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# taz.de -- Konflikt um feministische Außenpolitik: Die langen Schatten des Na…
> Der Think Tank für feministische Außenpolitik CFFP hat keinen Beirat
> mehr. Ein Vorwurf: Man wolle Stimmen zum Gaza-Krieg unterdrücken.
Bild: 17. Oktober 2024, Gaza Stadt: Eine Frau in den Trümmern einer zerstörte…
Berlin taz | Die Szene, die eine der namhaftesten feministischen
Organisationen der Bundesrepublik in ihren bislang größten Konflikt stürzen
sollte, ist gut dokumentiert. Am 21. Oktober versammeln sich auf Einladung
des Centres for Feminist Foreign Policy (CFFP) unter anderen die
Schauspielerin Natalia Wörner, die Anwältin Christina Clemm, die
Journalistin und Aktivistin Düzen Tekkal sowie als Stargast
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in einer Galerie in
Berlin-Mitte. Rund 300 Gäste sind vor Ort, Hunderte weitere schalten sich
online dazu.
Die Forderungen des Treffens sind innenpolitisch motiviert: „Femizide
verhindern, Abtreibungen legalisieren!“ Schwung geben soll das einem
bundesweiten Gewalthilfegesetz, das nicht umgesetzt wird, sowie der
Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die die Ampelregierung vor
allem aufgrund der Blockade der FDP aussitzt. Dass der Nahostkonflikt an
diesem Tag eine Rolle spielen würde, ist nicht geplant.
„Wir haben die Pressekonferenz auch mit Annalena Baerbock gemacht, weil sie
eine der wenigen PolitikerInnen ist, die sich aktuell für das Thema
Schwangerschaftsabbruch einsetzt“, sagt [1][Kristina Lunz] heute. Lunz ist
Gründerin und Co-Geschäftsführerin des CFFP, einer gemeinnützigen
Forschungs- und Beratungsorganisation für feministische Außenpolitik mit
Sitz in Berlin. Sie hat die Konferenz gemeinsam mit der
[2][Menschenrechtsorganisation Hawar.help] organisiert.
Doch die deutsche Außenministerin nur zur Innenpolitik zu laden ist dieser
Tage kaum möglich. Zehn Tage zuvor hatte Baerbock eine Rede im Bundestag
gehalten. Zivile Orte wie Schulen, sagte sie dort im Hinblick auf Gaza,
könnten ihren Schutzstatus verlieren, wenn Terroristen sich darin
verschanzten. Ein Video von Teilen ihrer Rede sorgte international für
Empörung. Auch [3][die deutschen Waffenlieferungen an Israel] werden von
vielen – auch von internationalen Feministinnen – kritisiert.
Bei der Konferenz in Berlin-Mitte brechen sich diese Konflikte Bahn. Ein
Video, das online zu sehen ist, schwenkt vom Zuschauerraum zum Podium und
zurück. „Stoppt den Genozid an palästinensischen Frauen!“, ruft eine Frau
im Publikum immer wieder auf Englisch. Offensichtlich adressiert sie
Baerbock: „Sie ermöglichen den Genozid!“, ruft sie, „stoppt den Genozid!…
Zu hören ist, wie Kristina Lunz versucht, die Schauspielerin Natalia Wörner
anzukündigen. „Das sind wichtige Punkte“, sagt Lunz noch in Richtung der
Frau. „Es ist Zeit für Fragen danach!“ Die Frau wird schließlich von zwei
Mitarbeiterinnen des Organisationsteams aus dem Saal begleitet.
Seitdem bricht ein Shitstorm über Lunz, ihre Co-Geschäftsführerin Nina
Bernarding und das CFFP hinein. [4][Von „white feminism“] ist da die Rede,
von Rassimus, geradezu hasserfüllt auch von Lügen, Größenwahn und
feministischen Tyranninnen. Der Shitstorm im Netz vermengt sich mit einem
weiteren Konflikt, der seit Monaten hinter den Kulissen des CFFP schwelt
und nun kulminierte. Wer auf der Website des CFFP auf „Beirat“ klickt,
findet nur mehr eine Fehlermeldung: Es gibt keinen Beirat mehr.
Das wiederum hat viel mit dem Selbstverständnis des CFFP zu tun. Das
Zentrum macht sich für feministische Außenpolitik stark, die „die
menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt und das internationale
Machtgefüge so ändern will, dass die Bedürfnisse aller Gruppen gesehen
werden und Menschenrechte prioritär behandelt werden.“
Vor rund vier Jahren holte sich das CFFP einen Beirat mit wechselnder
Besetzung zur Seite. Von Anfang an gehörten ihm internationale
Schwergewichte der feministisch-politischen Szene an, darunter die
indisch-US-amerkanische Professorin Chandra Mohanty und die ehemalige
schwedische Außenministerin Margot Wallström.
Auch die britisch-iranische Direktorin des International Civil Society
Action Network (ICAN), Sanam Naraghi Anderlini, sowie die US-Amerikanerin
Kavita Nandini Ramdas, frühere Präsidentin des Global Fund for Women, waren
Teil des Beirats. Man muss das in der Vergangenheitsform formulieren – denn
beide haben den Beirat des CFFP kürzlich verlassen.
„Wir haben unsere Entscheidung aus einer Reihe von Gründen getroffen“,
schreibt Ramdas dazu auf der Plattform LinkedIn. „Unter anderem, weil
versucht wurde, uns hinsichtlich des Krieges in Gaza zum Schweigen zu
bringen, und weil Mitglieder des Beirats schlecht behandelt wurden, was
unserer Meinung nach im grundlegenden Widerspruch zu feministischen Werten
steht.“
Einmal jährlich für rund eine Stunde, so erzählt es Lunz, habe sich der
Beirat bislang beratend mit den beiden Geschäftsführerinnen getroffen: „Das
sind Frauen, die die feministische Bewegung stark vorangebracht haben, die
wir schätzen – die aber nicht automatisch richtungsweisend für uns sein
müssen.“ Der Beirat habe keinerlei Rechte oder Verpflichtungen gegenüber
dem CFFP. Zuletzt haben sich die Mitglieder im August mit den beiden
Geschäftsführerinnen getroffen. Dort sei insbesondere von vier Mitgliedern
die Forderung starkgemacht worden, das CFFP müsse sich stärker zu Nahost
positionieren: Es müsse beispielsweise eine internationale feministische
Allianz für Palästina bilden.
„Wir sind eine projektfinanzierte Organisation“, sagt Lunz am Donnerstag am
Telefon, hörbar mitgenommen. Unter anderem kommen die Gelder von der Gates
Foundation, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
(GIZ), Microsoft sowie dem deutschen Außenministerium. „Wir pitchen
einzelne Projekte, zum Beispiel zur Unterstützung von Überlebenden von
Atomwaffentests oder zur Verteidigung von Frauenrechten in Afghanistan.“
## Beirat löst sich auf
Zwar sei das Team international und intersektional besetzt. Aber zu Israel
und Gaza habe man „weder regionale Expertise noch Netzwerke“. Auch wenn
sich das CFFP kaum zu aktueller Politik äußere, habe es sich nach dem 7.
Oktober 2023 immer wieder dazu positioniert, dass die Gewalt gegen
Zivilist:innen enden müsse. „Bereits vor einem Jahr haben wir uns den
internationalen Rufen nach einem Waffenstillstand angeschlossen und
Regierungen, inklusive der deutschen, aufgefordert, alles dafür zu tun, den
Krieg zu beenden“, sagt Lunz.
Das reichte einigen im Beirat nicht: Ramdas und Anderlini traten nach dem
Treffen im August aus. Mit zwei weiteren beendete das CFFP seinerseits die
Zusammenarbeit, weil es die Grundlage für eine vertrauensvolle
Zusammenarbeit nicht mehr gegeben sah. Nach der Eskalation auf der
Konferenz in Berlin-Mitte im Oktober löste das CFFP den Beirat nun gänzlich
auf und kündigte damit auch seinen beiden deutschen Mitgliedern, der
[5][SPD-Politikerin Sawsan Chebli] sowie Selmin Caliskan,
Ex-Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland.
Auch Chebli äußert sich dazu auf LinkedIn: „Wir bedauern, diesen Schritt
nicht schon längst selber getan zu haben, denn die Diskrepanz zwischen
erklärten Zielen und der Praxis innerhalb der Organisation sind immer
weniger auszuhalten.“ Auch sie wirft dem CFFP vor, sich nicht zum „Horror
in Gaza“ zu äußern und nicht wirklich „intersektional, inklusiv und auf
konstruktive Weise konfliktfähig“ zu sein. Die SPD-Bundestagsabgeordnete
Isabel Cademartori stimmt ihr zu: „Scheinbar war mit Feminist Foreign
Policy dann doch nur White Feminist Foreign Policy gemeint“, kommentiert
sie.
Der Streit beim CFFP ist symptomatisch: Ähnliche Auseinandersetzungen um
eine angemessene Haltung zum Terroranschlag der Hamas in Israel und dem
darauf folgenden Krieg in Gaza werden derzeit in vielen deutschen
Organisationen ausgetragen, die international vernetzt sind, insbesondere
Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Bei der Heinrich-Böll-Stiftung
etwa und Amnesty International gab und gibt es hinter den Kulissen ähnliche
Konflikte – unter anderem, weil die Organisationen mit internationalen
Partner:innen zusammen arbeiten, darunter auch aus dem arabischen Raum.
Nur selten aber brechen die Konflikte so offen aus wie jetzt beim Centre
for Feminist Foreign Policy.
Dabei sei es völlig legitim, „wenn jemand es falsch findet, mit der
deutschen Außenministerin auf einem Panel zu Femiziden zu sitzen – weil
Deutschland nun mal Waffen nach Israel liefert“, sagt Lunz. Aber die
Diskussion habe in den vergangenen Wochen die Ebene der inhaltlichen Kritik
längst verlassen.
Auf Instagram postete das CFFP jüngst ein Statement. „Die Weigerung, der
unnachgiebigen Aufforderung eines anderen nachzukommen, bedeutet nicht, ihn
zum Schweigen zu bringen“, heißt es da. Vielmehr spiegele sie das Recht
einer Person oder Organisation auf unabhängige Entscheidungsfindung wider.
Das CFFP habe Mitglieder des Beirats nicht daran gehindert, ihre Meinung
zur Lage in Gaza zu äußern. Aber es sei das Recht jeder Organisation, „ihre
eigenen Positionen zu formulieren und zu entscheiden, auf welche Bereiche
sie sich konzentrieren will“.
Was all das für das CFFP bedeutet, ist derzeit noch unklar. Mit den meisten
Mitgliedern des Beirats, die nicht konkret am Konflikt beteiligt waren, sei
man bilateral weiter in gutem Kontakt, sagt Lunz. Mit denen, die
ausgetreten sind, gebe es derzeit keinen Austausch.
31 Oct 2024
## LINKS
[1] /Feministische-Aussenpolitik/!5822730
[2] /Jesidinnen-ueber-den-Genozid/!6024930
[3] /Waffenlieferungen-an-Israel/!6042646
[4] /Debatte-weisser-Feminismus/!5867137
[5] /Sawsan-Chebli-ueber-den-Gaza-Krieg/!6017664
## AUTOREN
Patricia Hecht
Daniel Bax
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