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# taz.de -- Wahl in Russland: Der Bär und seine Taiga
> Um Putin am Sonntag wieder als Präsidenten in den Kreml einziehen zu
> lassen, setzt das Regime auf eine Illusion einer freien Meinungsäußerung.
Bild: Kein Weg zu weit oder zu beschwerlich: Mitglied der Wahlkommisssion unter…
Moskau taz | Seit Wochen finden sich quer durch Moskau riesige Plakatwände
mit einem Bären, umarmt von einem Mädchen. „Befreundet sein auf Russisch“,
steht darunter. Hier das gefährliche riesige Tier, dort das fragile Kind.
Gemeinsam gehen sie eine ungewöhnliche Allianz ein. Solch eine
Einzigartigkeit und Einmaligkeit seien eben russisch, versucht die Kampagne
zu vermitteln. Im Fernsehen läuft derweil ein Videoclip, ebenfalls mit
einem Bären. Die Kamera zeigt ein durch Wälder streifendes und im Wasser
spielendes Raubtier. „Vielleicht will das Bärchen ganz beschaulich seine
Beeren essen, den Honig. Vielleicht lassen sie es in Ruhe. Nein, lassen sie
nicht!“, sagt eine Stimme aus dem Off. Es ist die Stimme von [1][Wladimir
Putin].
Der Clip ist sein Wahlclip. „Sie werden immer versuchen, den Bären an die
Kette zu legen. Und wenn sie es geschafft haben, werden sie ihm seine Zähne
und Krallen ausreißen und sich später auch die Taiga unter den Nagel
reißen. Doch seine Taiga gibt der Bär niemals her. Ich denke, das sollte
jedem klar sein“, heißt es in bestimmtem Ton darin.
An diesem Sonntag will Putin mit seinen 71 Jahren, nach einer dreitägigen
Abstimmung, wieder als Präsident in den Kreml einziehen. Er, der russische
Bär, der sich die Taiga, das Territorium, das Putin für seins hält – also
auch [2][die besetzten ukrainischen Gebiete] –, von niemandem nehmen
lässt.
Keiner in Russland und auch außerhalb des Landes hat jeglichen Zweifel
daran, dass Putin zum fünften Mal Präsident wird. Der Kreml hat bereits vor
einem halben Jahr die Zustimmungsrate auf 80 Prozent angesetzt. Es ist eine
langweilige Abstimmung im totalitären Regime. Und doch braucht Moskau diese
Illusion einer freien Meinungsäußerung als Ausdruck des Volkswillens. Zudem
lässt sich mittels Wahl die Effektivität einzelner Beamt*innen
überprüfen.
## Wahltipps in Reimform
Putin legt Wert darauf, dass alles, was er tut, eine rechtliche Form hat,
mögen die Gesetze auch lediglich für den Kreml geschrieben werden. So kann
er seine Wiederwahl als eine Art Nachfrage der Bevölkerung verkaufen, auf
die der Staat unermüdlich Antworten suche. Dafür tut dieser bereits im
Vorfeld einiges. Seit dem 25. Februar lässt das Regime in weit entfernten
Regionen wählen.
Rentierzüchter, Mitarbeiter*innen in Polarstationen, Schichtarbeiter
auf Gasfeldern, Grenzbeamte, aber auch Menschen in den besetzten Gebieten
der Ukraine und die Militärs haben ihre Stimmen abgegeben. 112 Millionen
Russ*innen sind zur Wahl aufgefordert, auch im Ausland, wo in 144 Ländern
knapp 300 Wahllokale geöffnet seien, so die Zentrale Wahlkommission, die
mit Zeichentrickfilmen die Wahl erklärt, in Reimform.
Auf den Wahlzetteln stehen neben Putin noch drei Namen: Nikolai Charitonow,
ein 75-jähriger Kommunist, der zurück in den Sozialismus will; Leonid
Sluzki, ein 56-jähriger Nationalist, der auf Vorwürfe der sexuellen
Belästigung von mehreren Frauen stolz ist; und der 39-jährige Unternehmer
Wladislaw Dawankow von der Partei „Neue Leute“. Keiner dieser drei Männer
hat sich in den Abstimmungen im Parlament je gegen Putin gestellt, auch
sonst nichts geäußert, das auch nur annähernd regierungskritisch wäre.
Die Wahlkommission hat sorgfältig dafür gesorgt, dass Kandidat*innen
mit einer Anti-Kriegs-Agenda etwa gar nicht erst zur Wahl zugelassen
wurden. Weder die Lokaljournalistin [3][Jekaterina Dunzowa] noch der
langjährige Politiker [4][Boris Nadeschdin], beide offene Kriegsgegner,
kamen auf die Liste.
Damit die Menschen online abstimmen können – damit lassen sich letztlich
leichter Stimmen manipulieren –, haben die Stadtverwaltungen die Aktion
„Millionen Preise“ ins Leben gerufen. Zu gewinnen gibt es
Restaurantgutscheine, Kleider, smarte Lautsprecher. Gestört werden soll die
Party durch eine Aktion, die Alexei Nawalny ins Leben gerufen hatte, als er
noch lebte.
Nun fordern seine Anhänger wie auch etliche Oppositionelle, vor allem aus
dem Exil, dazu auf, am Protest „Mittag gegen Putin“ teilzunehmen: Am
Sonntag um 12 Uhr sollen alle, die ihre Unzufriedenheit ausdrücken wollen,
in den Wahllokalen erscheinen und entweder gegen Putin stimmen oder den
Wahlzettel ungültig machen. Es ist ein Versuch, in einer Diktatur Mensch
zu bleiben. Ausgezählt wird ab Sonntag, 19 Uhr Mitteleuropäischer Zeit.
14 Mar 2024
## LINKS
[1] /Putins-Rede-zur-Lage-der-Nation/!5993146
[2] /Indigene-auf-der-Krim/!5996850
[3] /Opposition-gegen-Putin/!5982913
[4] /Vor-der-Praesidentschaftswahl-in-Russland/!5985581
## AUTOREN
Inna Hartwich
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