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# taz.de -- Deutschland und der Krieg in Gaza: Viel Einigkeit und Lob
> Bei einer „aktuellen Stunde“ im Bundestag hat die Außenmministerin für
> ihren Kurs gegenüber Israel Lob aus der Union erhalten. Nur eine
> widerspricht.
Bild: Annalena Baerbock am 21.03. im Bundestag
BERLIN taz | Mehr als eine Million [1][Menschen in Gaza seien akut vom
Hungertod] bedroht, die Geiseln immer noch nicht befreit, sagte Annalena
Baerbock am Donnerstag im Bundestag. „Dieses Leid stellt uns auf eine
schwere Probe“, gab die Außenministerin zu. Immer wieder höre sie den
Vorwurf der Doppelmoral – „egal, ob beim G20-Gipfel oder vor einer
Schulklasse in der Region“.
Aber, stellte Baerbock klar: „Wir stehen für die Sicherheit Israels und
seiner Bürger“. Doch die „Staatsraison“ sei nicht alles: „Gleichzeitig
stehen wir zum humanitären Völkerrecht“. Deshalb trete sie für einen
humanitären Waffenstillstand ein.
Alle Länder schauten „vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte“ auf das
Leid in Israel und Gaza, so Baerbock. „Ich schaue als Außenministerin eines
Staates auf diese Situation, der die Verantwortung für das schlimmste
vorstellbare Verbrechen trägt: die Shoah“, erklärte sie. Zugleich sagte die
Grünen-Politikerin: „Unser Standard ist das Recht. Unser Standard ist die
Menschlichkeit, die uns leitet“. Diese Menschlichkeit sei „unteilbar“. Am
Sonntag reist sie wieder in den Nahen Osten: zum siebten Mal seit dem 7.
Oktober.
SPD-Parteichef Lars Klingbeil hatte kürzlich eingeräumt, dass es im
globalen Süden „erhebliche Zweifel“ daran gebe, dass Israel bei seinem
Vorgehen in Gaza das Völkerrecht achte [2][und die Verhältnismäßigkeit]
wahre. Diese Zweifel müsse man „ernst nehmen“, hatte er bei einer
Veranstaltung in Berlin gesagt. In Deutschland werden solche Zweifel nach
fünf Monaten allmählich auch immer lauter.
## Nils Schmid zieht eine rote Linie
Eine israelische [3][Bodenoffensive in der Grenzstadt Rafah], wo 1,5
Millionen Palästinenser Zuflucht gesucht haben, nannte Nils Schmid (SPD) am
Donnerstag im Bundestag jetzt eine rote Linie: damit sei die
Verhältnismäßigkeit nicht mehr gewahrt, sagte er. Die Ziele der
Bundesregierung seien deshalb klar: es brauche einen Waffenstillstand –
auch, um die Geiseln zu befreien – und, die humanitäre Hilfe für die
Menschen in Gaza müsse dringend verbessert werden. Air Drops und Seebrücken
seien nicht genug, darüber zeigten sich SPD und Grüne einig. „Eigentlich
müsste die Hilfe übers Land kommen“, räumte Baerbock ein.
Wer dafür verantwortlich ist, dass zu wenig Hilfe im Gazastreifen ankommt,
so dass dort jetzt eine [4][Hungersnot] herrscht, das wollte keiner so
deutlich sagen, dabei liegt die Antwort auf der Hand. Genau so, wie allen
klar ist, dass Israels Premier Netanjahu noch immer an einer Bodenoffensive
in Rafah festhält und eine Zweistaatenlösung ablehnt, die alle beschwören.
Doch in der aktuellen Stunde zur „Lage in Israel und den palästinensischen
Gebieten“, die am Donnerstag auf Antrag der Ampel-Fraktionen angesetzt
wurde, wollte ihn keiner so direkt kritisieren. Stattdessen bemühten sich
fast alle Rednerinnen und Redner um Diplomatie und große Einigkeit.
Fast alle betonten, dass Israel das Recht habe, sich zu verteidigen. Fast
alle machten in erster Linie die Hamas und niemanden sonst für das Leid im
Gazastreifen verantwortlich. Fast alle sprachen sich für eine
Zweistaatenlösung als langfristiges Ziel aus. Und mehrere Rednerinnen und
Redner dankten Baerbock persönlich für ihren Einsatz und ihre
„Pendeldiplomatie“ im Nahen Osten – sogar der CDU-Politiker Johann Wadepu…
aus der Opposition. Und selbst der AfD-Abgeordnete Joachim Wundrak gab sich
staatstragend: „Wir stehen fest an der Seite Israels“, betonte er.
## Wenig Widerspruch, viel Diplomatie
Widerspruch gab es aus der Union nur dagegen, dass Klingbeil und Schmid
leichte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des israelischen Vorgehens
geäußert hatten: das wurde dort schon als unzulässige Absetzbewegung von
„unseren israelischen Freunden“ (Wadepuhl) angesehen. An deren Seite wollen
vor allem Redner von CDU, FDP und AfD weiterhin unverbrüchlich stehen.
Viele Reden klangen dabei so, als hätten sie schon vor Monaten genau so
gehalten werden können, und als sei in der Zwischenzeit nichts passiert.
Der FDP-Abgeordnete Marcus Faber wärmte sogar das Märchen auf, die Hamas
hätte „40 Babies ermordet“ – eine Behauptung, die längst widerlegt wurd…
Der CSU-Abgeordnete Florian Hahn sprach von „Barbaren“ und polterte: „Wer
das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, der sollte nicht in Deutschland
sein.“
Fast alle Rednerinnen und Redner beschworen eindringlich das Grauen des
Hamas-Angriffs vom 7.Oktober. Für das Grauen in Gaza fanden die meisten von
ihnen deutlich weniger Worte. Lediglich Baerbock und andere Rednerinnen und
Redner von Grünen, Linken und SPD gingen darauf ein. Und nur Amira Mohamed
Ali vom „Bündnis Sahra Wagenknecht“ fiel aus dem Rahmen, als sie sagte, das
israelische Vorgehen habe „nichts mehr mit Selbstverteidigung zu tun“. Sie
war auch die Einzige, die Deutschlands Waffenlieferungen an Israel ansprach
– allerdings, ohne es mit einer Forderung zu verbinden. Auch die Frage, ob
Deutschland wieder Gelder an das Palästinenser-[5][Hilfswerk UNWRA] fließen
lassen soll, wurde im Bundestag nicht diskutiert.
Andere Länder sind da schon weiter – auch Verbündete. Kanada hat jetzt
seine Waffenlieferungen an Israel gestoppt und die Finanzierung von UNRWA
wieder aufgenommen. Beim EU-Gipfel der europäischen Staats- und
Regierungsschefs in Brüssel, an dem Olaf Scholz am Freitag teilnahm, haben
die EU-Staaten ihren Ton gegenüber Israel deutlich verschärft: auch die
europäischen Staats- und Regierungschefs fordern angesichts der
dramatischen Notlage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen eine sofortige
Feuerpause. Diese solle zu einem nachhaltigen Waffenstillstand, zur
bedingungslosen Freilassung aller im Gazastreifen festgehaltener Geiseln
und zu mehr humanitärer Hilfe führen, heißt es in einer Erklärung, die am
Donnerstagabend verabschiedet wurde.
In der EU halten sich konservativ geführte Länder wie Österreich,
Tschechien und Ungarn mit Kritik zurück, während links regierte Länder wie
Spanien und Belgien auf eine stärkere Reaktion drängen: sie halten das
Vorgehen Israels im Gazastreifen für völkerrechtswidrig. Deutschland steht
mittlerweile dazwischen. Auch die USA haben ihren Ton verschärft: sie
wollen sich im UN-Sicherheitsrat erstmals für eine „sofortige Feuerpause“
im Gazastreifen einsetzen. Bisher hatten sie im UN-Sicherheitsrat gegen
mehrere Resolutionen, in denen sofortige Feuerpausen im Krieg zwischen
Israel und der Hamas gefordert wurden, stets ihr Veto eingelegt.
22 Mar 2024
## LINKS
[1] /Humanitaere-Lage-in-Gaza/!5996322
[2] /Guterres-Aeusserungen-zum-Voelkerrecht/!5965408
[3] /Angekuendigte-Rafah-Offensive/!5999513
[4] /UN-Standards-fuer-Ernaehrungssicherheit/!5996321
[5] /Finanzierung-der-UNRWA-nach-Vorwuerfen/!5996443
## AUTOREN
Daniel Bax
## TAGS
Außenpolitik
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