# taz.de -- Bundesregierung zum Gazakrieg: Kaum feministische Ausrichtung | |
> Im Umgang mit der humanitären Situation in Nahost bleibt Deutschland | |
> hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Feministische Ansätze sind kaum | |
> erkennbar. | |
Bild: Außenministerin Annalena Baerbock Ende März vor dem Grenzübergang zum … | |
Die Bundesregierung möchte eine feministische Außenpolitik verfolgen. Seit | |
einem Jahr konkretisieren Leitlinien des Auswärtigen Amtes, wie dies | |
aussehen soll. Im Umgang mit der humanitären Katastrophe in Gaza infolge | |
des Massakers der Hamas am 7. Oktober und dem darauf folgenden und bis | |
heute andauernden Krieg Israels in Gaza ist von feministischen Ansätzen | |
allerdings wenig erkennbar. | |
Dabei sind die Auswirkungen auf Zivilist*innen katastrophal. Über | |
30.000 Menschen sind bereits umgekommen, darunter mehrheitlich Frauen und | |
Kinder. Laut UN bringen täglich etwa 180 Frauen ein Kind in dem | |
Kriegsgebiet zur Welt. Aufgrund der fehlenden medizinischen Versorgung | |
finden Kaiserschnitte teilweise ohne Anästhesie statt, postnatale | |
Versorgung ist kaum möglich. Mangelernährung und Dehydrierung angesichts | |
der zunehmenden Hungerkrise ist für Neugeborene und Kinder, alte und kranke | |
Menschen besonders fatal. Die Zivilgesellschaft aus der Region und weltweit | |
weist unermüdlich darauf hin und fordert von der Bundesregierung einen | |
Kurswechsel und Rückbesinnung auf ihren Anspruch feministischer Politik. | |
Anknüpfungspunkte dafür gäbe es viele: die Forderung nach einem sofortigen | |
humanitären Waffenstillstand. Die stärkere öffentliche Unterstützung der | |
Verhandlungen über die Befreiung israelischer Geiseln. Die Aufarbeitung und | |
Dokumentation von Menschenrechtsverstößen und [1][sexualisierter Gewalt], | |
Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit im Kriegsgebiet und die | |
Bereitstellung unmittelbarer humanitärer Hilfe angesichts einer sich | |
verschärfenden Hungersnot und Krise menschlicher Sicherheit. | |
## Teilhabe von Frauen umsetzen | |
Kurz: den Schutz der betroffenen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. | |
Denn feministische Ansätze denken Sicherheit nicht nur als Stabilität von | |
Staaten, sondern stellen das Wohlergehen des einzelnen Menschen in den | |
Mittelpunkt. Vor allem stehen diejenigen im Fokus, deren Perspektiven von | |
traditioneller Außenpolitik nach wie vor weniger Berücksichtigung finden. | |
Das betrifft zum Beispiel Frauen, Kinder und Gruppen, die strukturell | |
aufgrund sexueller, religiöser, ethnischer oder anderer Merkmale | |
diskriminiert werden. | |
Das Auswärtige Amt hat somit als Ziel deutscher feministischer Außenpolitik | |
definiert, die Rechte dieser zu stärken, die gerechte Verteilung von | |
Ressourcen zu ermöglichen und die Teilhabe von Frauen und anderen | |
marginalisierten Gruppen umzusetzen. Doch der Umgang mit dem Krieg in Gaza | |
scheint in Teilen im Widerspruch mit diesen Prinzipien zu stehen. | |
Eine Stärkung der Rechte würde bedeuten, die Menschenrechte der Betroffenen | |
zu schützen und das Völkerrecht zu stärken. Um die humanitäre Notlage vor | |
Ort zu lindern, ist ein sofortiger humanitärer Waffenstillstand angezeigt. | |
## Feministische Organisationen sind strukturell unterfinanziert | |
Hier war Deutschland zu lange zu zögerlich und hat sich in der Abstimmung | |
der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2023 noch der | |
Stimme enthalten. Aus menschenrechtlicher Perspektive sind auch | |
Rüstungsexporte nach Israel problematisch, ebenso wie die Aufhebung des | |
Exportstopps nach Saudi-Arabien. | |
Der Blick auf Ressourcen bedeutet zunächst humanitäre Hilfe in einem | |
erforderlichen Umfang. Auch wenn Deutschland Zahlungen aufgestockt hat: Die | |
eingestellten Zahlungen an die Palästinenser verschärfen die Not der | |
Menschen. Über humanitäre Hilfe hinaus geht es um Unterstützung für | |
Akteur*innen und Organisationen, die sich für politische und friedliche | |
Lösungen einsetzen. Besonders feministische und Frauenrechtsorganisationen | |
sind ohnehin strukturell unterfinanziert und haben damit weniger | |
Handlungsspielraum. | |
Im Sinne der Teilhabe und Repräsentation geht es vor allem um den Einbezug | |
von Frauenrechts- und feministischen Organisationen aus dem israelischen | |
und palästinensischen Kontext. Denn Betroffene sind nicht nur Opfer, | |
sondern auch Expert*innen ihrer Situation. Deswegen sollten sie ebenso | |
an der Beilegung von Konflikten beteiligt werden wie die Verursacher von | |
Konflikten. Nur so können lokale Perspektiven, Bedürfnisse und Expertisen | |
einbezogen werden, die erwiesenermaßen zu nachhaltigeren, stabileren und | |
umfassenderen Ergebnissen führen. Und genau daran hapert es. | |
Denn im Ausland wird der Graben zwischen feministischem Anspruch und | |
Wirklichkeit durchaus wahrgenommen, zumal sich der deutsche Diskurs | |
gleichzeitig immer wieder in einer Nabelschau verfängt. Statt Diskussionen | |
zu Lösungsansätzen überwiegen innenpolitische Debatten wie zuletzt wieder | |
im Rahmen der Berlinale. | |
Damit isoliert sich Deutschland zunehmend von der Zivilgesellschaft in der | |
Region. Akteur*innen, die dem Konzept einst wohlwollend gegenüberstanden, | |
wenden sich enttäuscht ab. So lehnen Organisationen deutsche | |
Projektförderungen und Wissenschaftler*innen Einladungen nach | |
Deutschland ab – teils als schlichtem Boykott, teils aus der Befürchtung | |
heraus, sich [2][im deutschen Diskurs] nicht mehr ohne Konsequenzen für ihr | |
berufliches und privates Leben äußern zu können. Ein Problem für eine | |
Politik, die auf Expertise vor Ort angewiesen ist. | |
Im Umgang mit dieser Katastrophe menschlicher Sicherheit auf beiden Seiten | |
ist diese selbst produzierte Isolation fatal. Die Bundesregierung täte gut | |
daran, regionale, feministische Expertise mit zivilgesellschaftlichen | |
Stimmen zusammenzubringen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. | |
Insbesondere da die Linderung der humanitären Krise eine notwendige | |
Bedingung für die Bearbeitung der politischen Krise ist. | |
Mit den Leitlinien für feministische Außenpolitik hat sich die deutsche | |
Außenpolitik auf ein ambitioniertes und vielversprechendes Konzept | |
festgelegt. Sie würde von einer Rückbesinnung darauf profitieren. | |
9 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Mittelhammer | |
Leonie Stamm | |
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