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# taz.de -- Ukrainisches Filmfestival: Und doch geht das Leben weiter
> Das ukrainische Filmfestival eröffnete in Berlin mit einem bewegenden
> Dokumentarfilm „Songs of Slow Burning Earth“ über das Leben im Krieg.
Bild: Zum Beginn des Filmfestivals spielte Donbasgrl
Landschaftsaufnahmen, dazu besorgte Stimmen, unterlegt mit einem
unheilverkündenden Bass. Die Stimmen kommen von Menschen, die beim
ukrainischen Rettungsdienst anrufen. Sie beteuern nervös, sie hätten soeben
Explosionen gehört – was denn passiert sei? Eine gezwungen ruhige Stimme
antwortet, man wisse das noch nicht, aber man solle bitte zu Hause bleiben.
„Herrscht jetzt Krieg?“ – „Ja, sieht so aus.“
Mit dem Dokumentarfilm „Songs of Slow Burning Earth“ (2024) der Regisseurin
Olha Zhurba eröffnete am Mittwoch das Ukrainische Filmfestival Berlin im
silent green, das vom 22. bis 26. Oktober unter dem melancholisch
anmutenden Motto „Die Zeit, die uns bleibt“ in verschiedenen Kinos der
Stadt stattfindet.
Neben ukrainischen Gegenwartsfilmen gibt es in Kooperation mit dem Kyjiwer
Filmarchiv „Dovzhenko Center“ in einer Retrospektive Filme aus den
Neunzigerjahren, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangte, zu sehen.
Außerdem werden am Freitagabend im Sputnik Kino georgische Kurzfilme über
die anhaltenden Proteste gegen das sich verhärtende Regime der
russlandaffinen Partei [1][Georgischer Traum] gezeigt.
Den Eröffnungsabend leitete die Avantgarde-Pop-Musikerin Donbasgrl mit
einem kurzen, energiegeladenen Auftritt ein, bei dem die junge Frau aus dem
Donbas auch für Spenden an die Ukraine-Hilfe Berlin warb. Der ukrainische
Botschafter [2][Oleksii Makeiev] fand klare Worte: „Enjoy ukrainian cinema.
This is what we need!“ Eine Referenz auf den unsäglichen Kommentar von
Friedrich Merz von vor einigen Tagen konnte er sich bei seiner Rede nicht
verkneifen. „That’s a great Stadtbild“, scherzte er mit Blick ins Publiku…
das nicht nur aus Deutschen und Ukrainer:innen bestehe, sondern so
international sei, dass man ihn gebeten habe, Englisch zu sprechen. Er
schloss mit einem Dank an die ukrainischen Streitkräfte, die es überhaupt
erst möglich machten, dass man Kino schauen könne.
Während einer Schweigeminute wurde der vielen [3][gefallenen ukrainischen
Regisseur:innen und Schauspieler:innen gedacht], die eigentlich
Filme drehen sollten. Doch weil ihr Land überfallen wurde, zogen sie
stattdessen in den Krieg. Es war ein zutiefst bewegender Abend, und der
Eröffnungsfilm eine passende Wahl.
## Die Kilometer bis zur Front
„Songs of Slow Burning Earth“ beginnt mit den ersten Tagen der
Großinvasion. Der Kyjiwer Hauptbahnhof ist zu dieser Zeit gerade einmal 31
Kilometer von der Frontlinie entfernt, wie eine Einblendung erinnert.
Während die russischen Truppen erfolglos versuchen, die Hauptstadt
einzunehmen, quetschen sich die Passagier:innen in einen blau-gelb
angestrichenen Zug des Eisenbahnunternehmens Ukrsalisnyzja. Panik macht
sich breit, Kinder und Gepäck werden über die Köpfe hinweg in den Zug
gereicht. In der Bahnhofshalle sitzt derweil eine Frau mit eine kleinen
Kind auf dem Arm, ihr Blick ist vollkommen leer.
Der nächste Schauplatz: Ein Mann mit feuchten Augen am Steuer, überall
liegt ausgebrannte Militärtechnik. Es seien noch viele, sehr viele Kinder
in der Stadt, schildert er aufgelöst. Deshalb fahre er ständig dorthin. Er
spricht von Mariupol. Sein Fahrzeug ist Teil einer Kolonne, die über einen
sogenannten grünen Korridor die Frontlinie passiert und Zivilist:innen
evakuiert. Papiere mit der Aufschrift „Kinder“ an den Windschutzscheiben
der Fahrzeuge zeugen von der Hoffnung, mit Mitleid könne man die russischen
Soldaten vom Schießen abbringen.
Und doch geht das Leben weiter. Aus Tagen werden Wochen, aus Wochen Monate.
Eine Brotfabrik in Mykolajiw, 18 Kilometer von der Front. Dumpfe
Explosionen sind zu hören, doch die Arbeiter:innen machen unbeirrt
weiter mit ihren mechanischen Handgriffen. Ternopil in der Westukraine, 906
Kilometer von der Front. Im Klassenzimmer fragt die Lehrerin ihre
Schüler:innen nach ihren Träumen. Sie sollen sie aufmalen. Als der Alarm
ertönt, zieht die Klasse routiniert in den Keller um.
Das Superhumans-Rehabilitationszentrum in Lwiw, 1.020 Kilometer von der
Front. Ein junger Mann mit Beinprothese bewegt sich vergnügt im
Walzerschritt durch den Raum. „Meine Frau wird sich freuen, sie tanzt
gern“, sagt er.
Zuerst war der Krieg etwas Schockierendes, Ungeheures. Doch dann wurde er
langsam, aber sicher zum täglichen Begleiter, zum Alltag. Die Geschichte
davon, wie das geschieht, erzählt Zhurbas Film bildstark, aber ruhig, mit
meist statischer Kamera. Er berührt zutiefst – im Publikum fragt man
einander nach Taschentüchern.
Beim anschließenden Q & A mit der Produzentin Darya Bassel schilderte
diese, Zhurba habe mit ihrem Film den Augenblick für die Zukunft bewahren
wollen. Das ist ihr meisterhaft gelungen.
23 Oct 2025
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## AUTOREN
Yelizaveta Landenberger
## TAGS
Ukraine
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