vor. | |
22 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/geschichte/die_naz… | |
[2] /Opfer-des-NS-Regime/!5906113 | |
[3] /Vergessene-Opfer-der-Nazis/!5491053 | |
[4] /Stolperstein-fuer-Berufsverbrecher/!5935561 | |
[5] https://www.dieverleugneten-vevon.de/ | |
[6] /NS-Gedenken-im-Emsland/!5907661 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
## TAGS | |
Erinnerung | |
Erinnerungspolitik | |
NS-Verbrechen | |
NS-Verfolgte | |
Stigmatisierung | |
Biografie | |
NS-Verbrechen | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Landgericht | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zwangsarbeiterinnen-Kinder in Hamburg: Sie lebten nur wenige Tage | |
Margot Löhr initiierte Stolpersteine für Zwangsarbeiterinnen-Kinder, die | |
das NS-Regime ermorden ließ. Nun wird ein Platz nach einem der Babys | |
benannt. | |
Gedenkstätte erinnert an Zwangsarbeiter: Im Namen Jesu | |
In Neukölln gab es das deutschlandweit einzige von Kirchengemeinden | |
betriebene Zwangsarbeitslager. Hier waren Männer aus der Ukraine, Belarus | |
und Russland interniert. | |
Hochstaplerin Anni Sanneck: „Vernichtung durch Arbeit“ | |
Das Leben einer der schillerndsten Kriminellen der 20er Jahre endete | |
tragisch – sie wurde Opfer des NS-Massenmordes an Strafgefangenen. | |
Opfer des NS-Regime: Eine Stimme für die Vergessenen | |
Ernst Nonnenmacher verbrachte drei Jahre als „Asozialer“ in KZs. Jetzt | |
gründet sein Neffe einen Verein, um an die vergessenen Opfer zu erinnern. | |
Vergessene Opfer der Nazis: Die Erinnerung wurde vertagt | |
Die Verfolgung von „Asozialen“ und „Berufsverbrechern“ durch die Nazis … | |
heute kaum bekannt. Das wollte der Bundestag ändern. Die Umsetzung stockt. |