# taz.de -- Schönheit und Frauen mit Behinderung: „Mode muss inklusiver werd… | |
> Wie schauen Frauen mit Behinderung auf ihre eigene Schönheit? Und wie | |
> ändert sich das mit dem Erwachsenwerden? Vier Protokolle. | |
Bild: Wenn Melis Gedik Fotos von sich in Dessous postet, erfährt sie online vi… | |
## Alana Reimer, 24, Content Creator und Künstlerin aus Minden | |
Als ich nach meiner Wirbelsäulenoperation im vergangenen Jahr zum ersten | |
Mal richtig sitzen konnte, war das ein krasses Gefühl. Das war der erste | |
Moment, an dem ich mich schön gefühlt habe. Vorher war ich sehr unsicher | |
wegen meines Körpers. | |
Ich versuche mich viel über meine Kleidung und über [1][Make-up] | |
auszudrücken. Am liebsten mag ich es bunt und ein bisschen extravagant. | |
Oberteile kann ich problemlos kaufen. Mit Hosen ist es komplizierter. Mein | |
Becken ist anders gebaut, deshalb sind sie mir entweder zu eng oder zu | |
lang. In der Kinderabteilung finde ich eher welche. Dort als erwachsene | |
Frau einkaufen zu müssen, empfinde ich aber als demütigend, deshalb shoppe | |
ich meist online. Ich würde mir wünschen, dass die Modeindustrie mehr | |
Rücksicht auf verschiedene Körperformen nehmen würde. | |
Sichtbarkeit ist sehr wichtig, deshalb finde ich es gut, dass Marken heute | |
häufiger [2][Models mit Behinderung] buchen als früher. Als Teenager hätte | |
mir das geholfen, mich und meinen Körper mehr zu akzeptieren. Damals habe | |
ich immer nur diese perfekten Models gesehen und hatte viele Probleme mit | |
mir selbst. | |
Natürlich gibt es diversity washing, viele Unternehmen, die eigentlich gar | |
nicht inklusiv oder divers sind, aus Marketinggründen aber diesen Anschein | |
erwecken wollen. Das ist nicht richtig. Grundsätzlich freue ich mich aber, | |
in der Gesellschaft endlich mehr gesehen und repräsentiert zu werden. | |
In der Pandemie habe ich begonnen, auf Social Media aktiv zu werden. Zuerst | |
ging es nur um Bücher, dann habe ich entschieden, mehr über mein Leben zu | |
erzählen. Ich habe mich als Teenager oft allein und unverstanden gefühlt, | |
deswegen möchte ich jetzt anderen Menschen mit Behinderungen Mut machen, | |
aufklären und Vorurteilen entgegenwirken. Es ist mir aber auch wichtig, | |
anderes zu thematisieren, weil mich mehr ausmacht als nur meine | |
Behinderung. Social Media hat mich selbstsicherer gemacht und abgehärtet. | |
Das hilft mir im Alltag, denn sobald ich draußen unterwegs bin, stehe ich | |
ungewollt im Mittelpunkt. | |
Vor kurzem habe ich wieder angefangen, was ich erlebe, mit Kunst zu | |
verarbeiten. Zum Beispiel Hasskommentare aus Social Media, wie es sie etwa | |
gab, als Victoria’s Secret Videos von seiner Modenschau für [3][adaptive | |
Unterwäsche] gepostet hat. Auf TikTok haben viele Menschen geschrieben, | |
Menschen mit Behinderungen sollten nicht modeln. Diese Kommentare habe ich | |
in einem Bild als Material benutzt. Darauf bin ich in meinem Rollstuhl zu | |
sehen, und die Kommentare habe ich auf Papier wie ein Kleid aufgeklebt. Für | |
mich sind solche Reaktionen ein Anreiz, noch lauter zu werden. | |
## Melis Gedik, 26, Studentin aus Frankfurt | |
Mein Rollstuhl ist mein Thron. Natürlich zieht er den einen oder anderen | |
Blick auf mich. Um ihn noch schöner zu machen, habe ich mir Speichenschutze | |
besorgt, die ich passend zu meinem Outfit und meiner Laune auswähle. Auf | |
einem sind Nicki Minaj und Beyoncé abgebildet, auf dem anderen Tupac und | |
[4][Aaliyah]. | |
Schon im Kindergarten habe ich mir jeden Abend meine Outfits für den | |
nächsten Tag zurechtgelegt. Meine Mutter durfte nicht mit entscheiden, was | |
ich anziehe. Auch heute liebe ich es, mich hübsch zu machen. Ich fühle mich | |
immer schön, besonders, wenn ich mir Zeit für mein Outfit und Make-up | |
genommen habe. Es gibt Tage, an denen bin ich eher lässig unterwegs. An | |
anderen mag ich es femininer. | |
Da ich etwas kleiner bin, gibt es das meiste, was ich gerne tragen würde, | |
gar nicht in meiner Größe. Aber ich habe meine Tricks: Ich kremple | |
Jogginghosen nach innen oder schneide Ärmel ab. Manches bringe ich auch zum | |
Schneider. Bei Schuhen ist es schwieriger: Ich habe Größe 29. Sneakers, die | |
mir gefallen, werden in meiner Größe meist gar nicht produziert. | |
Als Kind konnte ich nicht damit umgehen, wenn Leute mich angestarrt haben. | |
Mittlerweile genieße ich es sogar, wenn ich angeschaut werde. Andere müssen | |
sich Mühe geben, aufzufallen. Ich muss nicht viel machen, um Aufmerksamkeit | |
zu bekommen. | |
Ich finde es richtig toll, dass jetzt auch Marken normalisieren, dass | |
Menschen im Rollstuhl sitzen. Sogar eine [5][Barbie] mit Rollstuhl gibt es | |
inzwischen. Es könnten aber noch viel mehr werden. | |
Auf Social Media gehe ich auch selbst Kooperationen mit Modelabels ein. Zum | |
Beispiel habe ich auf [6][Instagram] Fotos von mir in Dessous für Savage X | |
Fenty gepostet, das Unterwäschelabel von [7][Rihanna]. Ich habe dafür viele | |
Hass-Kommentare bekommen: Man sollte einen Körper wie meinen nicht so | |
zeigen, hieß es darin. | |
Mich hat das noch weiter angestachelt. Ich hoffe, dass ich mit meinen Posts | |
anderen Frauen dabei geholfen habe, sich wohler zu fühlen. Dass ich eine | |
Beeinträchtigung habe, heißt doch nicht, dass ich mich verstecken muss. Und | |
Unterwäsche ist das Normalste der Welt. | |
## Janina Nagel, 31, ist Content Creator in Berlin | |
Schönheit hat für mich viel mit Selbstakzeptanz zu tun. Jeder kann schön | |
sein, dafür gibt es keine Voraussetzung. Gestern war ich auf einem Konzert | |
und hatte neue Schuhe an, die ich mit einem farblich passenden Oberteil | |
kombiniert habe. Da habe ich mich schön gefühlt. Mittlerweile passiert mir | |
das öfter. | |
Durch meinen Kleinwuchs habe ich ein Hohlkreuz, außerdem ein kräftigeres | |
Becken und einen eben solchen Po. Früher habe ich sehr oft gehört, ich | |
solle meinen Po kaschieren, also immer ein Top auswählen, das weit und lang | |
genug ist, ihn zu bedecken und um Gottes Willen keinen Rock tragen, denn | |
Röcke fallen aufgrund meines Hohlkreuzes vorne länger als hinten. Jahrelang | |
hat mich das davon abgehalten, Dinge einfach auszuprobieren. Dabei ist es | |
viel wichtiger, dass ich mich in einem Outfit wohlfühle. Das strahle ich | |
dann auch aus, werde positiver wahrgenommen und bekomme eher Komplimente. | |
Mode muss definitiv inklusiver werden. Es gibt für mich viele Hürden und | |
nur einen Weg, diese zu meistern: mit Geld. Wenn mir etwas gefällt und | |
nicht passt, bringe ich es zum [8][Änderungsschneider]. Da kann ich sehr | |
pingelig sein, besonders bei Hosen. Ich möchte nicht, dass sie nur | |
abgeschnitten und umgenäht werden, sondern dass der originale Saum unten | |
drankommt. Auch das Kürzen von Ärmeln bei Winterjacken ist für meinen | |
Schneider eine Herausforderung. | |
Ich shoppe fast nur online, in Geschäften ist die Frustration zu groß. Das | |
fängt schon bei den Umkleiden an. [9][Die wenigsten sind barrierefrei]. Oft | |
gibt es Vorhänge, die man mit einer Öse oben festhaken muss. Allein dafür | |
müsste ich schon jemanden um Hilfe bitten. Viele Vorhänge sind außerdem so | |
knapp geschnitten, dass man mich dahinter wegen meiner kurzen Beine bis zur | |
Unterhose sehen kann. | |
Ich bin [10][Content Creator]. Je mehr Reichweite ich auf Social Media | |
generiere, desto mehr negative Kommentare bekomme ich. Von den einen Leuten | |
höre ich, dass ich mich zu freizügig zeige, andere wollen, dass ich noch | |
mehr zu mir stehe. Inzwischen habe ich verstanden, dass nicht ich das | |
Problem bin, wenn sich jemand durch meine Posts getriggert fühlt. | |
## [11][Luisa L’Audace], 27, Aktivistin, Autorin und Beraterin für | |
Inklusion und Antidiskriminierung aus der Nähe von Bremen | |
Es hat sehr lange gedauert, bis ich gelernt habe, meinen Körper und mich | |
selbst zu akzeptieren. Ich bin behindert geboren, habe aber erst mit Anfang | |
20 begonnen, mich damit zu identifizieren, ohne mich zu schämen. Nach und | |
nach habe ich gemerkt, dass das, was ich anerzogen bekommen habe, nur ein | |
gesellschaftliches Konstrukt ist: Nämlich, dass ich bestimmte Teile an | |
meinem Körper nicht schön finden darf. Seitdem weiß ich, dass es schon fast | |
eine Form von Protest ist, mich selbst gut zu finden. | |
An Mode und Make-up war ich schon immer interessiert, habe mich aber oft | |
nicht repräsentiert gefühlt. [12][Zum Beispiel in Onlineshops]: Leute, die | |
keinen Rollstuhl nutzen, wissen das oft nicht, aber Kleidung sieht im | |
Sitzen komplett anders aus als im Stehen. Woher soll ich beispielsweise | |
wissen, wie die Hose an mir aussieht, wenn die Models alle stehen? Zumal | |
Hosen im Sitzen oft viel zu kurz sind. | |
Dass ein paar Modefirmen mittlerweile auch mit [13][behinderten Models] | |
arbeiten, ist positiv, meist sind das aber bisher Personen, die abgesehen | |
vom Merkmal Behinderung als sehr normschön wahrgenommen werden. Sie sind | |
zum Beispiel meistens schlank, weiß und haben normschöne Gesichter. | |
Wirklich divers ist das oft noch nicht. | |
Im Alltag haften egal, wo ich mich aufhalte, die Blicke auf mir. Teilweise | |
sind sie sehr abwertend, aber auch neugierig, fast schon sensationsgierig | |
oder aber mitleidig. Es gibt Menschen, die stehenbleiben, die sich | |
umdrehen, die mit dem Finger auf mich zeigen. Manchmal höre ich auch | |
Aussagen wie: „Dafür, dass du im Rollstuhl sitzt, bist du echt schön.“ Ab… | |
warum denn dieses „dafür“? Ist der Rollstuhl ein Makel, den ich mit | |
Schönheit wieder aufwiegen muss? Warum bedingt sich das? | |
Für mich hat Schönheit viel mit dem Charakter von Menschen zu tun. Wenn | |
eine Person den Mund aufmacht und nur [14][diskriminierende Worte | |
herauskommen] oder sie sich generell gemein ihren Mitmenschen gegenüber | |
verhält, kann sie äußerlich so schön sein, wie sie will. Menschen können | |
andererseits auch immens an Schönheit gewinnen, wenn sie genau das eben | |
nicht tun, respektvoll sind und nicht alles sofort bewerten. | |
7 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Netflix-Serie-Glamorous/!5947717 | |
[2] https://www.madelinestuartmodel.com/ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=lQENbU0kIb0 | |
[4] https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/r-n-b-kuenstlerin-aaliyah-todest… | |
[5] /Modetrend-Barbiecore/!5945041 | |
[6] https://www.instagram.com/rockahontaz/ | |
[7] /Debatte-um-Rihannas-Babybauch/!5849197 | |
[8] /Modemacher-uebers-Schneidern-nach-Mass/!5959274 | |
[9] /Barrierefreiheit-in-Bremer-Baedern/!5786138 | |
[10] https://www.instagram.com/janina_nagel_/ | |
[11] https://www.instagram.com/luisalaudace/ | |
[12] https://www.zeit.de/zeit-magazin/mode-design/2023-06/menschen-behinderung-… | |
[13] https://en.wikipedia.org/wiki/Alexandra_Kutas | |
[14] /Digitalpolitikerin-ueber-Feminismus/!5992739 | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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