# taz.de -- Misswahlkandidatin aus Bremen: „Keine Schönheitsideale mehr“ | |
> Mara Maeke ist Miss Bremen und hat einen künstlichen Darmausgang. Ein | |
> Gespräch über gefühlte Schönheit, Selbstliebe und Diversität. | |
Bild: Musste ihren Körper erst wieder lieben lernen: Mara Maeke | |
taz: Frau Maeke, finden Sie sich selbst schön? | |
Mara Maeke: Die Frage kann ich mit einem klaren Ja beantworten. Schönheit | |
ist ganz individuell. Ich mache die Schönheit am Charakter eines Menschen | |
fest. | |
Hat es was mit Ihrem Blick auf sich selbst gemacht, dass Sie einen | |
künstlichen Darmausgang haben? | |
Ich war früher ein ganz schlimm oberflächlicher Mensch. Ich habe meinen | |
jetzigen Freund schon viel früher kennengelernt, aber zu dem Zeitpunkt habe | |
ich gesagt: „Nee, du, geht nicht“, auch weil er mir zu klein war. Auch mein | |
Freundeskreis war sehr oberflächlich. Es ging immer nur darum, schön | |
auszusehen. | |
Und dann wurden Sie krank. | |
Da ist mir klar geworden, dass das Wichtigste im Leben ja gar nicht das | |
Schönaussehen ist, sondern gesund zu sein. Ich habe durch die Medikamente | |
viel zu- und wieder abgenommen. Ich habe mich unwohl gefühlt und mich | |
verstecken wollen. Dann kamen die Operationen und die Narben. Ich habe | |
geweint, als ich mich das erste Mal mit diesen großen Narben im Spiegel | |
gesehen habe. Und es hat auch Monate gedauert, bis ich gemerkt habe: „Wow, | |
du hängst dich gerade daran auf, dass du jetzt eine Narbe hast, und sagst | |
du bist nicht mehr schön. Aber in Wirklichkeit hat dir diese Narbe gerade | |
dein Leben gerettet.“ Jeder kann es schaffen, sich selbst zu lieben, wie er | |
ist, aber eben nicht an einem Tag. | |
Das heißt, es war ein innerer Prozess? | |
Ja. Ich bin teilweise sogar glücklich, dass ich diesen Prozess durchmachen | |
durfte. Ohne meine Erkrankung wäre ich heute nicht die Person, die so stolz | |
auf sich ist. Vielleicht wäre ich dann immer noch die Person, die versucht, | |
perfekt zu sein, um anderen zu gefallen. | |
Nun ist eine Frau „Miss Germany“ geworden, die Unternehmerin ist und zwei | |
Kinder hat, aber einem klassischen Schönheitsbild entspricht. Hätte | |
wirklich eine Frau gewinnen können, die einen körperlichen Makel hat? | |
Ich bin ziemlich sicher, dass das auch hätte passieren können. Es geht | |
natürlich darum, wer gerade die meisten Menschen mit der Geschichte | |
anspricht. Anja ist eine so tolle Powerfrau, die sich so hochgekämpft hat | |
und zu sich selbst steht. | |
Waren Sie überrascht, dass Anja Kallenbach gewonnen hat? | |
Ja, ich war sehr überrascht. Man selbst legt sich im Kopf verschiedene | |
Ausgänge der Show zurecht, aber umso schöner war der Sieg von Anja und dass | |
jemand gewonnen hat, der all das Positive nach außen trägt und eine starke | |
Frau repräsentiert, die einfach sie selbst ist. Es wäre natürlich auch | |
schön gewesen, wenn beispielsweise Julia Kremer da gestanden hätte, die | |
eben nicht den Body-Maßen entspricht, die als Ideal angesehen werden. | |
Es ging also darum, man selbst zu sein – aber kann man das überhaupt: | |
besser sein als andere? Es ist ja immer noch ein Wettbewerb. | |
Ich glaube, das ist das Schwierigste – dass man nicht versucht, sich zu | |
verändern im Camp. Entweder wird man gewählt, weil man man selbst ist, oder | |
man wird eben nicht gewählt. Für uns alle war das kein Wettbewerb in dem | |
Sinne. Wir hatten alle richtig viel Spaß in der Zeit. Ich habe so viel | |
gelernt und ich bin über mich hinausgewachsen. | |
Und was haben Sie gelernt? | |
Ich habe sehen können, wie stark so viele verschiedene Frauen | |
zusammenarbeiten können. Ich durfte erleben, wie alle gemeinsam an was | |
Großem arbeiten. | |
Das heißt: Sie haben Zusammenhalt erlebt in einem Format, das ein | |
Wettbewerb ist? Klingt paradox. | |
Keiner von uns hat wirklich das Gefühl gehabt, er müsste jemanden | |
ausstechen. Wir gönnen es einfach jeder, die gewinnt. Alle Frauen, die | |
dabei waren, wissen, was sie erlebt haben, alle haben eine Botschaft, die | |
sie vertreten. Und das ist so besonders. | |
Was haben Sie erlebt? | |
Ich habe 2016 die chronisch entzündliche Darmerkrankung Colitis Ulcerosa | |
diagnostiziert bekommen. Kein Medikament hat wirklich angeschlagen. Nach | |
zwei Jahren gab es zwei Optionen: Entweder ich sterbe – denn lange hätte | |
mein Körper das nicht mehr mitgemacht – oder ich nehme den künstlichen | |
Darmausgang und entscheide mich für das Leben. Ich habe ein Jahr mit einem | |
Beutel am Bauch sehr gut gelebt. Bis es Komplikationen gab. Dann wurde mir | |
der Kock-Pouch gelegt. Das ist ein innen liegendes Reservoir, das aus | |
meinem Dünndarm geformt wurde. Seit 2019 lebe ich jetzt damit und habe nur | |
noch ein Pflaster am Bauch. Und ich lebe sehr gut damit. | |
Hat das eine Rolle gespielt, als Sie mit ihrem jetzigen Freund | |
zusammengekommen sind? | |
Ich habe es ihm gleich beim ersten Date erzählt. Ich hab ihm gesagt: „Ich | |
erzähl dir das jetzt, weil ich es nur fair finde und weil ich dich gerne | |
mag. Wenn du jetzt sagst:,Ich kann das gar nicht', dann darfst du jetzt | |
gehen. Aber wenn du sagst:,Das ist kein Problem', dann lerne ich dich sehr | |
gerne weiter kennen.“ Er kam von Anfang an super damit klar. | |
Wie gehen Sie mit negativen Reaktionen von anderen Menschen um? | |
Ich bin da recht locker mit. Ich bekomme auch mal Nachrichten, dass ich ein | |
total falscher Mensch sei. | |
Warum? | |
Ich stehe dazu, dass mein Leben sich zum Positiven geändert hat, seit ich | |
den Kock-Pouch habe. Im Vergleich zum Beginn meiner Krankheit ist mein | |
Leben so viel besser geworden. Andererseits erzähle ich natürlich auch mal | |
von den Schmerzen oder dass es mir mal nicht gut geht. Und das passt für | |
viele nicht zusammen. Ich möchte zeigen, dass es auch okay ist, wenn man | |
mal nicht okay ist. Ich darf auch mit der Erkrankung mal einen Tag | |
unglücklich sein. | |
Warum ist der Darm denn so ein Tabuthema? | |
Stuhlgang wird mit was Ekligem assoziiert, weil es stinkt und weil es eklig | |
aussieht. Wir alle gehen auf Toilette, aber keiner mag drüber sprechen. Das | |
ist aber sehr wichtig. Wie oft wird Darmkrebs übersehen, weil Leute nicht | |
zur Vorsorge gehen? Ich werde auch weiterhin versuchen, das Thema zu | |
enttabuisieren, um jungen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht | |
eklig sind. Und ihnen helfen, ihre Erkrankung besser anzunehmen. | |
Ist es für Sie eine politische Entscheidung, so offen mit der Krankheit | |
umzugehen? | |
Ich finde es einfach allgemein wichtig, dass Menschen offener und | |
toleranter werden. Wir sollten endlich mal Standards brechen. Wir sollten | |
aufhören, in den Medien nur bestimmte Menschen zu repräsentieren, was eben | |
dann schlanke, perfekte, makellose Körper sind. Wir sollten die | |
Gesellschaft genauso bunt zeigen, wie sie ist. Warum ist es besonders, wenn | |
in einem Modekatalog Menschen mit Behinderung gezeigt werden? Warum kann | |
das nicht einfach normal sein? | |
Was war der Grund für Sie, mit Instagram zu starten? | |
Ich habe 2016 meinen ersten Post über meine Erkrankung gemacht. Ich hatte | |
zu dem Zeitpunkt keine Kraft, mit allen Kontakt zu halten, und dann dachte | |
ich: Ich schreibe einfach hier alles für meine Freunde rein, die können | |
sich das dann durchlesen. Und ich hab meine Ruhe. Als ich 2018 meine erste | |
große OP hatte, hatte ich dann plötzlich über Nacht 700 neue Follower. Ich | |
hatte ein Bild von mir im Krankenbett mit all den Schläuchen und Narben | |
gepostet. Ich habe gemerkt, wie viele Menschen das Gleiche durchmachen. | |
Seitdem teile ich meine Geschichte auch, um anderen Mut zu machen. Um zu | |
zeigen: Das ist nicht das Ende. Und man kann seine Träume trotzdem | |
verwirklichen, auch wenn es länger dauert als bei gesunden Menschen. Auch | |
wenn deine Freunde schneller mit dem Studium fertig sind. Na und? Dann | |
machst du es eben in deinem Tempo. | |
Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft? | |
Ich möchte nicht auf meine Erkrankung reduziert werden. Ich möchte einfach | |
ich sein. Oft hört man: „Boa, krass, ey, wenn ich dich so ansehe, dann | |
geht’s mir ja eigentlich total gut.“ Wie bitte? Bin ich so mitleiderregend, | |
dass es dir jetzt gut geht, wenn du mich anschaust? Das ist Ableismus. Also | |
die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen. Ich will nicht | |
dafür bewundert werden, dass ich mit meiner Erkrankung Dinge schaffe. Weil | |
es für mich einfach alltäglich ist. | |
Wie sollten sich Schönheitsideale in unserer Gesellschaft ändern? | |
Ich würde sagen, es sollte einfach gar keine Schönheitsideale mehr geben. | |
7 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Franziska Betz | |
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