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# taz.de -- Influencerin über Öffentliche Toiletten: „Ich musste immer zu H…
> Saskia Pasing erzählt von ihrem Leben mit einem künstlichen Darmausgang.
> Was könnte die Politik besser umsetzen?
Bild: Unsichtbare Schwerbehinderung: Saskia Pasing hat einen künstlichen Darma…
Mal posiert sie in Unterwäsche mit Spitzen, auf anderen Fotos sieht man sie
mit Hoodie am Strand – nichts Ungewöhnliches für eine Influencerin.
Auffällig wird es nur, wenn Saskia ihren Bauch zeigt: Durch ihren
Bauchnabel zieht sich eine dicke Narbe, ein wenig unterhalb des Bauchnabels
klebt ein Pflaster.
Als sie 16 Jahre alt war, bekam Saskia die ersten Symptome, zwei Monate
später die Diagnose Morbus Crohn. Dabei handelt es sich um eine chronische
Darmerkrankung, bei der der komplette Dickdarm oder der Magen-Darm-Trakt
von Entzündungen befallen ist. Zu den Hauptmerkmalen der Erkrankung gehören
Durchfall, starke Schmerzen im Unterbauch und Blut im Stuhlgang. Im
Gespräch mit der taz erzählt sie, wie ihr Leben mit der zunächst
unsichtbaren Behinderung verläuft und wie die Situation bei der Benutzung
öffentlicher Toiletten verbessert werden könnte.
taz am wochenende: Frau Pasing, Sie leben seit Jahren mit einem künstlichen
Darmausgang. Haben Sie überhaupt noch einen Toilettendrang, oder wissen Sie
einfach, dass Sie ihren künstlichen Darmausgang nach drei Stunden ausleeren
müssen?
Saskia Pasing: Ich spüre durchaus einen Drang. Dieser macht sich in Form
eines kleinen Drucks im Bauch bemerkbar. Dann weiß ich, dass ich innerhalb
der nächsten Stunde eine Toilette aufsuchen sollte, um den Inhalt zu
entleeren.
Was passiert, wenn Sie ihn nicht entleeren?
Im schlimmsten Fall kann es dazu kommen, dass ich meinen Stuhlgang
erbreche. Denn wenn sich der Stuhl staut, ohne geleert zu werden, sucht er
sich einen anderen Ausgang. Der Vorgang ist auch mit starken Schmerzen
verbunden, und das Ventil, das ich angenäht bekommen habe, könnte
beschädigt werden. Deswegen führe ich alle paar Stunden einen Katheter ein,
worüber der Inhalt wieder ablaufen kann.
Sie führen den Katheter in Ihren Körper ein?
Genau. Der Dünndarm wurde aus der Bauchdecke heraus genäht, damit es eine
Öffnung gibt, in die ich den Katheter einführen kann. Auf die Öffnung klebe
ich ein Pflaster drauf, das man auch auf meinen Bildern sehen kann.
Sie sagten, dass Durchfall eines der Symptome Ihrer Erkrankung war. Hatten
Sie auch mal in der Öffentlichkeit Durchfall?
Ja. Und die öffentlichen Toiletten waren häufig ein Grund dafür, dass ich
nicht aus dem Haus gegangen bin. Ich habe mein Teenageralter viel zu Hause
und im Krankenhaus verbracht. Selbst wenn ich ausging, blieb ich in der
Reichweite meines Hauses oder bin nur zu Leuten gefahren, von denen ich
wusste, dass sie eine vernünftige Toilette haben.
Öffentliche Toiletten wollten Sie nicht benutzen, weil sie unhygienisch
sind?
Einerseits sind sie unhygienisch, ja. Andererseits wusste ich damals nie,
wo ich auf Toilette gehen kann. Ich kannte ausschließlich die Toiletten
von McDonald’s oder die Bahnhofstoiletten. Diese fand ich nie besonders
angenehm.
Bahnhofstoiletten sind auch kostenpflichtig.
Das kommt noch hinzu. Wobei ich sagen muss, dass ich lieber 50 Cent für
eine hygienische Toilette bezahlen würde, als kostenlose Bahnhofstoiletten
zu verwenden, da sie oft für andere Zwecke verwendet werden. Scham hat
allerdings auch eine Rolle gespielt. Den Durchfall mit seinen Gerüchen und
Geräuschen Tür an Tür mit fremden Menschen zu teilen war mir immer
unangenehm. Wenn man ehrlich ist, möchte man sich auch nicht auf eine
öffentliche Klobrille setzen.
Das klingt nervenaufreibend.
Das Thema Toiletten hat mich sehr belastet. Es begleitet mich auch bis
heute. Mit meinem Kock-Pouch bin ich auf Waschbecken angewiesen, da ich den
Katheter ausspülen muss. Da Waschbecken in der Regel aber nicht in der
Kabine integriert, sondern für alle zugänglich sind, sind öffentliche
Toiletten weiterhin ein Hemmnis für mich. In solchen Fällen werfe ich den
Katheter weg oder nehme mir eine Blasenspritze mit, um den Katheter in der
Kabine durchzuspülen.
Gibt es keine Alternativen?
Die Alternative wäre, eine Behindertentoilette zu benutzen. Allerdings
werde ich bei der Nutzung von Behindertentoiletten häufig von fremden
Leuten kritisiert, da sie mir meine Behinderung nicht ansehen und annehmen,
ich würde die Toiletten zu Unrecht benutzen.
Erklären Sie es den Leuten?
Ja. Ich erkläre den Menschen, dass ich einen künstlichen Darmausgang und
einen Behindertenausweis besitze und somit das Recht habe, auf diese
Toilette zu gehen. Die Konfrontation belastet mich dennoch sehr. Es kommt
vor, dass ich mein Recht, die Behindertentoilette benutzen zu dürfen,
beiseiteschiebe, um nicht belästigt zu werden.
Was könnte da helfen, sowohl vonseiten der Politik als auch der
Gesellschaft?
Aufklärung würde weiterhelfen. Außerdem wären mehr öffentliche Toiletten
nötig, da für mich mehr Toiletten auch mehr Freiheit bedeuten. Noch bin ich
bei Ausflügen und auf Wanderwegen auf Restaurants und Gaststätten
angewiesen.
Andere Menschen springen beim Wandern einfach hinters Gebüsch.
Ich könnte mir sicher auch eine Konstruktion zusammenbasteln und Utensilien
mitnehmen, die ich dann entsorgen müsste. Da aber Mülleimer ebenfalls
Mangelware auf Wanderwegen sind, müsste ich meinen Stuhlgang in meinem
Rucksack mit mir herumtragen. Das sind Hemmschwellen, die ich habe, und ein
schöner Ausflug wäre es nicht.
Betreiben Sie deshalb Aufklärung auf Ihrem Blog?
Ich habe angefangen, den [1][Blog] zu führen, weil ich in meinen
Teenagerjahren niemanden kannte, mit dem ich mich identifizieren konnte. In
den Selbsthilfegruppen, die ich besuchte, waren ausschließlich Menschen,
die älter waren als ich. Nachdem ich meinen Kock-Pouch bekommen hatte, habe
ich mich dazu entschlossen, darüber zu schreiben. Einerseits war es
Selbsttherapie, andererseits konnte ich auf diese Weise anderen Menschen
etwas geben, das mir damals gefehlt hat. Der Blog ist noch heute sehr
wichtig, da mein Arzt ihn nutzt, um über den Kock-Pouch aufzuklären.
Wie viel Raum nimmt Ihr Aktivismus in Ihrem Leben ein?
Früher habe ich mir mehr Zeit dafür genommen, da meine Ausbildung es auch
ermöglicht hat. Damals habe ich auch andere Projekte geführt wie „Projekt
Grenzenlos“. Ich habe Menschen mit sichtbaren und unsichtbaren
Behinderungen fotografiert und ihre Geschichten dokumentiert. Es war aber
ein ehrenamtliches Projekt. Am Ende hat mir die Zeit gefehlt, und ohne
finanzielle Mittel konnte ich es nicht weiterführen.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Belange wie mangelnde öffentliche Toiletten
überhaupt von der Politik wahrgenommen werden?
Nein, ich denke, meine Interessen werden überhaupt nicht von der Politik
vertreten. Zumindest kenne ich keine Politiker, die sich mit meinen
Bedürfnissen auseinandersetzen. Dabei bin ich mir sicher, dass das Thema
öffentliche Toiletten mehr Menschen im Alltag betrifft, als sie glauben.
Auch was Inklusionsthemen betrifft, interessieren sich die meisten Menschen
nur für sichtbare Behinderungen. Unsichtbare Themen wie Darmerkrankungen
werden weniger berücksichtigt.
Welche Partei steht Ihnen inhaltlich am nächsten?
Ganz klar die Grünen. Die würde ich auch wählen.
Warum gerade die Grünen?
Weil die Partei und auch die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock für mich
am vertrauenswürdigsten sind. Mit dem grünen Wahlprogramm kann ich mich am
besten identifizieren.
Annalena Baerbock hat aufgrund ihrer Verschönerung des Lebenslaufes und
Plagiatsvorwürfen einen massiven Vertrauensverlust erlitten. Diese Dinge
haben Ihr Vertrauen in sie nicht geschwächt?
Überhaupt nicht. Wir sind derzeit im Wahlkampf, da suchen alle das Übel in
den Kandidaten. Politiker sind auch nur Menschen. Für mich war Laschets
Auftreten viel suspekter. Ich wohne auch im Krisengebiet, unser Dorf war
zum Glück nicht betroffen, aber ich kenne Leute, die betroffen sind. Dass
er im Krisengebiet im Hintergrund [2][lacht], weckt bei mir den Eindruck,
dass er die tragische Lage überhaupt nicht ernst nimmt.
Was ist Ihr wichtigster Anspruch an Politik?
Ich finde es wichtig, dass Politiker mit Betroffenen in den Dialog treten
und Fragen zu deren Bedürfnissen stellen. Beim Thema Behinderungen zum
Beispiel ist es notwendig, dass sie sich der Vielfältigkeit der
Behinderungen bewusst werden und sich dementsprechend um die einzelnen
Belange der Betroffenen kümmern. Inklusion bedeutet für mich eine
rücksichtsvolle Gesellschaft. Das benötigt viel Aufklärung, viel
Verständnis, viel Präventionsarbeit.
Was heißt das konkret?
Für mich wäre es zum Beispiel ein Anfang, wenn man das Behinderten-WC-Icon
überdenken würde. Derzeit zeigt das Symbol einen Rollstuhlfahrer. Somit
assoziieren viele Leute mit diesem Symbol weitestgehend Menschen mit
äußerlich erkennbaren Behinderungen. Meine Bedürfnisse sind
beispielsweise, mich nicht mehr rechtfertigen zu müssen, wenn ich diese
Toiletten benutze, und dass es mehr öffentliche Toiletten gibt, in deren
Kabinen Waschbecken integriert sind. Auch wenn es banal klingt, bedeuten
diese Dinge für mich persönlich mehr Freiheit.
27 Jul 2021
## LINKS
[1] https://liebesklang.wordpress.com/
[2] /PolitikerInnen-im-Fluteinsatz/!5781625
## AUTOREN
Shoko Bethke
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