| # taz.de -- Humanitäre Lage in Gaza: Hunger-Alarmstufe Rot | |
| > Laut einem UN-Bericht leidet ein Drittel der Bevölkerung unter | |
| > „katastrophalem Hunger“. Israel bestreitet jegliche Verantwortung an der | |
| > Situation. | |
| Bild: Schlange stehen in Chan Junis im südlichen Gaza: Nur ein Bruchteil der h… | |
| Jerusalem taz | Seit Wochen warnen Hilfsorganisationen: Hilfsabwürfe aus | |
| der Luft oder vereinzelte Lieferungen per Schiff könnten eine Hungersnot im | |
| Gazastreifen nicht abwenden. [1][Ein Bericht] mehrerer UN-Organisationen | |
| bestätigte am Montag die Warnungen: 677.000 Menschen leiden unter | |
| „katastrophalem Hunger“, der höchsten Warnstufe. Binnen Wochen könnte die | |
| Zahl auf mehr als eine Million steigen. Eine Hungersnot könne im | |
| abgeriegelten Norden schon ab März eintreten, schreiben Experten der | |
| sogenannten IPC-Initiative für die Analyse von Nahrungskrisen. | |
| Am Dienstag unterstrich US-Außenminister Antony Blinken die düsteren | |
| Vorhersagen: „Einhundert Prozent der Bevölkerung in Gaza sind von akuter | |
| Ernährungsunsicherheit betroffen“, sagte er bei einer Pressekonferenz auf | |
| den Philippinen. „Das ist das erste Mal, dass eine ganze Bevölkerung so | |
| eingestuft wird.“ Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bestreitet die | |
| humanitäre Katastrophe, doch selbst israelische Experten warnen, das Land | |
| könnte sich durch seinen Kriegskurs international isolieren. | |
| Als „menschengemacht“ und „vollständig vermeidbar“ bezeichnet der | |
| IPC-Bericht die Lage im Gazastreifen. Zu dem Zusammenschluss gehören unter | |
| anderem das Welternährungsprogramm WFP und die Weltgesundheitsorganisation | |
| WHO. UN-Nothilfekoordinator Jamie McGoldrick sagte am Montag in Jerusalem, | |
| nur eine Öffnung sämtlicher Grenzübergänge in den Gazastreifen für | |
| Hilfslieferungen könne eine Katastrophe verhindern. Schiffslieferungen und | |
| Abwürfe von [2][Hilfsgütern aus der Luft], wie sie in den vergangenen | |
| Wochen mehrfach von den USA, Jordanien und Deutschland durchgeführt wurden, | |
| nannte er „PR-Aktionen“, die kaum helfen würden. | |
| ## Seit Monaten nur ein Bruchteil vorhanden | |
| Auch zwölf Hilfskonvois, die laut UN-Angaben in den ersten zwei Märzwochen | |
| von der israelischen Armee im Norden ermöglicht worden seien, reichen nicht | |
| aus. Im Süden des Küstenstreifens, wo die Mehrheit der Bevölkerung derzeit | |
| Schutz sucht, verschlechtere sich die Situation ebenfalls. Ohne eine | |
| Einstellung der Kampfhandlungen und eine massive Ausweitung der humanitären | |
| Hilfe sei auch der Rest des Gazastreifens von einer Hungersnot bedroht. | |
| Seit Monaten gelangt nur ein Bruchteil der 500 Lastwagen mit humanitärer | |
| Hilfe, die vor dem Krieg täglich die Grenze passierten, nach Gaza. Im | |
| Februar fiel deren Zahl im Tagesdurchschnitt sogar unter 100 pro Tag. Vor | |
| diesem Hintergrund hat das UN-Menschenrechtsbüro Israel mögliche | |
| Kriegsverbrechen vorgeworfen: „Die anhaltende Beschränkung von Hilfsgütern | |
| und die Art und Weise, wie die Kampfhandlungen weitergeführt werden, könnte | |
| auf einen Einsatz von Hunger als Kriegswaffe bedeuten“ sagte ein Sprecher. | |
| „Hungersnot ist keine Naturkatastrophe“ | |
| Bereits im Dezember hätten die Prognosen deutlich auf die drohende | |
| Katastrophe hingewiesen, schreibt Jeremy Konyndyk, Direktor der | |
| Nichtregierungsorganisation Refugees International. Er habe „in 25 Jahren | |
| als humanitärer Helfer keine solch düstere Analyse gesehen“. Die Hungersnot | |
| habe längst begonnen, „die Frage ist, wie viel Dynamik sie entwickeln | |
| darf“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte Israel auf, sofort | |
| Routen für Hilfslieferungen über Land zu öffnen. „Diese Hungersnot ist | |
| keine Naturkatastrophe, kein Erdbeben.“ | |
| Die israelische Führung zeigt sich indes unbeeindruckt: Außenminister | |
| Israel Katz forderte von Borrell, dieser solle „aufhören, Israel | |
| anzugreifen“. Regierungschef Netanjahu sagte der [3][Zeitschrift | |
| Politico]in einem Interview am Sonntag auf eine Frage zur drohenden | |
| Hungersnot: „Das sind nicht die Informationen, über die wir verfügen.“ | |
| Israel lasse so viel humanitäre Hilfe wie möglich zu. | |
| Damit widerspricht Netanjahu seinen eigenen Aussagen bis vor wenigen | |
| Wochen, denen zufolge für einen „Sieg“ über die Hamas nur „minimale | |
| humanitäre Hilfe“ für die Bevölkerung in Gaza möglich sei. | |
| Verteidigungsminister Joav Galant hatte bereits zwei Tage nach dem brutalen | |
| Überfall der Hamas im Oktober eine „vollständige Blockade“ des | |
| Küstenstreifens ausgerufen. Erst Mitte März kündigte Armeesprecher Daniel | |
| Hagari an, das Militär wolle „Gaza mit Nahrungsmitteln fluten“. Laut einem | |
| Bericht des israelischen Senders Kanal 12 herrscht in der israelischen | |
| Führung jedoch Streit, wer die Hilfen in Gaza verteilen soll. | |
| ## Israel erschwert Einfuhr von Hilfslieferungen | |
| Mehreren Berichten zufolge erschwert Israel kontinuierlich an mehreren | |
| Punkten die Einfuhr von Hilfslieferungen. Zum einen bleibt ein Großteil der | |
| Grenzübergänge, die sich bis auf Rafah an der ägyptischen Grenze unter | |
| israelischer Kontrolle befinden, weiterhin geschlossen. Zum anderen prüft | |
| die israelische Behörde Cogat jede Hilfslieferung auf Gegenstände, die auch | |
| für andere als humanitäre Zwecke genutzt werden können. | |
| Dabei würden laut einer Recherche des US-Senders CNN häufig ganze | |
| Lastwagenladungen wegen einzelner Gegenstände wie Nagelscheren oder | |
| Gehhilfen zurückgewiesen. Laut UN-Nothilfekoordinator McGoldrick türmten | |
| sich in Lagern in Ägypten „Berge von dringend benötigtem Material“. | |
| Auch das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge UNRWA, das zu den | |
| wichtigsten Organisationen für die Verteilung von Hilfsgütern innerhalb des | |
| Küstenstreifens gehört, gerät zunehmend unter Druck. Dem Chef der | |
| Organisation, Philippe Lazzarini, wurde nach eigenen Angaben sowie laut dem | |
| ägyptischen Außenministerium am Montag der Zugang nach Gaza verwehrt. | |
| ## Israels Verantwortung, Hungersnot zu lindern | |
| Zudem wurden seit Oktober 150 UNRWA-Einrichtungen angegriffen und 165 | |
| Mitarbeiter getötet. Israel wirft mehr als 30 Mitarbeitern der Organisation | |
| eine Beteiligung an den Massakern am 7. Oktober vor. Hunderte weitere | |
| sollen [4][Verbindungen zur Hamas] haben. Bisher hat die israelische | |
| Führung dafür nur wenige Beweise veröffentlicht. | |
| Viele Israelis wollen indes keine Hilfen in den Gazastreifen lassen, bevor | |
| nicht die noch immer 130 von der Hamas verschleppten Geiseln freigelassen | |
| wurden. Mitte Februar gaben in einer Umfrage des Israelischen | |
| Demokratie-Instituts 68 Prozent der jüdischen Israelis an, gegen | |
| Hilfslieferungen zu sein. | |
| Angesichts der drohenden Hungersnot in Gaza gibt es jedoch auch in Israel | |
| Stimmen, die vor einer Fortsetzung dieser Politik warnen. Eran Etzion, der | |
| frühere stellvertretende Leiter des Nationalen Sicherheitsrates, sagte: | |
| „Es ist Israels rechtliche Verantwortung, eine Hungersnot zu verhindern – | |
| alles andere wäre ein Verstoß gegen die Regeln, die Israel vorgibt | |
| einzuhalten.“ | |
| 19 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ipcinfo.org/fileadmin/user_upload/ipcinfo/docs/IPC_Gaza_Strip_A… | |
| [2] /Versorgung-Gazas-aus-der-Luft/!5993414 | |
| [3] https://www.politico.eu/article/israel-pm-netanyahu-denies-palestinians-are… | |
| [4] /Hamas-Terrorangriff/!5985551 | |
| ## AUTOREN | |
| Felix Wellisch | |
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