# taz.de -- Stolperstein für „Berufsverbrecher“: Nicht einfach Schwarz und… | |
> Bekannt wurde Willy Brachmann als „der anständige Kapo“. In Hamburg wird | |
> er als einer der ersten "Berufsverbrecher" mit einem Stolperstein geehrt. | |
Bild: Ein Stolperstein zum Gedenken, nun auch an einen „Berufsverbrecher“ | |
HAMBURG taz | „Mir gefiel an der Geschichte, dass es eine schwierige | |
Geschichte ist“, sagt Anna Hájková. Sie sei keine Freundin | |
„sentimentalisierender Holocaustgeschichten“, führt die Historikerin aus. | |
Von Geschichten also mit verdächtig eindeutig zuzuweisenden Rollen, mit | |
Schwarz und Weiß und nichts dazwischen. | |
Um Grautöne aber, um Nuancen geht es, wenn [1][am kommenden Freitag] im | |
Hamburger Stadtteil Horn ein Stolperstein verlegt wird: Gewidmet ist er | |
Willy Brachmann, der unter anderem das Konzentrationslager Auschwitz | |
überlebte – eingesperrt als sogenannter Berufsverbrecher. | |
Ungefähr [2][sechseinhalbtausend Stolpersteine] – Stand April – erinnern in | |
Hamburg an die Opfer des Nationalsozialismus, dazu kommen drei | |
„Stolperschwellen“ sowie 20 Kopfsteine, beide verweisen nicht auf | |
Individuen, sondern Gruppen. | |
Mit Brachmann erhält nun erstmals ein „Berufsverbrecher“ so eine Ehrung – | |
zumindest, wenn man es genau nimmt. Seit Anfang 2020, [3][als der Bundestag | |
beschloss], neben den „Asozialen“ auch die „Berufsverbrecher“ als NS-Op… | |
anzuerkennen, wurden hie und da im Land schon Stolpersteine verlegt für | |
Menschen, die dieses Stigma trugen. Bloß: Dazu reichten im „Dritten Reich“ | |
schon wenige Vorstrafen. Und die haben bei den bisher Gewürdigten zu tun | |
mit dem Strafgesetzparagraf 175; der kriminalisierte praktizierte | |
Homosexualität schon seit dem Kaiserreich – und bis weit in die | |
demokratische Nachkriegszeit hinein. | |
## Er trat in die NSDAP ein | |
Brachmann dagegen wurde eine Reihe Eigentumsdelikte angelastet. Er klaute | |
notorisch, überliefert ist etwa eine Anekdote um ein geklautes Fahrrad, das | |
er einem Parteigenossen verkaufte. Denn das ist so eine Nuance in seiner | |
Vita: 1934 trat er in die NSDAP ein, aus Not und eigentlich ganz banal | |
opportunistischen Motiven. Und hielt später im Lager doch seine schützende | |
Hand über kommunistische Strukturen. | |
„Wir wissen nicht wahnsinnig viel über die sogenannten Berufsverbrecher“, | |
sagt Hájková. Das sei gerade „so wichtig an Brachmann: Hier können wir | |
einmal jemanden im Detail zeigen, weil wir wissen, dass er überlebt hat und | |
was er danach gemacht hat.“ Die Historikerin hat mit ihrer Forschung an der | |
Universität im englischen Warwick die Grundlage geliefert für die lokale | |
Stolperstein-Initiative. Fünf Jahre saß der 1982 in Hamburg Verstorbene in | |
Auschwitz, „hat alles gesehen und ist imstande, das zu reflektieren – und | |
Leuten zu helfen“. | |
In der Forschung sei er recht bekannt als „der anständige Kapo“: Verbrieft | |
sind zwei Mitinsass*innen, denen Brachmann im Juli 1944 das Leben rettete. | |
Der eine, Míša Grünwald, der heute als Frank Grunwald in den USA lebt, hat | |
sich immer wieder dafür ausgesprochen, dass an Willy Brachmann erinnert | |
wird. | |
Andere an seiner Stelle meldeten sich lieber freiwillig zum Gemetzel an der | |
Ostfront, als im Lager zu leiden – Brachmann blieb. Zu seinen Strategien, | |
um den Terror und den Stress auszuhalten, zählte Hájková zufolge unter | |
anderem beträchtlicher Alkoholkonsum. Und hinter Gittern saß Brachmann auch | |
nach dem Krieg, wieder wegen Diebstahls. | |
Ein strahlender Held, ein vorbildlich Geläuterter sähe wohl anders aus. | |
„Ich sehe es als Teil meiner Aufgabe, diese Geschichten zu erzählen“, sagt | |
Hájková, die am Freitag selbst in Hamburg dabei sein wird, gerade weil sie | |
unsere „Sicht verkomplizieren.“ | |
4 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php?MAIN_ID=0&RECORD_ID=479 | |
[2] https://www.stolpersteine-hamburg.de/index.php | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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