| # taz.de -- Lieferkettengesetz der EU: Wo sind die Grünen? | |
| > Das EU-Lieferkettengesetz droht verwässert zu werden – auch weil die | |
| > Ampel Druck macht. Die Grünen hatten einst anderes versprochen. | |
| Bild: Frankfurt, März 20232: Containerfrachter Aarburg verlässt den osthafen | |
| Die langen Verhandlungen für ein EU-Lieferkettengesetz sind auf der | |
| Zielgeraden – diesen Mittwoch steht das Thema auf der Tagesordnung des | |
| Europäischen Rats. Die Richtlinie ist eine einmalige Gelegenheit, die | |
| Verantwortung von Unternehmen für ihre Produkte und deren Herstellung | |
| endlich neu zu definieren und verbindlich festzulegen. Doch Deutschland | |
| stellt sich quer. | |
| Dabei wird eine solche Regelung zum Schutz von Umwelt und Klima dringend | |
| gebraucht: Mehr als 50 Prozent der CO₂-Emissionen sowie der enorme Verlust | |
| von Lebensräumen, Umweltverschmutzung und Umweltschäden weltweit sind auf | |
| die Wirtschaft zurückzuführen. Die große Mehrheit der Unternehmen ist durch | |
| die Aussicht auf kurzfristige Gewinne geblendet und ignoriert langfristige | |
| wirtschaftliche Risiken und Chancen – und die Nachhaltigkeit sowieso. | |
| Entfalten konnte sich diese destruktive Dynamik bisher ungestört, weil es | |
| keine strengen gesetzlichen Vorschriften für Lieferketten gab. | |
| Verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln blieb größtenteils eine | |
| Sache von freiwilligen Selbstverpflichtungen und Appellen. Doch das reicht | |
| nicht. | |
| Erkannt hat man das auch in Brüssel: Unternehmen sollen nun gesetzlich | |
| verpflichtet werden, Sorgfaltspflichten einzuhalten. Sie müssen prüfen, ob | |
| ihre Geschäftspartner entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu negativen | |
| Auswirkungen auf Mensch und Natur beitragen. Ist dies der Fall, sind sie | |
| verpflichtet, diese Effekte zu verhindern. | |
| Doch jetzt, in der Endphase der Verhandlungen, droht [1][das | |
| EU-Lieferkettengesetz] zurechtgestutzt zu werden. Übrig bliebe lediglich | |
| der Schatten eines ehemals ambitionierten Entwurfs, welcher den Status quo | |
| weitgehend unangetastet ließe. Gerade die Bundesregierung versucht die | |
| Richtlinie zu verwässern – mit den Schreckgespenstern „Bürokratie“ und | |
| „Deindustrialisierung“. Dabei führt eine starke und klare Richtlinie nicht | |
| zwingend zu mehr Papierarbeit, sorgt aber sicher für mehr Rechtssicherheit. | |
| Gleichzeitig würde ein starkes EU-Lieferkettengesetz den Anspruch | |
| unterstreichen, fair und auf Augenhöhe zu wirtschaften. Als wertschätzende | |
| Wirtschaft wahrgenommen zu werden, ist heutzutage nicht Bedrohung, sondern | |
| Grundlage einer zukunftsträchtigen Industrie. Nichtsdestotrotz waren | |
| Wirtschaftslobbyisten bereits während der Verhandlungen [2][zum deutschen | |
| Lieferkettengesetz von 2021] mit diesen vorgeschobenen Argumenten | |
| erfolgreich. Mit Blick auf das EU-Lieferkettengesetz und die Position der | |
| Bundesregierung kommt in Brüssel der Eindruck auf, dass Berlin die | |
| exportabhängige deutsche Wirtschaft kompromisslos verteidigen will – egal | |
| wer gerade regiert. | |
| Aber noch ist es nicht zu spät für Deutschland, das EU-Lieferkettengesetz | |
| in seinem ursprünglichen Ambitionsniveau zu verteidigen. Dafür sollten sich | |
| die Verhandlungsführer an der Position des Europäischen Parlaments | |
| orientieren. Um den Geltungsbereich der Richtlinie zu beschreiben, | |
| entwickelten die Parlamentarier eine umfassende Liste von möglichen | |
| Umweltauswirkungen. Diese Liste umfasst die Auswirkungen, welche in | |
| einzelnen internationalen Abkommen abgedeckt werden – geht aber darüber | |
| hinaus. | |
| Der Rat der EU und die Europäische Kommission wollen hingegen eine solche | |
| Liste der Umweltauswirkungen auf die begrenzte Anzahl internationaler | |
| Abkommen beschränken. Das wäre zu kurz gegriffen, denn eine solche verengte | |
| Definition würde zahlreiche Auswirkungen nicht abdecken. Wichtige Punkte | |
| wie Plastikverschmutzung, Tiefseebergbau oder Bodenausbeutung blieben dann | |
| außen vor. | |
| Der Vorschlag der EU-Kommission und des EU-Rats würde nicht nur Mensch und | |
| Natur schaden, sondern letztlich auch der Wirtschaft. Schließlich | |
| widerspricht er dem Ziel, einheitliche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. | |
| Manche Umweltschäden, Sektoren und Unternehmen wären vom | |
| EU-Lieferkettengesetz abgedeckt, andere nicht – wobei die nicht abgedeckten | |
| Aktivitäten potenziell die besonders schädlichen sind. | |
| ## Fatal für das Klimaprofil | |
| Ein breiterer Gültigkeitsbereich des EU-Lieferkettengesetzes würde zudem | |
| nahtlos an ähnliche EU-Rechtsvorschriften anschließen, wie etwa die neue | |
| Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Und: Die | |
| Wirtschaft muss ohnehin ihre Geschäftsmodelle dekarbonisieren, also von | |
| Kohlenstoff befreien. Wäre nun der Aspekt Klima aus dem | |
| EU-Lieferkettengesetz ausgeklammert, wäre das fatal für die Anreize an | |
| Unternehmen, für das Klimaprofil der Grünen als Regierungspartei – und | |
| widersprüchlich zu aktuellen Forschungsergebnissen: | |
| Der [3][jüngste IPCC-Bericht] hat gezeigt, dass die Dekarbonisierung ganzer | |
| Wertschöpfungsketten notwendig ist, um der Klimakrise Einhalt zu gebieten. | |
| Rasant schließt sich das Zeitfenster, in dem wir die schlimmsten | |
| Auswirkungen der Klimakrise vermeiden können. Deutschland hat sich | |
| verpflichtet, bis 2050 das Netto-null-Ziel für Treibhausgase zu erreichen. | |
| Der ambitionierte Ursprungsentwurf des EU-Lieferkettengesetzes sieht vor, | |
| dass Unternehmen nicht nur verpflichtet sind, Übergangspläne für eine | |
| Dekarbonisierung zu erstellen – sondern diese auch umzusetzen. | |
| ## Greenwashing verhindern | |
| Deutschland sollte sich dafür einsetzen, dass der Klimaaspekt nicht in den | |
| finalen Verhandlungen gekürzt wird – denn genau diese Anforderungen an die | |
| Wirtschaft fehlen bisher. Das EU-Lieferkettengesetz könnte ein klaffendes | |
| Loch in der EU-Umweltpolitik stopfen. Und es könnte dazu beitragen, | |
| Greenwashing zu verhindern, also das Vortäuschen von | |
| Nachhaltigkeitsleistungen. | |
| Als die vorherige Bundesregierung 2021 ein mangelhaftes Lieferkettengesetz | |
| verabschiedete, verwiesen führende Grüne darauf, dass die kommende | |
| übergeordnete Gesetzgebung in Brüssel besser sein und auch die Umwelt | |
| umfassend schützen müsse. Nun ist es an der Zeit, dass die Grünen liefern. | |
| 15 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /UN-Lieferkettengesetz-fuer-Unternehmen/!5968796 | |
| [2] /Berichte-ueber-Umweltschaeden-in-Marokko/!5972376 | |
| [3] https://www.de-ipcc.de/307.php | |
| ## AUTOREN | |
| Hermann Ott | |
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