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# taz.de -- Netflix-Serie „Glamorous“: Queere Lebensfreude
> Marco möchte in einem Make-up-Imperium durchstarten. Die Netflix-Serie
> „Glamorous“ überzeugt als leichtherzige Sommerunterhaltung.
Bild: Marcos Leben nimmt rasch eine märchenhafte Wendung
Um es vorwegzunehmen: Intellektueller Anspruch gehört definitiv nicht zu
den Dingen, die „Glamorous“ auszeichnen. Dessen scheint sich die
zehnteilige [1][Comedy-Serie] aber immerhin bewusst zu sein. Jedenfalls
versucht sie erst gar nicht, etwas anderes zu sein, als sie ist: eine
gutgelaunte Coming-of-Age-Story, die mit umwerfendem Enthusiasmus queere
Identitäten zelebriert.
Creator Jordon Nardino („Desperate Housewives“) erzählt mit einem
charmanten Augenzwinkern vom schillernden Marco (gespielt von
Youtube-Sternchen „Miss Benny“), der anfangs noch im Kinderzimmer bei
seiner Mutter (Diana-Maria Riva) in New Jersey wohnt und dort mit großer
Leidenschaft – aber nur wenig Erfolg – an einer Karriere als Influencer
arbeitet.
Sein Leben nimmt allerdings rasch eine märchenhafte Wendung, als er bei
seinem Nebenjob in der Kosmetikabteilung eines Einkaufszentrums unverhofft
auf Madolyn Addison (gespielt von [2][„Sex and the City“-Star Kim
Cattrall]) trifft. Das ehemalige Supermodel ist heute Chefin eines
prestigeträchtigen, aber angestaubten Make-up-Imperiums und erkennt
umgehend das Potenzial des planlosen, aber selbstbewusst auftretenden
Marco.
Eigentlich ernennt sie ihn „nur“ zu ihrem persönlichen Assistenten.
Tatsächlich schwingt sich der stets perfekt geschminkte Mittzwanziger
jedoch zum Ideengeber für neue Impulse auf, die das Unternehmen gegenüber
hipperen Marken wieder zu Konkurrenzfähigkeit verhelfen sollen. Aber selbst
in „Glamorous“ ist nicht alles Glitzer, was glänzt. Mit Chad (Zane
Phillips), der sich als Vertriebsleiter endlich die Anerkennung seiner
Mutter Madolyn erkämpfen will, wird ihm allerdings ein verbissener
Antagonist gegenübergestellt.
## Das wahre Ich
Als hypermaskuliner Muskel-Bro, der von Marcos femininem Auftreten in High
Heels und Kleidchen irritiert ist, repräsentiert er das andere Ende auf dem
[3][breiten Spektrum dessen, was Schwulsein] bedeuten kann.
Die Vielfalt innerhalb der LGBTQ-Community mit treffsicherem Witz
abzubilden, ist die größte Stärke dieser Serie. Eine, die man mit
Gastauftritten von Dragqueens wie „Monét X Change“ und „Lip-Sync-Battles…
getrost zu den „gayesten“ Netflix-Produktionen überhaupt zählen kann.
Allzu sehr an den realen Verhältnissen zeigt sich „Glamorous“ aber nicht
interessiert, wenn es um die Dichte an nicht-heterosexuellen
Mitarbeiter*innen innerhalb der Belegschaft des Beautykonzerns geht.
Mit Venetia (Jade Payton), Marcos zielstrebiger Vorgesetzten, die bald eine
Beziehung mit einer Kollegin (Ayesha Harris) aus der Grafikabteilung
eingeht, und dem schüchternen Ben (Michael Hsu Rosen), der wiederum ein
Auge auf den flamboyanten Serien-Helden wirft, liegt der Fokus des Plots
beinahe ausschließlich auf queeren Figuren.
Zwar wird auch Madolyn eine Romanze zugestanden. Neben den mit mehr
Temperament erzählten jüngeren Lovestorys wirkt sie allerdings recht dröge.
Ohnehin fragt man sich immer wieder, wieso Kim Cattrall einer Rolle
zusagte, die ihr nur wenig Raum zugesteht und sie beinahe knöchern wirken
lässt, vor allem im Kontext des allgegenwärtigen Gen-Z-Klamauks.
## Das wahre Ich
Der kommt etwa in Marcos Lifestyle-Videos zum Tragen, die meist in die
Folge einführen oder das Geschehen zusammenfassen und oberflächliche, aber
wohlgemeinte Empowerment-Phrasen enthalten. Weniger mit Tiefgang als mit
Präzision glänzt „Glamorous“ auch dann, wenn es um die Darstellung dieser
„Tiktok“-Spielart unseres Zeitgeistes geht.
So fließen, mit einer gewissen ironischen Distanz, etwa der Hang der jungen
Generation zur Astrologie mit ein – aber auch ihre gesteigerte kritische
Aufmerksamkeit. Beispielsweise in einem Handlungsstrang, der sich um eine
neuen „Pride“-Kampagne der Make-up-Marke dreht. Dabei wird offen das
Marketing-Kalkül großer Konzerne angeprangert, sich aus Imagegründen
lautstark gegen Homophobie auszusprechen, ohne es mit Diversität und
Inklusion tatsächlich ernst zu meinen.
Authentizität ist sowieso das, worum es „Glamorous“ vor allem geht. Nicht
nur im Arbeitsumfeld, sondern auch Dating-Kontext lernt Marco, gegen
Widerstände und Manipulation für sein wahres Ich einzustehen. Zumindest wer
eine gewisse Toleranz für seichte Serien mitbringt, findet hier
sommergerechte Unterhaltung voller wohltuender Leichtherzigkeit.
30 Jul 2023
## LINKS
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[3] /Serie-Its-A-Sin/!5943389
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Netflix
Queer
Comedy
Migration
Serien-Guide
London
sex-positiv
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