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# taz.de -- Russlands Wirtschaft: Der Krieg lässt den Rubel rollen
> Putin will sich als Präsident bestätigen lassen. Dabei hilft ihm
> Russlands robuste Wirtschaft, die den Sanktionen trotzt. Was bleibt dem
> Westen?
Bild: Trotz Krieg und westlichen Sanktionen sind die Löhne und Einkommen der B…
Berlin taz | Wenn die Menschen in [1][Russland] von diesem Freitag bis
Sonntag an die Urnen gerufen sind, [2][um Wladimir Putins Zeit im Kreml
erneut zu verlängern], könnten die wirtschaftlichen Aussichten des Landes
trüber sein. Denn trotz des seit mehr als zwei Jahren andauernden Krieges
gegen die Ukraine und der westlichen Sanktionen wuchs Russlands Wirtschaft
im vergangenen Jahr 2023 um erstaunliche 3,5 Prozent. Andererseits sind die
Belastungen enorm: Fast ein Drittel des Staatshaushaltes muss Moskau für
das Militär ausgeben. Wie lange kann das Land das durchhalten? Und wie
verletzlich ist es für weitere Sanktionen?
Während das gesamte Budget des russischen Staates 2024 umgerechnet etwa 370
Milliarden Euro umfassen soll, sind für Rüstung und Krieg offiziell 109
Milliarden Euro reserviert, was 29 Prozent entspricht. Zum Vergleich: Die
deutschen Verteidigungsausgaben betragen im laufenden Jahr 72 Milliarden
Euro, was 15 Prozent des Bundeshaushaltes sind. Während Deutschland knapp 2
Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Waffen und Soldaten
aufwendet, sind es in Russland 6 Prozent.
Derart hohe Militärausgaben stellen langfristig eine Bürde für die
Bevölkerung und die Wirtschaft dar. Dutzende Milliarden Rubel können nicht
in zivile Infrastruktur, Bildung oder Forschung fließen. Und man kann
fragen, wie lange es der russischen Regierung gelingt, diese finanzielle
Belastung zu stemmen.
„Aus finanzieller Perspektive kann [3][der Staat den Krieg] wohl noch Jahre
durchhalten“, sagt jedoch Vasily Astrov vom Wiener Institut für
Internationale Wirtschaftsvergleiche. Das Defizit des Staatshaushaltes habe
2023 bei 2 Prozent des BIP gelegen und sei aus dem Nationalen
Vermögensfonds finanziert worden. „Das sollte auch noch bis 2025 möglich
sein“, schätzt der Wirtschaftsexperte, „und danach könnte sich die
russische Regierung bei einheimischen Banken verschulden“.
## Der Vergleich mit der Sowjetunion hinkt
Aber ist nicht die Sowjetunion Ende der 1980er Jahre auch wegen der hohen
Militärausgaben für den Afghanistankrieg zusammengebrochen? „Der Vergleich
trägt nur teilweise, denn damals waren die Militärausgaben mit über 10
Prozent des BIP deutlich höher als heute“, sagt Astrov. Alexander Libman,
Osteuropa-Experte an der FU Berlin, ergänzt: Die entscheidende Rolle für
den Zusammenbruch habe damals die „extrem ineffiziente Planwirtschaft“
gespielt. Heute dagegen „ist Russland eine Marktwirtschaft“, die
leistungsfähiger und flexibler sei, so der Forscher.
Libman hält die Kriegsfinanzierung aber aus einem anderen Grund für ein
Problem: Die beträchtlichen Militärausgaben könnten die Inflation anheizen,
„was die Reallöhne in Russland wieder senken könnte“. Eine extreme
Preissteigerung könnte die Regierung zu Ausgabenkürzungen zwingen – was die
Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg gefährden würde.
Momentan allerdings wirkt die Schlacht in der Ukraine wie ein
Konjunkturprogramm für Russland. Laut Astrovs Analysen ist die
Industrieproduktion 2023 um über 7 Prozent gestiegen. Mehr Aufträge des
Militärs spielten dabei eine große Rolle. Löhne und Einkommen wuchsen, in
der Folge beispielsweise auch die Umsätze im Einzelhandel. Und die
Erdölproduktion sei im vergangenen Jahr um lediglich 1,2 Prozent
zurückgegangen, so der Forscher.
## Eine Option: Sanktionen gegen Chips aus China
Das führt zur Frage der Wirksamkeit der westlichen Sanktionen. Die EU, die
USA und weitere Staaten haben unter anderem den Export vieler technischer
Produkte nach Russland verboten, die der dortige militärisch-industrielle
Komplex bräuchte. Laut Brüssel fallen unter diese Sanktionen mittlerweile
58 Prozent der früheren Ausfuhren gen Osten. Andererseits wurde nahezu die
Hälfte der ehemaligen Importe aus Russland nach Europa unterbunden, was
unter anderem Erdgas betrifft.
Das beeinträchtigt die Einnahmen des russischen Staates und der
Unternehmen. Moskau ist zum Beispiel gezwungen, Erdöl an China und Indien
unter Weltmarktpreis zu verkaufen. Andererseits, so urteilt der Wiener
Forscher Vasily Astrov, komme die russische Wirtschaft bisher einigermaßen
mit den westlichen Sanktionen zurecht. Der offensichtliche Schaden ist
geringer, als viele hiesige Fachleute und politisch Verantwortliche
angenommen hatten.
Ein Grund dafür liegt darin, dass vor allem chinesische Firmen technische
Produkte nach Russland liefern, die westliche Unternehmen nicht mehr
liefern dürfen. Außerdem werden Sanktionen umgangen, indem China, aber auch
die Türkei, Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgistan oder Usbekistan
westliche Waren weiterverkaufen.
Was tun? „Wenn der Westen Russland mit zusätzlichen Sanktionen treffen
will, sollte er vor allem versuchen, die Lieferung von Halbleiterchips
durch China und andere Drittländer einzuschränken“, meint Astrov.
„Unternehmen in diesen Staaten exportieren die Chips, die die russische
Industrie nicht selbst produziert, für die Waffenherstellung aber dringend
braucht.“
Dieses Vorgehen freilich könnte sich als heikel herausstellen, denn es mag
zu weiteren Spannungen zwischen China und dem Westen führen, da sich die
Regierung in Peking kaum dazu wird zwingen lassen. Auch einen Exportstopp
von Flüssiggas nach Europa hält der Wiener Forscher für wenig
erfolgversprechend: „Die russischen Gaslieferungen könnten nach Asien
umgeleitet werden.“
FU-Professor Libman plädiert deshalb für einen anderen Weg: Anstatt
Sanktionen zu verschärfen, müsste der Westen bestimmte Strafmaßnahmen
gezielt lockern. Er rät zum „Ausbau der Möglichkeiten, Kapital und Menschen
aus Russland zu exportieren“. Die Überweisungen und die Auswanderung aus
Russland müssten leichter, nicht schwieriger werden. Denn, führt der
Experte aus, „Kapital- und Menschenflucht wird das Regime Putin viel mehr
unter Druck setzen als das aktuelle Sanktionsmodell.“
15 Mar 2024
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## AUTOREN
Hannes Koch
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