# taz.de -- Kunst aus dem Gazastreifen: Vom Krieg gezeichnet | |
> Menna Hamouda musste mit ihrer Familie zweimal innerhalb von Gaza | |
> fliehen. Das Erlebte zeichnet sie mit Kreide und Kohle auf Wände und | |
> Trümmer. | |
Bild: Finstere Bilder des Kriegs: Menna Hamouda mit einem Selbstporträt | |
Es sind düstere Porträts, die die junge palästinensische Künstlerin Menna | |
Hamouda an die Hauswände im Gazastreifen zeichnet. Schreiende Frauen mit | |
Kindern in Leichentüchern, ausgelaugte Gesichter, von denen nicht klar ist, | |
ob sie noch lebendig oder schon tot sind. Die Kombination aus den schwarzen | |
Kohlestücken und der weißen Kreide, die sie für ihre Zeichnungen auf den | |
Wänden und Trümmerteilen verwendet, geben den Bildern etwas Finsteres, | |
Rudimentäres, Existenzielles. | |
Die 21-jährige Menna hat in den letzten fünf Monaten viel erlebt. Sie | |
stammt aus [1][Beit Lahia] im Norden des Gazastreifens, in unmittelbarer | |
Nachbarschaft zu Israel. Den Ort, den die israelische Armee, nach dem | |
Hamas-Angriff vom 7. Oktober auf den Süden Israels, als Erstes unter | |
Beschuss genommen hat. Sechs Tage hatte Menna in dem Ort ausgeharrt, in dem | |
heute kaum mehr ein Stein auf dem anderen steht, dann wurde die | |
Bombardierung zu intensiv. | |
„Wir wollten nur noch lebend herauskommen, das war unser einziges Ziel“, | |
blickt sie zurück. Über zehn Kilometer waren sie zu Fuß bis nach Gaza-Stadt | |
geflüchtet, wo sie einen weiteren Monat in einer Schule Zuflucht gefunden | |
hatten. [2][Als Gaza-Stadt] zum Zentrum der Kampfhandlungen wurde, mussten | |
sie wieder fliehen. Die israelische Armee hatte den Zivilisten vorab einen | |
sicheren Korridor in Richtung Süden versprochen, doch das war laut Menna | |
nicht der Fall. „Das war eine Lüge, überall waren Panzer, es wurde | |
geschossen, in unserer unmittelbaren Nähe wurde bombardiert. Es war einmal | |
mehr ein Wunder, dass wir überlebt haben und in Deir al-Balah ankamen.“ | |
Die Stadt im zentralen Gazastreifen ist nun ihr neues Zuhause. Sie lebt mit | |
ihrer sechsköpfigen Familie in einem Zelt. Mit dabei ist auch ihr schon vor | |
dem Krieg wegen einer neurologischen Störung gelähmter Vater, den sie den | |
ganzen Weg in einem Rollstuhl geschoben haben. „Ich habe nichts von meinem | |
alten Leben mitgebracht, außer dem, was ich anhatte und tragen konnte“, | |
sagt sie. | |
Früher hatte Menna ein kleines Studio in Beit Lahia, in dem sie anderen das | |
Zeichnen beibrachte. Kunst, das war für sie vor allem Spaß mit fröhlichen | |
Farben und Bildern. Auf ihrem Handy zeigt sie Fotos und Videos aus dieser | |
Zeit. Eine Gruppe zeichnet in ihrem Studio unter ihren Anweisungen Porträts | |
von Teenagern. Ein anderes Video zeigt Menna, als sie die Wände einer | |
Schule bemalt, in Pink und Himmelblau, mit Motiven von lachenden und | |
spielenden Kindern. Auf einem anderen Foto lächelt Menna farbverschmiert in | |
die Kamera. | |
„Menna vor dem Krieg, das war ein Mädchen voller Optimismus. Sie hat das | |
Leben geliebt, sie ist mit ihren Freunden ausgegangen. Sie hat von lokalen | |
und internationalen Ausstellungen geträumt“, erzählt sie über sich in der | |
dritten Person, während sie in ihrem Zelt auf dem Boden sitzt. Ihr altes | |
Leben ist wie ein Film, der für sie heute keine Bedeutung mehr hat. | |
Aber auch Deir al-Balah ist [3][kein sicherer Ort mehr]. „Zu Anfang dachte | |
ich, wir seien hier jetzt geschützt, aber auch hier wird jeden Tag | |
bombardiert. Jedes Mal, wenn ich geflohen bin, ist ein weiterer Teil von | |
mir gestorben, tausendfach“, erzählt sie. Menna ist wie die meisten | |
Menschen im Gazastreifen von dem Erlebten und der ungewissen Zukunft | |
traumatisiert. „Ich habe Freunde verloren, meine Kollegen, viele Menschen, | |
die ich geliebt habe. Manche liegen immer noch unter den Trümmern, andere | |
sind verletzt. Von anderen habe ich keine Nachricht.“ Sie hat Angst, dass | |
sie als nächstes an der Reihe ist. | |
„Ich bin eine Künstlerin und versuche zu beschreiben, was in mir vorgeht, | |
versuche, all diese negative Energie des Ortes in Bilder zu fassen.“ Dann | |
packt sie ihre Tasche im Zelt, um draußen zu arbeiten. Da sie ihre | |
Künstlerutensilien bei ihrer Flucht hinter sich lassen musste, nutzt sie | |
Kohlestücke und Kreide, die sie in den benachbarten Schulen gefunden hat. | |
„Die Kreide ist eigentlich für Schultafeln und nicht für Hauswände gedacht. | |
Aber im Gazastreifen muss die Künstlerin oder der Künstler mit dem | |
vorliebnehmen, was sie für ihre Arbeit finde. Die Kunst, die wir schaffen, | |
hängt nicht nur von dem ab, was wir können, sondern dem, was wir zur | |
Verfügung haben“, erläutert sie. Sie möchte, dass ihre Zeichnungen überall | |
gesehen werden, deswegen gehe sie auf die Straße und habe damit begonnen, | |
Häuserwände zu bemalen. Die Bilder erzählen nicht die Geschichten von | |
anderen, sie sind Selbsterlebtes, erklärt sie. „Ich höre eine Menge | |
Geschichten, jeden Tag. Das bleibt in mir, in meinem Kopf und in meinem | |
Herzen, eine ganze Menge verstörender Erinnerungen.“ | |
Zu jedem Werk hat Menna etwas zu erzählen. „Dieser Junge hat seine ganze | |
Familie verloren, er war der einzige Überlebende“, erzählt sie etwa. Oder: | |
„Dieses Baby ist drei Monate alt, es ist tot.“ Und: „Dieser junge Mann hat | |
hart gearbeitet und gespart, um sich ein Apartment leisten zu können, und | |
jetzt sitzt er vor den Trümmern seines Hauses.“ Es sind Zeichnungen der | |
tragischen Geschichten, [4][die jeden Tag im Gazastreifen] geschrieben | |
werden. | |
Und dann steht sie vor ihrem Selbstporträt. Sie trägt ein Kopftuch, aber | |
das Porträt der 21-Jährigen zeigt ihre offenen, schon angegrauten Haare. | |
Ihr Blick ist starr. Aus einem Auge rinnen schwarze Tränen, das andere ist | |
überdeckt mit einer Hand, auf der eine palästinensische Fahne gemalt ist, | |
doch darunter läuft Blut über ihr Gesicht. Die Künstlerin beschreibt ihr | |
Selbstporträt mit den Worten: „Sie ist stark, Menna versucht ihren Schmerz | |
zu verstecken. Aber gleichzeitig versucht sie all den Schmerz, der in ihr | |
steckt, herauszufordern.“ Da ist sie wieder, die dritte Person. | |
Es ist auch der Schmerz, der die finsteren Bilder auf die Hauswände malt. | |
Bilder, die von einer jungen, strapazierten Künstlerseele im Gazastreifen | |
nach über fünf Monaten Leiden und Krieg erzählen. | |
Dieser Text stützt sich auf Material eines lokalen Kameramanns in Deir | |
al-Balah, der im Auftrag des Autors dort gefilmt und Interviews geführt | |
hat. Im Gazastreifen arbeiten derzeit nur palästinensische | |
Journalist:innen. Ausländische Journalist:innen kommen derzeit in der | |
Regel nur mit der israelischen Armee nach Gaza | |
13 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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