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# taz.de -- Umweltzertifikate als Ablassbrief: Zu grün, um wahr zu sein
> Die grüne Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz unterstützt einen
> Verein, der laut Experten reines Greenwashing betreibt.
Bild: Wiederaufgeforstete Wälder brauchen meist Jahrzehnte, bis sie als CO2-Sp…
Auf den ersten Blick erscheint die Ecosystem Value Association e. V., kurz
EVA, seriös. Neben schönen Waldfotos, die sich auch gut als
Windows-Hintergrundbilder machen würden, wird auf seiner Webseite die
Zertifizierung mit dem „Wald-Klimastandard“ der EVA als Anreiz für eine
„klimafreundliche Bewirtschaftung von Wäldern“ beworben. Und ihr Anbieter
hat Großes vor. Mit dem EVA-Standard sollen bald [1][Wälder weltweit
zertifiziert werden]. Doch was als Klimaschutz vermarktet wird, kritisieren
Klimaforscher als Greenwashing.
Das Prinzip der EVA-Zertifikate ist recht simpel. Der Verein berechnet mit
dem eigens geschaffenen Regelwerk, dem „Wald-Klimastandard“, den
CO₂-Speicherwert von Aufforstungsprojekten und erlaubt dem jeweiligen
Waldbesitzer dann den Verkauf von Zertifikaten zum Preis von bis zu 90 Euro
pro Tonne. Diese kaufen Firmen wie der Wirtschaftsprüfer von PwC auf dem
sogenannten freiwilligen CO₂-Kompensationsmarkt – sprich: nicht auf einem
der verpflichtenden, staatlichen Märkte – und bereinigen damit ihre
Klimabilanz.
Das Pilotprojekt der EVA ist der Staatswald im Forstrevier Hochacht in der
Nähe von Adenau. Es geht um eine 16 Hektar große Fläche mitten in der
Osteifel, knapp 50 Kilometer südlich von Bonn. Eigentümer ist der Staat,
der in Deutschland nicht nur den Großteil der Wälder instandhält, sondern
auch der größte Holzproduzent ist. Hier zertifizierte die EVA die gesamte
Aufforstung.
Wie schön, es werden Bäume gepflanzt!, mag der Laie nun denken. Und je mehr
gepflanzte Bäume, desto mehr gebundenes CO₂. Das klingt wie eine gute
Sache, und deshalb tritt bei dem Pilotprojekt sogar die
Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz als Schirmherrin auf: Katrin Eder
von den Grünen.
An einem Julitag im vergangenen Jahr steht sie auf einer kahlen Fläche im
Wald vor ein paar Journalisten und Förstern und einem Vertreter der EVA und
verkündet: „Der rheinland-pfälzische Forst nimmt eine Vorreiterrolle ein,
sowohl im Nachweis der klimapolitisch so wichtigen Treibhausgasbindung
durch den Wald als auch im Erkunden nachhaltiger Honorierungsmöglichkeiten
für diese Leistungen.“
Das Dumme ist bloß: Vor der Zertifizierung wurden hier Bäume abgesägt, und
nun werden lediglich wieder neue gepflanzt. Was als Klimaschutz vermarktet
wird, ist schnöde Forstwirtschaft.
## Viele Zertifikate sind wertlos
Gemeinsam mit dem Waldökologen Pierre Ibisch und den Förstern Peter und
Tobias Wohlleben hat sich die taz die Projekte der EVA genau angesehen. Das
Ergebnis der Recherchen legt nahe: Das Projekt der EVA mit dem Staatswald
ist ökologisch kritikwürdig und spart kein zusätzliches CO₂ ein. Denn die
kahle Fläche im Staatsforst wäre so oder so wieder aufgeforstet worden,
auch ohne Zertifikate der EVA. Gesetzlich ist der staatliche Forst dazu
verpflichtet.
Pierre Ibisch, der sich als Professor für „Nature Conservation“ an der
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit dem klimagerechten
Umbau des Walds beschäftigt, kritisiert sowohl die zusätzliche
Zertifizierung durch die EVA als auch die Methode, mit der der Staatsforst
in Rheinland-Pfalz umgebaut wird.
Vor der Zertifizierung wurden die Bäume im Forst Adenau mit schweren
Erntemaschinen, sogenannten Harvestern, gefällt und das Holz verkauft.
Waldökologen kritisieren diese industrielle Methode seit Jahren, weil
dabei irreversible Schäden am Boden und umliegenden Pflanzen entstehen.
Ibisch zufolge emittieren die Kahlflächen im Staatswald sogar CO₂; wegen
des Einsatzes der Harvester, aber primär wegen der Räumung von Totholz von
den Flächen, was die Bodentemperatur erhöht und so zu Kohlenstoffemissionen
beiträgt. „Und das für viele Jahre“, sagt Ibisch.
Dass das Projekt ausgerechnet von einer grünen Klimaschutzministerin
unterstützt wird, hält er für einen Skandal. Katrin Eder sei auf die
Holzindustrie „reingefallen“, sagt er.
Auch stellt Pierre Ibisch grundsätzlich infrage, ob die Zertifikate
überhaupt irgendeinen ökologischen Nutzen haben. Und tatsächlich ähnelt der
[2][Markt mit CO₂-Kompensationszertifikaten dem Wilden Westen]: groß,
unreglementiert und bevölkert mit einigen fragwürdigen Gestalten. Erst
Anfang 2023 erschütterte ein massiver Skandal das wichtigste Zertifikat,
den „Verified Carbon Standard“ der US-amerikanischen NGO Verra. Verra steht
hinter knapp 75 Prozent aller Zertifikate weltweit, die auf dem
freiwilligen Kompensationsmarkt gehandelt werden.
Wie [3][Recherchen der Zeit und des Guardian belegten], sind mehr als 90
Prozent der mit dem Verra-Standard zertifizierten Papiere wertlos. Sie
stehen für CO₂-Kompensationen, die es so gar nicht gibt. Doch seit dem
Skandal hat sich erstaunlich wenig getan. Der CEO von Verra, David
Antonioli, trat im Mai 2023 ohne Angaben von Gründen zurück – das war’s.
## Das große Geschäft mit den Zertifikaten
Inzwischen hat der Markt für freiwillige Klimazertifikate einen Umfang von
etwa 850 Millionen Dollar, Tendenz steigend. Bei Shell können Sie
„klimaneutral“ tanken, [4][mit Lufthansa „klimaneutral“ fliegen] und se…
Gazprom „kompensiert“ die eigene CO₂-Bilanz teilweise auf dem
„freiwilligen“ Markt. Der Eindruck entsteht: Es geht voran. Doch diese
Unternehmen [5][verursachen so viel CO₂-Emissionen wie bisher auch]. Die
Schäden sollen lediglich an anderer Stelle – etwa mithilfe der Verra- oder
EVA-Zertifikate – ausgeglichen werden.
„Netto-Null-Emissionen“, nennt sich das Konzept, für das der
Zertifikatenhandel zum Teil mit sehr tatkräftiger Unterstützung großer
Ölkonzerne erfunden wurde. Unternehmen müssen so keinen eigenen Beitrag zum
Klimaschutz leisten, sondern können sich aus der Verantwortung für
umweltschädliche Geschäftspraktiken freikaufen. Ein fragwürdiges Modell,
das verdeckt, was gerade in Wirklichkeit passiert.
Denn jene Öl- und Gaskonzerne investieren im Moment – trotz Erderwärmung –
Hunderte Milliarden Dollar in die Erschließung neuer Vorkommen, wie aus der
„Global Oil & Gas Exit List“ hervorgeht, welche die
Umweltschutzorganisation Urgewald und Partnerorganisationen Mitte November
vorstellten. Wenn die Kompensationszertifikate nicht einmal halten, was sie
versprechen, wird das noch problematischer.
Dass sich seit dem Verra-Skandal so wenig getan hat, liegt nur zum einen
daran, dass das System so schwierig zu durchschauen ist. Der wichtigere
Grund ist: Es profitieren zu viele von den Zertifikaten. Da sind jene
Verschmutzer wie Shell und Co., die sich mit den Zertifikaten wie mit
Ablassbriefen sündenfrei kaufen; die Zertifizierer, die zu wichtigen
Playern im NGO-Segment aufsteigen; und die Projektbetreiber, etwa im
Bereich der Agrar- und Holzindustrie, die zusätzliche Millionen verdienen.
Auch die Förster Peter und Tobias Wohlleben kritisieren den Verein EVA und
Klimaschutzministerin Katrin Eder, etwa für die Projektlaufzeit von 30
Jahren. Dabei sei der Wald zunächst jahrelang eine CO₂-Schleuder. Das liege
zum einen daran, dass Bäume nur langsam wachsen, zum anderen daran, dass im
Boden gespeichertes CO₂ ohne den Schatten und Schutz der Bäume freigesetzt
wird.
Erst nach etlichen Jahren entfalte der Wald langsam die Fähigkeit, CO₂ zu
speichern. „Bis die Bilanz wieder ausgeglichen ist, vergehen in unseren
Breiten Jahrzehnte – eine Zeitspanne, die die Regel-Projektlaufzeiten von
30 Jahren, die in solchen Wiederbewaldungsprojekten üblich ist, häufig
übersteigt. Bilanziell sind solche Projekte also keine CO₂-Senke, sondern
eine CO₂-Quelle“, sagt Tobias Wohlleben. Denn sobald die Laufzeit vorbei
ist, kann der Wald wieder abgeholzt werden.
## Genug Geld sollte da sein
Die EVA bestreitet die Laufzeit von nur 30 Jahren nicht. Das Projekt in
Adenau endet 2053, so steht es auch auf der Webseite des Vereins. Das
Klimaschutzministerium Rheinland-Pfalz erklärt auf taz-Anfrage, dass „das
volle Speicherpotenzial nach 30 Jahren erreicht“ werde. Eine Behauptung,
die Tobias Wohlleben für unwissenschaftlich hält. „Das Speicherpotenzial
wird auch in 300 Jahren noch nicht erreicht sein. Das Einzige, was nach 30
Jahren erreicht ist, ist das Ende der Projektlaufzeit“, kritisiert er.
Insgesamt enthält das Antwortschreiben des Ministeriums viele Floskeln, die
zum Teil einfach von der Website der EVA übernommen wurden. Auch behauptet
das Ministerium gegenüber der taz, dass das geerntete Holz
weiterverarbeitet werde und „das darin gebundene CO₂ dem langfristigen
Holzproduktspeicher zugeführt wurde“. Bloß woher diese Gewissheit kommt,
was mit dem verarbeiteten Holz passiert ist – das beantwortet das
Ministerium nicht. Und das Forstamt als Projektbetreiber reagiert auf
mehrfache Anfragen erst gar nicht. Ein Problembewusstsein scheint nicht
zu existieren.
Das von Klimaschutzministerin Eder protegierte Projekt gibt nicht einmal
vor, einen Wald als langfristigen CO₂-Speicher zu entwickeln. Worin die bei
Kompensationsprojekten geforderte „Zusätzlichkeit“ im Sinne des
Klimaschutzes liegen soll, beantworten sowohl das Ministerium als auch die
EVA mit Floskeln zum allgemeinen Klimaschutzbeitrag des Walds, nicht aber
im Hinblick auf ohnehin bestehende gesetzliche Pflichten. Es ärgert die
Kritiker des Projekts, dass hier gewöhnliche industrielle Holzproduktion
als Beitrag zum Klimaschutz vermarktet wird. Das sei Greenwashing, so
Tobias Wohlleben.
Den Waldökologen Pierre Ibisch freut zwar grundsätzlich, dass statt einer
Fichtenmonokultur ein Mischwald aufgeforstet werden soll. Das gilt als
klimaresilienter und wird deshalb schon seit Jahrzehnten von
Wissenschaftlern empfohlen. Im Forst Adenau sei dieser Umbau aber schon
länger verschlafen worden, sagt Ibisch. „Hier soll das Beharren auf einem
ungeeigneten waldbaulichen Modell – trotz jahrzehntelanger Warnungen – und
die ökosystemschädigende Flächenbehandlung durch ‚Klimaschutz‘-Einnahmen
belohnt werden.“
Warum muss überhaupt ein privater Zertifikatehändler den neuen Wald
finanzieren, wenn die Aufforstung ohnehin Pflicht ist? „Der Erhalt unserer
Wälder ist für den Klimaschutz essenziell. Doch dafür fehlt die
Finanzierung – hier setzt der Wald-Klimastandard an“, argumentiert die EVA
auf ihrer Website. Jedoch hat der Landesforst Rheinland-Pfalz im letzten
öffentlichen Bilanzbericht 2021 einen Überschuss von knapp 8,8 Millionen
Euro aus dem Verkauf von Holz erwirtschaftet. Genug Geld sollte also da
sein.
Ganz abgesehen davon, dass ein staatlicher Forst die gesetzlichen Vorgaben
einhalten muss, auch wenn zur Not zusätzliche Finanzmittel aus der
Staatskasse nötig wären. „Auch das ist meines Erachtens Greenwashing, weil
insbesondere das Land die Vorbildfunktion und das Geld hat, sich an
geltende Gesetze zu halten“, sagt Förster Tobias Wohlleben.
## Kein Schutz vor Missbrauch der Regeln
Alexander Zeihe, Vorstand von EVA, weist den Vorwurf des Greenwashings
zurück. Zeihe war vor seiner Tätigkeit bei der EVA jahrelang
Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands der Waldeigentümer, einer
Lobbyorganisation. Man habe aus dem Verra-Skandal gelernt, sagt er:
„Grundlage des Wald-Klimastandards von EVA ist es, über regelmäßige
Rezertifizierungen im Zeitraum von drei bis fünf Jahren nach der
Erstzertifizierung die tatsächliche Speicherleistung der Projekte zu
überprüfen und so die korrekte Ausgabe von Zertifikaten zu gewährleisten.“
Was Alexander Zeihe nicht sagt, ist, dass schon das Verra-Regelwerk einen
ganz ähnlichen Passus enthielt. Vor Missbrauch schützt dieser offenbar
nicht. Auch erklärt Zeihe nicht, warum etwa das Pilotprojekt im Forstrevier
Hochacht ein eventuelles finanzielles Defizit, sollte es denn vorliegen,
nicht durch den Gesamtüberschuss des staatlichen Forsts in Rheinland-Pfalz
begleichen könnte. Zeihe bestreitet nicht, dass sein Verein
Klimazertifikate für etwas vergibt, was gesetzlich ohnehin Pflicht ist.
Waldökologe Pierre Ibisch fällt dazu nicht mehr viel ein. „Das ist so, als
würde man Menschen Geld dafür geben, dass sie an der roten Ampel anhalten.“
17 Mar 2024
## LINKS
[1] /Umstrittener-Klimaschutzdeal-in-Liberia/!5975181
[2] /CO2-Zertifikate-werden-teurer/!5900441
[3] https://www.zeit.de/2023/04/co2-zertifikate-betrug-emissionshandel-klimasch…
[4] /Verdraengte-Flugscham/!5950495
[5] /Konzerne-und-ihre-Klimaversprechen/!5912463
## AUTOREN
Jan Schroeder
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