# taz.de -- Putin vor der Wahl: Der Gekränkte | |
> Bis zum Sonntag lässt sich Amtsinhaber Putin in einem mehrtägigen | |
> Wahl-Event als Präsident bestätigen. Wie wurde er zu dem, der er heute | |
> ist? | |
Bild: Aufhängen für Anhänger: Im weit im Osten gelegenen Wladiwostok bringen… | |
MOSKAU taz | Es gibt da diese Szene, vor sechs Jahren bereits. Auch damals | |
hatte [1][Wladimir Putin] vor einer Präsidentschaftswahl gestanden – eher | |
einer technischen Legitimierungsmaßnahme denn einer echten Abstimmung. | |
Russlands Präsident braucht solche Volksentscheide, um den Nachweis zu | |
erbringen, dass das Volk hinter ihm stehe, mag auch die Rolle dieses Volkes | |
lediglich darin bestehen, Beifall zu klatschen. Diesmal dürfen die Menschen | |
das an gleich drei Tagen tun, vom 15. bis 17. März, online und offline. | |
„2024. Russland. Putin“ ist sein Wahlspruch bei einer Wahl, die keine Wahl | |
zulässt. So war es auch 2018 schon. | |
Kurz vor jenem Plebiszit war Putin damals vor eine blaue Wand in der | |
Moskauer „Manege“ getreten, einer früheren Paradehalle für | |
Reitvorführungen, und hatte, während hinter ihm Filmchen von | |
Interkontinentalraketen und Hyperschallwaffen aus russischer Produktion | |
liefen, gesagt: „Niemand wollte mit uns sprechen. Niemand hatte uns | |
zugehört. Hört uns jetzt zu!“ | |
Hier sprach ein tief Gekränkter, ein „Obischenny“, wie die Russ*innen | |
sagen. Und da hatte er diese Kränkung – „Obida“, ein sehr beliebtes | |
russisches Wort – längst zum zentralen Motiv seines Handelns gemacht. Einer | |
Politik, die auf rohe Gewalt setzt. Keine Rede mehr von einer ewigen | |
Freundschaft mit Europa, wie sie Putin noch 2001, keine zwei Jahre an der | |
Macht im Kreml, im Bundestag auf Deutsch beschwor. | |
Diese Vision ist mittlerweile in erbitterte Feindschaft umgeschlagen, | |
schleichend, aber nicht verschleiert. Europa ist für den russischen | |
Herrscher, der sich während der Covid-Pandemie in der Einsamkeit seines | |
Bunkers immer tiefer auf Verschwörungstheorien von russischen | |
Religionsphilosophen einließ, ein verweichlichter Kontinent. | |
## „Die Schwachen schlägt man“, sagt Putin gern | |
Moskau dagegen gibt sich maskulin. Das Toxische dabei nimmt es bewusst in | |
Kauf und feiert mit seinen Panzern und Raketen – nun nicht nur in Filmchen | |
auf Leinwänden, sondern in der Ukraine real eingesetzt – rigoros seinen | |
Abschied von ebendem Europa, zu dem Russland kulturell jahrhundertelang | |
gehört hatte. Mit dem Westen gebrochen hatte Putin bereits 2007 mit seiner | |
Brandrede auf der [2][Münchner Sicherheitskonferenz]. Wie eine | |
programmatische Grundsatzerklärung kamen die wuchtigen Worte schon damals | |
daher, mit denen er vor allem die USA anfuhr. | |
2018 wirkte Putins Rede an die Nation in der „Manege“ nochmal wie ein | |
selbstbewusst vorgetragenes „Wir gehen unseren eigenen Weg“. Zwei Jahre | |
später ließ er sich mit einer Verfassungsreform weitere Herrscherjahre | |
zusichern. Heute zeigt sich, dass der 71-Jährige für seinen Machterhalt | |
alles in Kauf nimmt, auch die Tatsache, dass er durch seine allseitige | |
Mobilisierung für den Krieg auch sein eigenes Land aufs Spiel setzt. | |
Wirtschaftlich mag Russland gerade Gewinne einfahren. „Europa wollte uns | |
schwächen, das ist dem alternden Reich nicht gelungen“, höhnen die | |
Propagandist*innen. Doch um welchen Preis floriert das Land? | |
Es ist der Krieg, der vorantreibt. Die einzige Vision, die Putin zu bieten | |
hat, ist der Kult des Todes. „Sterben müssen wir alle“, hatte er einst | |
Angehörigen von Gefallenen in der Ukraine gesagt und ihnen dargelegt, dass | |
ihre Söhne, Männer und Brüder Helden seien. | |
Es ist eine verkehrte Welt, die sich unter Putin seit Langem offenbart. Er | |
begann seine Amtszeit als Wirtschaftsreformer. Nach zehn Jahren war die | |
Wirtschaftsleistung Russlands verachtfacht und betrug 2010 etwa 1,9 | |
Billionen Dollar. Die Finanzkrise überstand Russland besser als andere | |
Länder, auch ohne Diversifizierung. Den Aufschwung rechneten die Menschen | |
Putin hoch an. Viele aber wollten mehr als das bessere Einkommen, sie | |
wollten politische Teilhabe – dafür gingen sie 2011/12 zu Hunderttausenden | |
auf die Straße. | |
Putin ließ sich davon nicht beirren und zog nach seiner Zeit als | |
Ministerpräsident wieder als Präsident in den Kreml ein. Die Rochade war | |
gut inszeniert. Das Regime sah und sieht das Volk als Objekte. Jeder, der | |
zum politischen Subjekt zu werden versucht, landet heute auf der | |
Anklagebank und danach nicht selten in der Strafkolonie. Am eindeutigsten | |
zeigte sich das am – vergifteten und schließlich hinterm Polarkreis | |
plötzlich aus dem Leben geschiedenen – Oppositionspolitiker Alexei Nawalny. | |
Nun beweinen ihn seine Anhänger*innen wie auch all die, die noch | |
irgendeine Hoffnung auf Veränderungen hegten, täglich am Grab im Südosten | |
Moskaus. Ununterbrochen ziehen Jung, Alt und Mittelalt, allein, als Paar, | |
als Familie mit Kindern, auch Tage nach seiner Beerdigung am 1. März zum | |
Hügel zwischen den Plattenbauten, um sich vor dem Kremlkritiker zu | |
verneigen. Doch im Russland von heute sind selbst Blumenniederlegungen am | |
Friedhof zu einem mutigen Akt des Widerstands geworden. Das Regime Putin | |
erträgt keinen, der sich selbstbestimmt für die eigenen Werte und | |
Überzeugungen einsetzt. Das hatte nicht nur Nawalny zu spüren bekommen, | |
sondern auch der Söldnerführer Jewgeni Prigoschin etwa, ein alles andere | |
als auf Frieden und Freiheit eingestellter Mann. [3][Sein offenes | |
Herausfordern Putins führte zum öffentlichkeitswirksamen Sturz vom Himmel.] | |
Putin hatte es nie gelernt, zurückzuweichen. In den Hinterhöfen von | |
Leningrad steckte er, der von den malochenden Eltern nicht Gewollte, Prügel | |
ein, er teilte auch Prügel aus. Im Judo perfektionierte er den | |
Körpereinsatz, sein Trainer hatte ihn bei der Polizei gesehen, Putin wählte | |
den KGB. Geheimdienstler ist er bis heute geblieben, auch wenn die | |
Staatssicherheit seit dem Zerfall der Sowjetunion – der „größten | |
geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie Putin in einer Rede | |
2005 sagte – nicht mehr KGB, sondern FSB heißt. Die Zentrale ist immer noch | |
dort, wo sie zu Zeiten Lenins und Stalins war. | |
„Die Schwachen schlägt man“, sagt Putin gern. Er geriert sich stets als | |
starker, gnadenloser Macher. Aus dem jugendlichen „Pazan“, dem Burschen, | |
der in seiner Heimatstadt lernte, als Erster zuzuhauen, ist der grobe | |
„Muschik“ geworden, ein chauvinistischer Macho, der auf der engen | |
Einbahnstraße des Nichtnachgebens fährt. Viele Russ*innen lieben ihn | |
dafür, er habe schließlich der ganzen Welt gezeigt, dass sie noch wer | |
seien, wiederholen sie wie hypnotisiert. Die verkehrte Welt, die die | |
Propagandist*innen seit Jahren zeichnen, ist längst zu ihrer Realität | |
geworden. | |
14 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
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