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# taz.de -- Fragwürdige Vergabepraxis in Niedersachsen: Militärlogistik für …
> In Braunschweig hat ein Militärdienstleister den Zuschlag für eine
> Flüchtlingsunterkunft bekommen. Die Grünen halten das für einen Skandal.
Bild: Ecolog-Mülltonnen im Feldlager der Bundeswehr nahe Masar-i-Sharif in Afg…
Hannover taz | Die grüne [1][Landtagsabgeordnete Swantje Schendel war die
erste, die Alarm geschlagen hat.] Die Vergabe einer großen Braunschweiger
Flüchtlingsunterkunft an das Unternehmen Ecolog hält sie für einen Skandal.
Es sei ihr unbegreiflich, wie man einen Militärdienstleister mit Sitz in
Dubai ohne erkennbare Erfahrungen in diesem sensiblen Bereich einsetzen
könne.
Ecolog hatte die europaweite Ausschreibung gewonnen, einziges
Bewertungskritierium war der Preis. Seit Anfang August ist das Unternehmen
für den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft in der Salzdahlumer Straße
zuständig, einem ehemaligen Hotel mit derzeit 70 Bewohnern, überwiegend aus
der Ukraine.
Wobei die Angabe „Dubai“ möglicherweise etwas irreführend ist. Die
Muttergesellschaft Ecolog International soll dort ihren Hauptsitz haben.
[2][Die Website des Unternehmens verzeichnet einen] Briefkasten am
Internationalen Flughafen. Die Ecolog Deutschland GmbH, eine der
zahlreichen Tochterfirmen, hat ihren Sitz in Düsseldorf. Wenn man dort
anruft, geht allerdings niemand ans Telefon. Auch Kontaktversuche via
E-Mail laufen ins Leere.
Die Informationen über das Unternehmen kann man sich im Internet
zusammenklauben. Demnach wurde es Ende der 90er von Nazif Destani gegründet
und übernahm zunächst Dienstleistungen für die Bundeswehr – hauptsächlich
Wäsche waschen und Müll entsorgen, zunächst in Jugoslawien.
Die Familie des Gründers stammt aus Mazedonien, weite Teile der Belegschaft
zunächst auch. Dieses Geschäftsfeld baute das Unternehmen systematisch und
international aus, wird auch für KFOR- und ISAF-Truppen tätig, tummelt sich
auf allen Krisenschauplätzen der Welt und erweitert das Portfolio nach und
nach um alle Infrastruktur- und Logistikdienstleistungen, die dabei
anfallen und vom Militär outgesourct werden.
In die Schlagzeilen gerät es dabei bei verschiedenen Gelegenheiten: Mal gab
es Kritik an der Qualität der Dienstleistungen, mal an der allzu
freihändigen Vergabepraxis der Bundeswehr oder dem grundsätzlichen Trend zu
dieser Art von Private-Public-Partnership.
Bei Einsätzen in Afghanistan und im Irak hat das Unternehmen schließlich
auch Todesopfer zu beklagen. [3][Mitarbeiter von Ecolog wurden entführt,]
manche kamen nach Lösegeldzahlungen frei, andere wurden getötet.
Gefahrenzulagen zahlt das Unternehmen einem Bericht der Wirtschaftswoche
aus dem Jahr 2006 zufolge nicht – mit der Begründung, dass diese Art von
Einsätzen halt immer gefährlich sei.
## Früher war es eine Vorzeigeunterkunft
Während der Coronapandemie betrieb Ecolog außerdem im großen Stil
Testzentren in Bayern. Auch hier gab es Ärger, weil [4][aufgrund einer
Software-Panne zahlreiche Kunden auf ihre Ergebnisse] warten mussten –
darunter Menschen, die infiziert waren, aber auch solche, die das
Testergebnis für den Reiseantritt dringend benötigten.
Unklar ist, wann das Unternehmen das Geschäft mit den Flüchtlingsheimen für
sich entdeckte. Nach Auskunft der Stadt Braunschweig soll es schon von 2017
bis 2020 drei Unterkünfte im Auftrag des Landesamtes für
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) in Berlin betrieben haben.
Beim LAF ist ein privater Betreiber dieses Namens aber unbekannt,
möglicherweise ist der Betreiber hier unter einem anderen Namen oder als
Subunternehmer aufgetreten. Die Überprüfung dieser Angaben laufe noch,
erklärt Braunschweigs Stadtsprecher Rainer Keunecke.
Besonders ärgerlich in den Augen der grünen Ratsfraktion in Braunschweig:
Der bisherige Betreiber der Unterkunft in Braunschweig – das Deutsche Rote
Kreuz (DRK) – hat hier anderthalb Jahre Aufbauarbeit geleistet und nicht
nur die Unterkunft betrieben, sondern auch für ein umfassendes Beratungs-
und Freizeitangebot gesorgt.
Das ging auch deshalb, weil neben den hauptamtlichen Sozialpädagogen
zahlreiche ehrenamtliche Kräfte geholfen haben. Die Einrichtung galt als so
vorbildlich, dass man sie stolz der frischgebackenen [5][niedersächsischen
Innenministerin Daniela Behrens (SPD) kurz nach ihrem] Amtsantritt Anfang
2023 präsentierte.
Dem neuen Betreiber fehlt nicht nur diese lokale Vernetzung, die Grünen
zweifeln auch daran, dass er die Anforderungen an die Qualifikation der
Hauptamtlichen hinreichend ernst nimmt. So wird beispielsweise [6][in einer
Stellenanzeige auf dem Portal „Indeed“] ein „Administrator“ gesucht.
Aufgaben: Verwaltung und Organisation der Flüchtlingsunterkunft,
Koordination des täglichen Betriebs und Einhaltung von Standards.
Erforderliche Qualifikation: Quereinsteiger, Kommunikationsstärke und
interkulturelle Kompetenz, ausgezeichnete Deutschkenntnisse.
Erfahrungen im Sozial- oder Flüchtlingsbereich werden nur als „von
Vorteil“, Kenntnisse im Asyl- und Migrationsrecht als „wünschenswert“
aufgelistet, sind also keine notwendige Bedingung. Als Vergütung werden 15
Euro pro Stunde offeriert.
Die Stadt will die Qualifikation der frisch eingestellten Mitarbeiter noch
überprüfen, mit der Leitung sei aber jemand betraut worden, der schon
einmal ein vergleichbares Heim geleitet habe.
## Kritik an der Ausschreibungspraxis
Von den qualifizierten Mitarbeitern des DRK ist jedenfalls keiner zum neuen
Anbieter gewechselt: „Wir sind sehr froh, dass es uns gelungen ist, allen
ein Angebot an anderen Standorten zu machen und wir so alle Mitarbeiter
halten konnten“, [7][sagt die zuständige Vorständin Nicole Kumpis.]
Zur Konkurrenz sagt sie prinzipiell nichts. „Wir haben es natürlich sehr
bedauert, dass wir nicht zum Zuge gekommen sind. Unsere Mitarbeiter haben
den Standort mit viel Herzblut aufgebaut. Wir müssen uns jetzt überlegen,
wie wir uns für künftige Ausschreibungen besser aufstellen können.“
Über die Ausschreibungspraxis [8][möchten auch die Braunschweiger Grünen
noch einmal reden.] Sie halten Ausschreibungen im sozialen Bereich
grundsätzlich für problematisch, weil diese Arbeit Kontinuität und gute
Vernetzung benötige. Im diesem Fall räumt auch die erfahrene Ratsfrau Elke
Flake ein, es hätte an einer europaweiten Ausschreibung wohl kein Weg herum
geführt – dazu war die Auftragssumme zu hoch.
„Das Verfahren ist formal korrekt gelaufen“, sagt sie. Allerdings hätte man
sicherstellen müssen, dass bei der Bewertung der Angebote auch die Konzepte
und Qualitätsanforderungen stärker berücksichtigt werden und nicht nur der
Preis.
Die Verwaltung vertrete hier eine zu strikte Auslegung des
Ausschreibungsrechts. Rechtssichere Ausschreibungen durchzuführen, ist
allerdings ein kompliziertes juristisches Kunststück, viele
Verwaltungsjuristen fürchten vor allem die aufschiebende Wirkung der Rügen
und Klagen unterlegener Unternehmen, die Auftragsvergaben über längere Zeit
lahmlegen können.
In der Stadt Lüneburg scheint man diesen Weg allerdings erfolgreich
beschritten zu haben. Auch hier hatte sich Ecolog als Betreiber einer
großen Flüchtlingsunterkunft beworben – ist aber letztlich nicht zum Zuge
gekommen. Man habe eine Bewertungsmatrix erstellt und zu 50 Prozent die
Qualität und zu 50 Prozent den Preis für die Vergabeentscheidung
herangezogen, erklärt der dortige Sozialdezernent Florian Forster (Grüne)
auf taz-Anfrage.
Zu der Entscheidung in Braunschweig kam es möglicherweise auch, weil der
Posten der Sozialdezernentin gerade vakant war. Die Amtsinhaberin Christine
Arbogast war im November als Staatssekretärin ins niedersächsische
Sozialministerium gewechselt, Nachfolgerin Christina Rentzsch trat ihr Amt
erst im Mai an.
Nun kommt ihr die Aufgabe zu, das Kind wieder aus dem Brunnen zu holen. Der
Auftrag an Ecolog wurde für sechs Monate vergeben – mit der Option auf
Verlängerung. Nach spätestens zwei Verlängerungen ist Schluss, dann muss
neu ausgeschrieben werden – wenn überhaupt noch Bedarf besteht.
9 Sep 2023
## LINKS
[1] https://swantjeschendel.de/2023/08/29/einem-militaerdienstleister-die-braun…
[2] https://ecolog-international.com/de
[3] /Archiv-Suche/!461240&s=Ecolog&SuchRahmen=Print/
[4] /Neue-Corona-Testpanne-in-Bayern/!5712430
[5] https://www.drk-kv-bs-sz.de/aktuelles/presse-service/aktuelle-meldungen/mel…
[6] https://de.indeed.com/viewjob?jk=61ce9c976a541852&advn=2631448022457807…
[7] https://www.drk-kv-bs-sz.de/aktuelles/presse-service/aktuelle-meldungen/mel…
[8] https://gruene-braunschweig-ratsfraktion.de/gruene-ratsfraktion-bedauert-be…
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Unterbringung von Geflüchteten
Niedersachsen
Braunschweig
Bundeswehr
Militäreinsätze
Migration
Taliban
Flüchtlinge
Schwerpunkt Coronavirus
Isaf
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