Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pläne für Gazastreifen nach dem Krieg: Wer füllt das Machtvakuum?
> Im Schifa-Krankenhaus gehen die Kämpfe weiter. Derweil kursieren Pläne,
> wie eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen aussehen könnte.
Bild: Rauch steigt über dem Al-Schifa-Krankenhaus auf nach einem Luftschlag
Berlin taz | Die von Israel angekündigte Offensive auf Rafah lässt auf sich
warten. Im Norden von Gaza zeigt sich unterdessen, dass jegliches
Machtvakuum von Hamas-Kämpfern gefüllt wird. Monate nachdem Israels Armee
das von der Hamas genutzte Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt unter Kontrolle
brachte, hat sie erneut einen Großeinsatz auf dem Komplex gestartet. „Seit
Beginn des Einsatzes wurden mehr als 140 Terroristen im Bereich des
Krankenhauses eliminiert“, erklärte die Armee am Donnerstag. Auch die Hamas
sprach davon, israelische Soldaten getötet zu haben. Die Gefechte dauerten
am Donnerstag den vierten Tag in Folge an.
Der neuerliche Einsatz auf dem Gelände legt eine zentrale Herausforderung
für die israelische Armee offen: Die Truppen sind zwar erfolgreich
vorgerückt, doch offenbar nutzen Hamas-Kämpfer jede Chance, um sich neu
aufzustellen. Entweder müsste die israelische Armee große Gebiete dauerhaft
halten oder es bräuchte andere Kräfte, die eine Rückeroberung und ein
Wiedererstarken der Hamas verhindern. Diese gibt es aber auch deshalb
nicht, weil es keinen Plan gibt, was nach dem Krieg eigentlich passieren
soll. Konkret: wer die Zivilverwaltung in Gaza übernimmt und wer für
öffentliche Ordnung sorgt.
Hinter den Kulissen wird jedoch an genau diesen Fragen gearbeitet. Israel,
die USA und diverse arabische Staaten überlegen verschiedenen
Medienberichten zufolge, wie im Gazastreifen Kräfte aufgebaut werden
können, denen zunächst begrenzt Sicherheitsaufgaben übertragen werden
können, aktuell vor allem die Absicherung von humanitären Hilfslieferungen.
Ein zentrales Problem von Hilfsorganisationen ist seit Monaten der
Transport und die geregelte Verteilung von Hilfsgütern, da in Teilen Gazas
Anarchie herrscht. Immer wieder werden Lkw überfallen und kommt es bei der
Güter-Verteilung zu Massenansammlungen, die von niemandem kontrolliert
werden können.
Das Wall Street Journal berichtet, dass in israelischen Sicherheitskreisen
im Geheimen an einem Plan zur Verteilung von Hilfsgütern durch
Palästinenser gearbeitet wird, die keine Verbindungen zur Hamas haben. Die
Zeitung beruft sich auf israelische und arabische Quellen. Die Idee sei,
unbelastete palästinensische „Führungskräfte und Geschäftsleute“ für d…
Absicherung der Hilfsgüter zu gewinnen, die künftig auch über einen
Seekorridor direkt nach Nordgaza gelangen sollen.
## Grundlage für eine neue Regierungsbehörde
Israel habe darüber mit Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und
Jordanien gesprochen. Möglicherweise würden Zivilisten im Süden dann
aufgefordert, in den Norden zu gehen, was wiederum eine Offensive auf Rafah
ermöglichen würde.
Mittelfristig könnte der Plan die Grundlage schaffen für eine neue
Regierungsbehörde, die den Küstenstreifen verwaltet und für öffentliche
Ordnung sorgt – also das Machtvakuum füllt, das durch die Ausschaltung der
Hamas entsteht. Israel dürfte sich in einem solchen Prozess die operative
Handlungsfreiheit vorbehalten, also regelmäßig militärisch gegen Militante
in Gaza vorgehen, ähnlich wie derzeit im Westjordanland.
Wer die aufzubauenden Kräfte sein könnten, ist aber unklar. Bis in die 80er
Jahre spielten Großfamilien in Gaza eine wichtige Rolle, die dann aber von
Kräften der palästinensischen Nationalbewegung abgelöst wurden. Zwischen
Israels Abzug aus Gaza 2005 und der Machtübernahme der Hamas 2007 hatten
einige Großfamilien ein kurzes Revival. Sie waren damals „eines der größten
Hindernisse für die Hamas beim Versuch, ihre Autorität zu festigen“, wie
die NGO Crisis Group 2007 [1][in einer Analyse] schrieb.
Nun auf diese Familien zu setzen hält Yohanan Tzoreff vom Institute for
National Security Studies in Tel Aviv allerdings nicht für sinnvoll. „Wer
hinter dem Rücken der nationalistischen Bewegungen mit Israel spricht, wird
Probleme bekommen“, sagte er der [2][Times of Israel].
Tatsächlich hat die Hamas Berichten zufolge am 13. März einen Vertreter
einer Großfamilie in Gaza-Stadt getötet, „wahrscheinlich im Rahmen ihrer
Bemühungen, ihre Autorität im nördlichen Gazastreifen wiederherzustellen“,
wie das Institute for the Study of War [3][schreibt]. Die Hamas habe den
Anführer und andere Mitglieder des bewaffneten Dughmusch-Clans ins Visier
genommen und ihnen vorgeworfen, mit Israel zu kooperieren. Die Hamas
dementierte die Berichte.
## Ohne die Bevölkerung geht es nicht
Statt auf lokale Familien setzt man in Israel offenbar eher auf
palästinensische Geheimdienstler. Die israelische Nachrichtenseite Ynet
berichtete von Überlegungen, dass eine [4][Kraft unter der Führung von
Madschid Faradsch] die zivile Administration in Gaza übernimmt und Israel
parallel ausgewählte Palästinenser aus Gaza im Westjordanland oder in
Jordanien militärisch ausbildet.
Faradsch ist Chef des Geheimdienstes der von der Fatah-Partei geführten
Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die in Teilen des Westjordanlands
regiert. Er ist international vernetzt und in israelischen
Sicherheitskreisen angesehen. Auch das Wall Street Journal nannte Faradsch
als mögliche zentrale Figur; daneben werden offenbar der Geschäftsmann
Baschar Masri sowie Mohammed Dahlan gehandelt. Dahlan, geboren in Chan
Junis, war Sicherheitschef der Fatah im Gazastreifen, bevor diese von der
Hamas 2007 vertrieben wurde. Heute lebt er in Abu Dhabi.
Eine grundlegende Frage ist, inwieweit Israel mit Personal der PA
kooperieren wird. Premier Benjamin Netanjahu hat sich, anders als die USA,
gegen eine Zusammenarbeit ausgesprochen. Zudem stellt sich die Frage, ob es
realistisch ist, an der Hamas vorbei eine politische Kraft in Gaza
aufzubauen. Dahlan selbst sagte im vergangenen Jahr, man müsse akzeptieren,
dass die Hamas weiterhin eine Rolle spielen werde. Israels Regierung hat
nach wie vor das Ziel, die Hamas zu vernichten.
Hinzu kommt, dass jede Kraft, die in Gaza Verantwortung übertragen bekommt,
mit dem Makel behaftet sein wird, von Israel und seinen Verbündeten
installiert worden zu sein – eine Steilvorlage für radikale Kräfte. Um Gaza
nachhaltig zu stabilisieren, ist eine gewisse Legitimierung durch die
Bevölkerung wohl unverzichtbar.
21 Mar 2024
## LINKS
[1] https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/eastern-mediterranean/…
[2] https://www.timesofisrael.com/relying-on-local-clans-to-run-postwar-gaza-sh…
[3] https://www.understandingwar.org/backgrounder/iran-update-march-14-2024
[4] /Krieg-in-Nahost/!5998389
## AUTOREN
Jannis Hagmann
## TAGS
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Hamas
Gaza
Gaza-Krieg
Israel
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
Israel
USA
Israel
Israel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Evakuierung aus Gaza-Stadt: Unsere Reise ins Elend
Evakuieren oder nicht? Unsere Autorin in Gaza erinnert sich an die ersten
Tage des Kriegs. Bis heute konnte sie nicht in ihr Zuhause zurückkehren.
+++ Nachrichten im Nahostkonflikt +++: Verstimmung zwischen USA und Israel
Nach der Entscheidung für eine sofortige Waffenruhe im UN-Sicherheitsrat
sind die Fronten verhärtet. Die USA und Deutschland warnen vor einer
Offensive in Rafah.
Leben im Gazastreifen: Bohnen und Thunfisch aus der Dose
Seine Frau wolle nach Ägypten, schreibt unser Autor in Rafah. Doch das Geld
fehlt. „Also sitze ich hier, starre ins Leere und weiß nicht wohin.“
Angekündigte Rafah-Offensive: USA bremsen, Israel schmettert ab
Die US-Regierung spricht sich weiter gegen eine israelische Offensive in
Südgaza aus. Doch Biden wirkt in seiner Nahostpolitik zunehmend machtlos.
Humanitäre Lage in Gaza: Hunger-Alarmstufe Rot
Laut einem UN-Bericht leidet ein Drittel der Bevölkerung unter
„katastrophalem Hunger“. Israel bestreitet jegliche Verantwortung an der
Situation.
Krieg in Nahost: Kommt der Faradsch-Plan für Gaza?
Israel erwägt, einen Geheimdienstler mit Aufgaben in Gaza zu betrauen.
Derweil sollen „humanitäre Inseln“ eine Offensive auf Rafah ermöglichen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.