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# taz.de -- Finanzierung der UNRWA nach Vorwürfen: Höchste Zeit
> Eine wachsende Koalition von Geberländern hat die Hilfe für UNRWA trotz
> der Vorwürfe wieder aufgenommen. Fünf Gründe, warum Deutschland folgen
> sollte.
Bild: Lieferung mit Weizenmehl in Rafah, Anfang Februar
Vor sechs Wochen haben 18 Geberländer des UN-Hilfswerks für
Palästina-Flüchtlinge ([1][UNRWA]), darunter Deutschland, [2][ihre
Zahlungen gestoppt]. Grundlage für diese Entscheidung waren israelische
Vorwürfe, [3][laut derer zwölf UNRWA-Mitarbeiter am brutalen Angriff der
Hamas vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen seien]. UNRWA ergriff daraufhin
umfassende Maßnahmen.
Wegen der massiven Budgetkürzungen ist die Organisation nach eigenen
Angaben gezwungen, ihre Arbeit in Gaza, Ost-Jerusalem, der Westbank,
Jordanien, Libanon und Syrien, wo sie die Schulbildung sowie
Gesundheitsversorgung für Millionen von Palästinenser:innen
gewährleistet, ab April einzustellen. In [4][der humanitären Versorgung für
zwei Millionen Menschen] im vom israelischen Militäreinsatz zerstörten
Gazastreifen ist das Hilfswerk als wichtigster Akteur unabdingbar.
Norwegen teilt diese Einsicht. Anstatt seine Unterstützung zu unterbrechen,
knüpfte das Land seine Mittelvergabe an stärkere Kontrollen und die
Abklärung der israelischen Vorwürfe. Die EU, Spanien, Kanada, Schweden,
Irland, Dänemark und Australien haben nun ihre zeitweise ausgesetzten
Zahlungen an UNRWA wiederaufgenommen oder sogar erhöht, teilweise mit
ähnlichen Auflagen. Als zweitgrößter Geber sollte auch Deutschland sich
umgehend dieser wachsenden Koalition anschließen, aus fünf Gründen.
## Kürzungen gefährden Zivilist:innen in Gaza
Erstens hat UNRWA glaubhaft und umfassend auf die Vorwürfe reagiert. Noch
im Mai 2023 durchliefen alle 13.000 UNRWA-Mitarbeiter:innen in Gaza einen
regelmäßigen Sicherheits- und Neutralitätscheck und wurden auch von Israel
überprüft. Auf Israels Vorwürfe antwortete das Hilfswerk umgehend.
UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini entließ in Absprache mit
UN-Generalsekretär António Guterres die zwölf Genannten ohne vorherige
Prüfung der Vorwürfe. Alle Mitarbeiter:innen, die nachweislich an
Terrorattacken beteiligt gewesen seien, würden zur Rechenschaft gezogen und
strafrechtlich verfolgt, so Lazzarini.
Außerdem wurden unabhängige, ausführliche Überprüfungen UNRWAs sowie der
Vorwürfe eingeleitet: einerseits durch das Büro für interne Aufsicht der
Vereinten Nationen, andererseits durch eine externe, unabhängige
Kommission, die von der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine
Colonna geleitet wird.
Zweitens würde ein Boykott [5][UNRWAs die ohnehin katastrophale humanitäre
Situation in Gaza noch verschlimmern].
Ende Februar forderten 17 angesehene, auf Krisengebiete spezialisierte
internationale NGOs die EU- und Geberländer [6][in einem gemeinsamen
Statement] auf, ihre Unterstützung UNRWAs fortzusetzen, darunter Oxfam und
Plan International. Keine andere Hilfsorganisation könne UNRWA in Gaza
ersetzen und ohne UNRWA könnten über die Hälfte der dort agierenden
internationalen NGOs keine Hilfe leisten, weshalb sie sich solidarisch mit
dem Hilfswerk zeigten. „Jede weitere Kürzung der UNRWA-Finanzierung wäre
ein effektives Todesurteil für Zivilisten […] deren Überleben auf die
Organisation angewiesen ist.“ Das Ausbleiben der UNRWA-Unterstützung führe
zu vermeidbarem Tod, Krankheiten und Hunger in Gazas Zivilbevölkerung.
## Keine stichhaltigen Beweise veröffentlicht
Drittens könnte man vermuten, dass Israels [7][Vorwürfe gegen UNRWA] Teil
einer politischen Kampagne sind. Denn seit Kriegsausbruch ist die
Delegitimierung UNRWAs ein integraler Bestandteil von Israels PR-Strategie,
unter anderem durch die Veröffentlichung immer neuer, unabhängig nur schwer
zu überprüfender Anschuldigungen. Detaillierte Recherchen von Spiegel und
dis:orient zur Entstehungsgeschichte dieser Vorwürfe zeigen: Israel hat
bisher keine stichhaltigen Beweise mit der UNRWA-Untersuchungskommission,
verbündeten US-Geheimdiensten oder den Medien geteilt. Deutsche wie
internationale Medien popularisierten die Vorwürfe und statteten sie so mit
Glaubwürdigkeit aus – selbst Netanjahus wohl eher haltlose Behauptung, dass
UNRWA „vollkommen infiltriert“ von der Hamas sei – ohne Beweise von Israel
einzufordern oder die dahinterstehende PR-Kampagne zu benennen.
Einige der Anschuldigungen könnten durchaus zutreffen. Doch unabhängig
davon unterstreicht Israels Weigerung, stichhaltige Beweise zu liefern,
dass die Vorwürfe vor allem medienwirksam auf eine grundsätzliche Kritik an
UNRWA abzielen. Dies legen auch Aussagen von UNRWA-Mitarbeiter:innen nahe,
nach denen sie durch Folter zu [8][falschen Geständnissen über die
Zugehörigkeit zur Hamas gezwungen worden seien.]
Viertens bringt das jetzige Vorgehen UN-Institutionen in Gefahr.
Deutschland erklärt, auf die Ergebnisse der unabhängigen Untersuchung zu
den Vorwürfen gegen UNRWA zu warten, deren Interim-Report Ende März
erscheint – nur wird er nicht alle Vorwürfe ausräumen. Bereits jetzt halten
pro-israelische Stimmen die Untersuchung für eine Farce. Doch selbst
mutmaßliche Vergehen von zwölf Individuen rechtfertigen nicht die
grundsätzliche Infragestellung einer UN-Institution. Zu dulden, dass Israel
keine Beweise für die Vorwürfe mit der UN oder Verbündeten teilt, könnte
ferner supranationale Institutionen wie die UN nachhaltig schädigen, wenn
sich Anschuldigungen ohne Beweise in Zukunft als Methode durchsetzen.
Fünftens kostet Deutschlands Zögern Menschenleben. Als zweitgrößter
Geldgeber hängen an Deutschlands Entscheidung unzählige Leben hungernder
Zivilisten in Gaza, wie auch Amnesty International betont. Für Zögern
bleibt keine Zeit. Ein deutscher Vorstoß zur Wiederherstellung von UNRWAs
Unterstützung könnte die gespaltene EU-Außenpolitik einen. Wenn Olaf Scholz
seinen humanitären Einsatz für Gazas Zivilbevölkerung ernst meint, wäre
nicht eine Luftbrücke, sondern die sofortige Wiederaufnahme der
Unterstützung UNRWAs das effektivste Mittel. Moralisch wie strategisch ist
es dafür höchste Zeit.
21 Mar 2024
## LINKS
[1] /-Nachrichten-im-Nahost-Krieg-/!5999419
[2] /Drohendes-Aus-fuer-UNRWA-Hilfswerk/!5992169
[3] /UN-Hilfswerk-in-Gaza/!5990407
[4] /Vorwuerfe-gegen-UN-Hilfswerk/!5987778
[5] /Vorwuerfe-gegen-UN-Fluechtlingshilfswerk/!5987712
[6] https://plan-international.org/eu/news/2024/02/29/ngo-statement-eu-unrwa/
[7] /Vorwuerfe-gegen-UNRWA/!5987756
[8] https://www.reuters.com/world/middle-east/unrwa-report-says-israel-coerced-…
## AUTOREN
Jan Altaner
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