Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Queere Geflüchtete in Hamburg: Schutzlos in der Unterkunft
> In Hamburger Einrichtungen der Erstaufnahme gibt es keine Schutzräume für
> queere Geflüchtete. Betroffene wenden sich nun an den Senat.
Bild: Keine Chance auf Privatsphäre: Mehrbettzimmer in einer Hamburger Unterku…
Hamburg taz | „Die Duschen und Toiletten der Unterkunft konnte ich nicht
benutzen“, sagt Jesika. „Auf die Frauentoilette durfte ich nicht, auf die
Männertoilette wollte ich nicht. Ich musste draußen pinkeln.“
Während die Venezuelanerin erzählt und gestikuliert, klimpert ein goldenes
Armband an ihrem Handgelenk, ihre langen Haare fallen über ihre Schultern
auf ihr Dekolleté. Die Beine hat sie überschlagen und mit einer feinen
Strumpfhose bekleidet, die Fingernägel weiß lackiert. Als ausländische
Transfrau sei es in der Geflüchtetenunterkunft furchtbar gewesen, sagt
Jesika. Die männlichen Bewohner hätten sie bedroht, sich über sie lustig
gemacht, ihr aufgelauert und sie eingeschüchtert. „Wir brauchen
Schutzräume“, sagt Jesika. „Alles, was wir wollen, ist in Sicherheit zu
sein.“
Jesika ist eine von sechs [1][queeren Geflüchteten], die per Video ihre
Geschichte erzählen. Sie wenden sich an den Hamburger Senat, um Unterkünfte
für queere Geflüchtete zu fordern. In Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es
bislang keine Schutzräume für LGBTQI-Personen. Erst, wenn sie in
Folgeeinrichtungen umziehen, können Betroffene mit Gleichgesinnten zusammen
wohnen. Dabei berichten vor allem Transpersonen immer wieder von Gewalt
durch andere Bewohner oder gar das Security-Personal.
## Laut Gesetz „besonders schutzbedürftig“
In einer [2][Anfrage der Linksfraktion antwortet der Senat] auf die Frage,
wie die Behörden dem besonderen Schutzbedürfnis von queeren
Migrant*innen nachkommen: „LGBTQI*-Personen werden nach Möglichkeit
temporär einzeln untergebracht, bis eine weitere passende Unterbringung
ermöglicht werden kann.“
Die Betonung dürfte hierbei auf „nach Möglichkeit“ liegen. De facto
reichten die Möglichkeiten bei Weitem nicht aus, sagt Ilka Quirling,
Anwältin für Migrationsrecht und Mitinitiatorin des „Projekt Artikel 21“.
Die Gruppe setzt sich zusammen aus Aktiven der Flüchtlingsarbeit, sie haben
auch die Videos produziert und im Rahmen mehrerer Ausstellungen gezeigt.
Die Gruppe bezieht sich mit ihrem Namen auf die Aufnahmerichtlinie der EU,
die in Artikel 21 die Bedürfnisse „besonders schutzbedürftiger“ Menschen
regelt. In Deutschland zählt dazu auch der Schutzbedarf von
LGBTQI-Personen. „Leider wird das aber nicht umgesetzt“, kritisiert
Quirling.
In den Folgeeinrichtungen sieht es etwas besser aus als in den
Erstaufnahmen. Nach Angaben des Senats stehen derzeit 35 Plätze in
sogenannten „Schutz WGs“ zur Verfügung. In der Praxis handele es sich dabei
allerdings oft nur um ein Mehrbettzimmer innerhalb einer ganz normalen
Einrichtung, berichtet die Initiative „Projekt Artikel 21“. Aus Angst vor
Gewalt und Diskriminierung trauten sich die Betroffenen teilweise kaum, ihr
Zimmer zu verlassen.
In ihrer Arbeit, etwa mit asylsuchenden transgeschlechtlichen Personen aus
Südamerika, erlebe Quirling oft, dass die Personen mehrfach traumatisiert
seien. Oftmals hätten sie in ihrer Herkunftsgesellschaft Gewalt erfahren,
seien von Freund*innen und Familien im Stich gelassen worden, hätten
keine Jobchancen und keine Möglichkeiten der Anerkennung in ihrem Land.
Dann kämen sie hier her – und träfen auf die gleichen Strukturen, vor denen
sie geflohen seien, weil sie gemäß dem Königsteiner Schlüssel je nach
Herkunftsland auf Erstaufnahmeeinrichtungen in ganz Deutschland verteilt
würden. Geflüchtete aus Venezuela zum Beispiel müssen nach Sachsen. Eine
Mandantin von Quirling sei in Leipzig von den Security-Mitarbeitern
verprügelt worden, berichtet die Anwältin.
## Wenig Verständnis beim Senat
In Hamburg seien die Bedingungen besser – auch wenn sie bei Weitem nicht
ausreichen, wie die Initiative betont. Im Gegensatz zu vielen ländlicheren
Regionen oder kleineren Städten gibt es hier immerhin Beratungsstellen.
Auch hormonelle Behandlungen, etwa im Uniklinikum, sind möglich, außerdem
gibt es ein Netzwerk organisierter LGBTQI-Migrant*innen.
Die Initiative „Projekt Artikel 21“ fordert den Senat deshalb auf, queere
Migrant*innen ab dem ersten Tag im Asylsystem gesondert unterzubringen.
Im Juli wandte sie sich mit einem offenen Brief an Innensenator Andy Grote
und Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (beide SPD). Darin argumentieren
sie: „Sowohl aus völkerrechtlichen als auch aus europa- und
nationalrechtlichen Vorschriften ergibt sich der Anspruch von LSBTIQ
gegenüber der Stadt Hamburg auf eine geschützte Unterbringung mit
gesundheitlichen und psychosozialen Angeboten ab Tag eins des
Asylverfahrens.“ Mit der Umsetzung dieses Anspruchs würde die Stadt ihrem
Anspruch als „Rainbowcity“ gerecht. Hamburg könnte zudem als positives
Beispiel gegenüber anderen Bundesländern vorangehen, indem es die
Umverteilung nach dem Königssteiner Schlüssel für besonders
schutzbedürftige Personen aussetze.
E[3][ine Petition mit ihren Forderungen fand] bereits 2.225
Unterstützer*innen, unter den Erstunterzeichner*innen sind neben
dem Lesben- und Schwulenverband und dem Landesfrauenrat auch
Beratungsstellen wie Pro Familia, der Republikanischer Anwältinnen- und
Anwälteverein sowie die Spezialambulanz für sexuelle Gesundheit und
Transgender-Versorgung des Universitätsklinikums Eppendorf.
Doch weder bei der Innen-, noch bei der Sozialbehörde traf die Initiative
auf Verständnis. Die Sozialsenatorin antwortete gar nicht. Auf
taz-Nachfrage gab der Sprecher der Behörde, Wolfgang Arnhold, an, dass es
gängige Praxis des Senats sei, sich nicht auf offene Briefe zu äußern.
„Wenn in Erstaufnahme ein Fall bekannt wird, bringen wir die Person an
einem bestimmten Standort unter – in einem Zimmer mit 2er-Belegung und
eigenem Bad zusammen mit einer anderen queeren Person“, fügte er hinzu. Es
gebe auch die Möglichkeit, dass das Amt für Migration die betreffende
Person in eine LSBTIQ*-Wohneinheit in öffentlicher Unterbringung verlege.
Innensenator Grote antwortete, dass auch seine Behörde sehr bemüht sei, den
besonderen Bedürfnissen von LSBTIQ gerecht zu werden. Dafür stünden die 35
Plätze in den „Schutz WGs“ bereit. Die Aussetzung des Königsteiner
Schlüssels sei nicht sinnvoll – „auch um einzelne Länder, wie die Freie u…
Hansestadt Hamburg, nicht zu überlasten.“
Quirling meint, dass Grote ihren Brief gar nicht richtig gelesen habe.
Seine Antwort findet die Anwältin „sehr unbefriedigend“. „Es ist für mi…
nicht nachvollziehbar, wie der Senator behaupten kann, die bestehenden
Angebote würden ausreichen.“ Sie ist sich sicher, dass die Versorgungslücke
bekannt sei, aber vom Senat aktiv ignoriert werde: „Es fehlt das
Problembewusstsein.“
4 Oct 2023
## LINKS
[1] /Queere-Gefluechtete-in-Deutschland/!5908744
[2] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/80421/unterbringungssituat…
[3] https://www.change.org/p/umfassende-schutzma%C3%9Fnahmen-f%C3%BCr-lgbtqia-g…
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Migration
Hamburg
Unterbringung von Geflüchteten
Geflüchtete
Schwerpunkt LGBTQIA
Geflüchtete
Schwerpunkt LGBTQIA
Schauspielhaus Hamburg
Unterbringung von Geflüchteten
Netflix
## ARTIKEL ZUM THEMA
Unterkunft für LGBTQI*-Geflüchtete: Gerne queer – bloß nicht hier
In Hamburg sollte eine Unterkunft für queere geflüchtete Menschen
entstehen. Die Nachbarn verhinderten das aus Angst, ebenfalls bedroht zu
werden.
Nicht-binäre Person über Diskriminierung: „Den Leidensdruck nehmen“
Robin Nobicht ist nicht-binär und musste für eine geschlechtsangleichende
OP zahlen. Bei binären trans Personen zahlen dagegen die Kassen. Jetzt
klagt Nobicht.
Theaterschaffende*r über Symposium: „Queeres Umschreiben“
Das Hamburger Symposium „Cruising Mythology“ setzt der patriarchalen
Erzählstruktur der griechischen Mythologie queer-feministische Konzepte
entgegen.
Fragwürdige Vergabepraxis in Niedersachsen: Militärlogistik für Geflüchtete
In Braunschweig hat ein Militärdienstleister den Zuschlag für eine
Flüchtlingsunterkunft bekommen. Die Grünen halten das für einen Skandal.
Netflix-Serie „Glamorous“: Queere Lebensfreude
Marco möchte in einem Make-up-Imperium durchstarten. Die Netflix-Serie
„Glamorous“ überzeugt als leichtherzige Sommerunterhaltung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.