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# taz.de -- Waffenlieferungen an Israel: „Recht auf Selbstverteidigung gilt n…
> Israel verstoße in Gaza offen gegen Völkerrecht, sagt Andreas Schüller
> vom ECCHR. Die Organisation klagt gegen Kriegswaffenlieferungen an
> Israel.
Bild: 11. August 2024: Palästinenser*innen fliehen, nachdem die israelische Ar…
taz: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat im Bundestag angekündigt, weiter
Waffen an Israel liefern zu wollen. Sie haben nun zusammen mit fünf
Betroffenen aus Gaza beim zuständigen Bundesministerium für Wirtschaft und
Klimaschutz (BMWK) Widerspruch gegen Ausfuhrgenehmigungen von Kriegswaffen
gemäß der Kriegswaffenliste eingelegt. Warum?
Andreas Schüller: Weil unsere Mandanten von den Waffen bedroht sind. Es ist
doch recht offensichtlich, dass die israelische Armee in Gaza gegen das
humanitäre Völkerrecht verstößt. Mehrere völkerrechtliche Konventionen
verbieten aber Waffenlieferungen, wenn das Risiko besteht, dass damit
Völkerrechtsverstöße begangen werden. Wir haben deshalb seit Jahresbeginn
eine ganze Reihe von rechtlichen Schritten unternommen, um Waffenexporte
nach Israel zu stoppen, insbesondere von Waffen, die von den israelischen
Streitkräften in Gaza eingesetzt werden. Dazu zählen neben den
Widersprüchen bei den zuständigen Behörden die Einreichung von Eilanträgen
und Klagen, etwa bei den Verwaltungsgerichten in Berlin und Frankfurt.
Einige der Rechtsfragen werden letztlich aber wohl die obersten Gerichte
oder das Bundesverfassungsgericht klären müssen.
taz: Was wissen Sie über den Einsatz deutscher Waffen in Gaza?
Schüller: Es fehlt oftmals Transparenz darüber, was geliefert wird und wo
es letztendlich eingesetzt wird. Wir fordern ja auch kein komplettes
Exportverbot, sondern ganz speziell von den Waffentypen und Kategorien,
[1][die in Gaza eingesetzt werden]. Aber die Bundesregierung macht
überhaupt nicht transparent, was geliefert wird und wie es eingesetzt
werden kann. Dies zeigt die Notwendigkeit eines
Rüstungsexportkontrollgesetzes, das zwar geplant war, aber immer noch nicht
umgesetzt wurde.
taz: Was ist sonst von deutschen Waffenlieferungen nach Israel bekannt?
Schüller: Alles was wir haben, sind die Kennzahlen der Rüstungsgüter von
den Listen nach dem Außenwirtschaftsgesetz oder dem
Kriegswaffenkontrollgesetz, die über parlamentarische Anfragen an die
Öffentlichkeit gelangen. Das sind sehr abstrakte Kategorien und man weiß
meistens nicht genau, was letztlich geliefert wird. Das Argument ist immer,
man wolle dem Gegner nicht von vornherein sagen, was genau man liefert. Und
es gibt noch Geschäftsgeheimnisse, aber wir denken, bei schwerwiegenden,
irreversiblen Fragen, bei denen es um das Recht auf Leben geht, muss
Letzteres überwiegen.
taz: Wissen Sie also gar nicht, was geliefert wurde?
Schüller: Wir wissen: Sowohl Kriegswaffen als auch Rüstungsgüter wurden
geliefert. Das eine sind fertige Waffen und Munition, wie Panzerfäuste, die
im Herbst letzten Jahres geliefert wurden, oder Munition für Panzer oder
Artillerie. Das andere sind Ersatzteile und Komponenten für Panzer, zum
Beispiel Motoren und Getriebe, also nicht die fertigen Produkte. Dafür gibt
es verschiedene rechtliche Genehmigungsverfahren, die auch unterschiedlich
vor Gerichten angreifbar sind.
taz: Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Komponenten und fertigen
Rüstungsgütern?
Schüller: Aus unserer Sicht macht es keinen Unterschied, ob wir über
Panzerfäuste reden oder Motoren von Panzern. Beides ist relevant und kommt
bei Kriegshandlungen in Gaza zum Einsatz. Insofern sollte es hinsichtlich
der Genehmigungsfähigkeit keine Unterscheidung geben, solange ein Risiko
besteht, dass diese Waffen völkerrechtswidrig eingesetzt werden und
möglicherweise Zivilisten, wie die von uns unterstützten Betroffenen, zu
Schaden kommen.
taz: Einige schlagen vor, nur Verteidigungswaffen an Israel zu schicken,
zum Beispiel für den Iron Dome. Ist es möglich sicherzustellen, dass Waffen
nicht für den Angriff zweckentfremdet werden?
Schüller: Das ist möglich, weil bestimmte Rüstungsgüter nur in defensiven
Waffensystemen einsetzbar sind. Andere können sowohl zur Abwehr als auch
zum Angriff genutzt werden. Wiederum andere sind klare Angriffswaffen.
Panzer sind für den Bodenkampf da und nicht für Luftabwehr. Bei U-Booten
ist es anders und auch beim Iron Dome und anderen Systemen, die natürlich
eher Richtung Luftabwehr zielen. Da kann man durchaus unterscheiden.
taz: Nun gibt es Medienberichte, nach denen Außenministerin Annalena
Baerbock (Grüne) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die
Lieferungen in der Vergangenheit verzögert haben sollen. Offenbar sollen
sie gefordert haben, dass sich Israel schriftlich verpflichtet, mit aus
Deutschland gelieferten Waffen kein Völkerrecht zu brechen. Kann Israel das
garantieren?
Schüller: Wir denken, dass die Bundesregierung hier ein falsches Spiel
spielt. Auf Zusicherungen kann man sich nicht verlassen und sie sind
letztlich auch rechtlich nicht durchsetzbar, selbst wenn gegen die
Zusicherung verstoßen wird. Wahrscheinlich wird auch kaum ein Land der
Welt, das Waffen kaufen will, eine solche Zusicherung nicht geben, weil
jeder von sich überzeugt ist, das Recht einzuhalten. Und deshalb denken
wir, dass die Zusicherung eine Nebelkerze ist. Im Endeffekt ist es sogar
ein falsches Spiel zu suggerieren, hier wird Recht eingehalten, während die
UN-Ermittlungskommission in mehreren Berichten und der Chefankläger des
Internationalen Strafgerichtshofs in seinen beantragten Haftbefehlen von
Kriegsverbrechen ausgehen und immer weitere Berichte erscheinen, die diese
Annahme bestätigen.
taz: Würden diese Einschätzungen der UNO nicht ausreichen, dass Deutschland
keine Waffen liefert?
Schüller: Genau. Die Bundesregierung müsste sagen, wir können nicht
sicherstellen, dass diese Waffen nicht [2][völkerrechtswidrig eingesetzt
werden], deshalb liefern wir gar nicht mehr. Die Sorgfaltspflicht gebietet
es, die israelische Zusicherung nicht ungeprüft einfach zu akzeptieren.
taz: Warum macht das die Bundesregierung nicht?
Schüller: Das ist die richtige Frage, man hat aus Frankreich und Spanien ja
Ähnliches gehört, warum nicht geliefert wird. Nach mehr als einem Jahr gibt
es genügend Hinweise für Völkerrechtsbrüche. Die Bundesregierung muss sich
letztlich ehrlich machen beim Abwägen der bedingungslosen Unterstützung
Israels aufgrund der Staatsräson mit der Einhaltung der
Völkerrechtsordnung. Letzteres ist aus unserer Sicht überwiegend und einer
der wesentlichen Pfeiler der Nachkriegsordnung. Das Völkerrecht ist auch
Teil des Grundgesetzes. Es muss eingehalten werden, da kann man nicht die
Staatsräson oder andere Konzepte drüber stellen.
taz: Der Internationale Gerichtshof (IGH) sieht Hinweise für einen
möglichen Genozid. Teilen Sie diese Einschätzung?
Schüller: Wir sehen, dass die Lebensbedingungen der Menschen in Gaza
zerstört werden. Vor allem der Norden hat sich in eine lebensfeindliche
Trümmerwüste verwandelt, in der nur noch Willkür und Entrechtung herrschen.
Natürlich wird man sehen müssen, was der IGH in dem Hauptsacheverfahren
entscheiden wird, weil bisher war es ja nur ein Eilverfahren. Das wird
leider noch ein paar Jahre dauern. Wir werden auch sehen, ob das Aushungern
und die Zerstörung der Lebensgrundlagen das einzige Ziel des militärischen
Vorgehens seitens Israel ist oder Teil von mehreren Zielen. Und wenn man
die bisherige IGH-Rechtsprechung sehr restriktiv liest, kann es sein, dass
es genau darum gehen wird festzustellen, ob es Israels primäres Ziel ist,
die Menschen in Gaza zu bestrafen.
taz: Sie sagen also, der Krieg ist kein Verteidigungskrieg, sondern ein
Rachekrieg?
Schüller: Israel hatte nach dem 7. Oktober das Recht, sich gegen die
Angriffe der Hamas zu verteidigen. Das Selbstverteidigungsrecht gilt aber
nicht unbegrenzt, da es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und der
Notwendigkeit unterliegt. Die israelische Kriegsführung in Gaza hat den
Angriff längst überstiegen und geht über das zur Verteidigung Notwendige
hinaus. Insbesondere die Tatsache, dass die Angriffe der israelischen Armee
offenkundig auf Ziele gerichtet werden, die nicht unmittelbar mit der
Bedrohung in Verbindung stehen, zeigt, dass es um andere Ziele als
Verteidigung geht.
taz: Israel hat ein Selbstverteidigungsrecht. Die Palästinenser:innen
haben ein Widerstandsrecht. Was bedeutet das für Waffenlieferungen
generell?
Schüller: Jede Konfliktpartei ist angehalten und dazu verpflichtet, das
Recht einzuhalten, auch das Völkerrecht. Die Tötung von Zivilisten ist
genauso ein Kriegsverbrechen wie Geiselnahmen, also nicht vom
Widerstandsrecht gedeckt. Natürlich darf sich eine Bevölkerung, die unter
Besatzung steht, wehren, aber nicht mit allen Mitteln. Und das ist am 7.
Oktober klar überschritten worden.
taz: Vor Kurzem sagte Annalena Baerbock im Bundestag, dass zivile Ziele wie
Krankenhäuser oder Schulen, die von Israel attackiert werden, ihren
Schutzstatus verlieren können, wenn diese militärisch benutzt würden. Ist
das überhaupt der Fall?
Schüller: Ja, das ist das Argumentationsmuster, dass auch geschützte
Zivilobjekte ihren Status verlieren können, wenn sie militärisch genutzt
werden, und dann aber auch nur für diesen Zeitpunkt und Zeitraum. [3][Wir
haben aber wenig konkrete Beweise] gesehen, dass es tatsächlich eine
militärische Nutzung gibt, und der Eindruck verfestigt sich, dass Israel
dies zwar behauptet und entsprechend angreift, aber den Beweis einer
militärischen Nutzung letztlich nicht erbringen kann. Die Tatsache, dass
sich unter einem Wohngebäude ein Hamas-Tunnel befindet, macht das Gebäude
auch nicht gleich zu einem legitimen militärischen Ziel. Vielmehr muss das
Gebäude zum Zeitpunkt des Angriffs wirksam zu militärischen Handlungen
beitragen. Darüber gilt immer das Gebot der Verhältnismäßigkeit.
29 Oct 2024
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Baha Kirlidokme
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