# taz.de -- Opposition gegen Putin: „Morgendämmerung“ für Russland | |
> Jekaterina Dunzowa wollte als Kandidatin gegen Präsident Putin antreten | |
> und wurde nicht einmal registriert. Jetzt hat sie eine Partei gegründet. | |
Bild: 27. Dezember: Jekaterina Dunzowa spricht mit der Presse, nachdem ihre Kan… | |
Moskau taz | „Warum?“ Warum nur tue sie sich das an, wenn doch eh allen | |
klar sei, wer der nächste Präsident in Russland sein werde. Es ist die | |
erste Frage, die Jekaterina Dunzowa gestellt wird, seit sie im November | |
ihre Kandidatur als neue Präsidentin Russlands angekündigt hatte. Seit sie, | |
die völlig Unbekannte, hervorgetreten ist, um die Öffentlichkeit für sich | |
zu gewinnen, mit einem Charme, den sie selbst offenbar noch finden muss. | |
Ihre Antwort: Es müsse sich etwas ändern in Russland. Sie wolle „positive | |
Botschaften“ verbreiten, wie sie sagt. Trete für „Frieden, Liebe, | |
Freundschaft“ an. Das System brauche eine echte Alternative, davon ist sie | |
überzeugt. Ein System, das einiges dafür tut, dass sie diese Alternative | |
erst gar nicht sein darf. | |
Am Wochenende hatte Dunzowa ihre eigene Partei gegründet. „Morgendämmerung�… | |
soll sie heißen, ihr Ziel: „Menschen an die Macht zu bringen, die in der | |
Zukunft leben, nicht in der Vergangenheit, in einem sicheren Land, in dem | |
das Wohlergehen aller und nicht die Bereicherung Auserwählter im | |
Vordergrund steht“, heißt es im Dokument. Am Abend nach dem Treffen führte | |
die Polizei sie ab: Drogenkontrolle. „Ich hoffe, das war nur ein | |
Missverständnis“, schrieb sie nach ihrer Freilassung. | |
Sie kennt die Nadelstiche des Systems: Kaum hatte sie von ihren Plänen zur | |
Wahl gesprochen, lud die Staatsanwaltschaft sie zu „Gesprächen“ ein, | |
wollte offenbar ihre Meinung zu „Aktivitäten der russischen Armee in der | |
[1][Ukraine]“ hören. | |
## Jedes ihrer Interviews macht ihre Vorsicht deutlich | |
Beim ersten Treffen mit Dunzowas Unterstützer*innen in Moskau ging das | |
Licht in der Halle aus. Eine Diskreditierungskampagne rollte an. Die | |
40-Jährige sei eine Marionette des früheren Ölmagnaten [2][Michail | |
Chodorkowski], hieß es in einigen Telegram-Kanälen. Die Zentrale | |
Wahlkommission registrierte sie erst gar nicht als Kandidatin – wegen | |
angeblicher „schwerer Fehler“ in den Unterlagen. Es ist ein übliches | |
Vorgehen, um Oppositionelle [3][von Wahlen auszuschließen]. „So | |
funktioniert es in unserem Land“, sagte Dunzowa und wischte die | |
Einschüchterungsversuche als „Normalität“ beiseite. | |
Sie weiß, auf welchem politischen Feld sie sich bewegt. Jedes ihrer | |
Interviews, das sie vor allem unabhängigen Journalist*innen im In- und | |
Ausland gibt, macht ihre Vorsicht deutlich. Dunzowa wirkt nervös, sie eiert | |
herum, umgeht Themen mit einem schüchternen Lächeln und nimmt schon gar | |
nicht das Wort „Krieg“ in den Mund. Sie spricht – gesetzeskonform – von | |
„[4][militärischer Spezialoperation]“ und tritt, wie sie sagt, für eine | |
„Agenda des Friedens“ an. | |
Die 40-Jährige ist Anwältin, sie weiß – wie jede und jeder im Russland von | |
heute –, wohin ihr Weg führen dürfte, wenn sie allzu deutlich und allzu | |
laut das bestehende Regime kritisieren würde, gegen das sie anzutreten | |
bereit ist. Die Gesetze machen es leicht, wegen sogenannter Diskreditierung | |
der russischen Armee belangt zu werden. Sie habe Angst, natürlich, wer | |
bitte habe sie nicht in Russland? Den Mut hat sie nach den | |
Entmutigungsversuchen des Regimes nicht verloren. Sie scheinen sie erst | |
recht in die Politik zu ziehen. | |
Sie wolle mit dem Frauenthema punkten. „Frauen stehen für Sanftheit, Güte, | |
Friedfertigkeit.“ Damit bedient auch sie patriarchale Ansichten im Land. | |
Müde seien die Menschen von dem, was vor sich gehe. Der „Konflikt“ in der | |
Ukraine müsse mit Verhandlungen gelöst werden. Was sie verhandeln würde, | |
wie und wo, sagt sie nicht. „Alles ist traurig. Jemand muss die | |
Verantwortung übernehmen und losziehen.“ | |
## Gegen die Angst – und gegen die Wahrscheinlichkeit | |
Jekaterina Dunzowa zieht los. Sie gründete eine Initiativgruppe, wollte | |
Unterschriften sammeln für ihre Kandidatur, von der die Behörden sie | |
abhielten. Nun will sie mit ihrer Partei „Morgendämmerung“ etwas bewirken, | |
spricht sich für die Freilassung politischer Gefangener aus, will sich für | |
die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen. Sie sieht sich als | |
„Hoffnungsträgerin“ und war sich von Anfang an bewusst, dass „diese Numm… | |
alles übertreffe, was sie bisher gemacht habe. | |
Dunzowa ist 1983 in Sibirien geboren, war als Jugendliche nach Rschew | |
gezogen, eine Kleinstadt knapp 200 Kilometer nordwestlich von Moskau. Nach | |
ihrem Jurastudium und ihrer Ausbildung zur Fernsehjournalistin war sie | |
Stadtparlamentsabgeordnete von Rschew. Dass direkte Bürgermeisterwahlen | |
abgeschafft worden waren, hatte die Mutter von zwei Töchtern (heute 19 und | |
16 Jahre) und einem Sohn (10) gewurmt, deshalb sei sie in die Politik | |
gegangen. Sie habe sich in ihrer Stadt als Aktivistin für verschwundene | |
Kinder und Erwachsene betätigt, habe sich stets für die Allgemeinheit | |
engagiert, erzählt sie in den Interviews. Jetzt wolle sie weitergehen. | |
„Du kannst es, Katja!“, hätten ihr die Verwandten und Freunde in Rschew | |
gesagt. Und „Katja“ – es ist die Kurzform von Jekaterina – versucht es. | |
Gegen das Regime. Gegen ihre eigene Angst. Gegen jede Wahrscheinlichkeit. | |
15 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[2] /Michail-Chodorkowski-ueber-den-Krieg/!5927332 | |
[3] /Meduza-Auswahl-7--13-Dezember/!5980154 | |
[4] /Buchautor-Glukhovsky-ueber-Selbstzensur/!5933950 | |
## AUTOREN | |
Inna Hartwich | |
## TAGS | |
Russland | |
Wahlen | |
Wladimir Putin | |
Russische Opposition | |
Opposition | |
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Wahlen | |
Unser Fenster nach Russland | |
Unser Fenster nach Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahl in Russland: Der Bär und seine Taiga | |
Um Putin am Sonntag wieder als Präsidenten in den Kreml einziehen zu | |
lassen, setzt das Regime auf eine Illusion einer freien Meinungsäußerung. | |
Präsidentenwahl in Russland: Nadeschdin kassiert ein „Njet“ | |
Oppositionspolitiker Nadeschdin darf in Russland bei der Präsidentenwahl | |
nicht antreten. Die Behörden begründen das mit fehlerhaften Unterschriften. | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Russland will Kriegsgegner enteignen | |
Der putintreue russische Parlamentschef will Besitz und Geld von | |
„Staatsfeinde“ konfiszieren. Ukraines Präsident Selenski sieht keine Chance | |
auf Frieden unter Putin. | |
Debatte über Klos in Russland: So ein Scheiß | |
„Entnazifizierung“ lautete das offizielle Ziel des Kremls für den Überfall | |
auf die Ukraine. Jetzt kommt raus: Es geht um genderneutrale Klos. | |
Wo 2024 gewählt wird: Das entscheidende Jahr | |
Kommt Trump zurück? Bleibt Modi in Indien an der Macht? Rückt die EU nach | |
rechts? 2024 geht fast die Hälfte der Weltbevölkerung wählen. Ein | |
Überblick. | |
Meduza-Auswahl 21. – 27. Dezember: Zwölfmal Hoffnung | |
Während Alexej Nawalny isoliert wurde, wünschen sich die Meduza-Gründer | |
Frieden für die Ukraine und Nahost. Texte aus dem Exil. | |
Meduza-Auswahl 7. – 13. Dezember: Putin will unbedingt 5. Amtszeit | |
Die russische Opposition arbeitet an einer Anti-Putin-Kampagne. Derweil | |
verschwindet ihr Star Alexei Nawalny. Texte aus dem Exil. |