# taz.de -- Tiktok-Trend „Subway Shirt“ für Frauen: Ein Shirt macht noch k… | |
> Immer mehr junge Frauen ziehen sich XXL-Shirts über ihre Outfits. Quasi | |
> als Schutzmantel vor sexualisierten Blicken. Eine gute Idee? Eher nicht. | |
Bild: „It’s Subway Shirt Season“ | |
Gedankenverloren scrolle ich durch Tiktok. Eine junge Frau tanzt im | |
Sommerkleid vor der Kamera. Feiere ich! Dann zieht sie sich mit einem | |
breiten Grinsen ein XXL-Shirt über ihr kurzes Kleid. „It’s Subway Shirt | |
Season“, schreibt sie. Es ist ein was? Kein Unterhemd, sondern ein | |
Untergrundhemd? Ist das subversiv? | |
Ich scrolle weiter und finde unter dem Hashtag #subwayshirt tausende | |
Videos: Junge Frauen, die ihr Outfit – kurze Röcke, tiefe Ausschnitte, | |
nackte Haut – unter weiter Kleidung verstecken. Es scheint einen neuen | |
Kartoffelsack-Trend zu geben. Die Idee dahinter: Um sich vor sexueller | |
Belästigung und aufdringlichen Blicken zu schützen, ziehen Frauen ein | |
weites T-Shirt über ihr knappes Party-Outfit. Sie gehen dann damit raus, | |
fahren U-Bahn und ziehen es erst wieder aus, wenn sie am Ziel angekommen | |
sind. | |
Den Videos nach zu urteilen scheint der Trend in den westlichen Metropolen | |
New York, London und Paris weit verbreitet. | |
Die Videos ähneln sich, sind charmant, bunt und mit Gute-Laune-Musik | |
unterlegt. Die Kommentare der Userinnen lauten: „Es ist eine Möglichkeit, | |
sicher von A nach B zu gelangen“, oder: „Jedes Mal, wenn ich mein | |
Subway-Shirt vergesse, bereue ich es sofort und denke darüber nach, | |
umzukehren.“ | |
## Warum schränkt ihr euch so ein? | |
Je mehr von den bunten, gutgelaunten Videos ich gucke, umso | |
schlechtgelaunter werde ich. Was die Userinnen da beschreiben, ist ja | |
eigentlich nicht lustig. Eigentlich thematisieren sie ja hier ihre Angst. | |
[1][Ihre Angst vor sexualisierter Gewalt.] | |
Nach zehn Videos möchte ich nur noch schreien: Warum macht ihr das? Warum | |
schränkt ihr euch so ein? Kämpfen wir nicht seit etlichen Jahren dafür, | |
[2][dass jede:r tragen kann, was er:sie möchte] – ohne sexualisiert zu | |
werden. Es sollte doch langsam möglich sein, dass ein Frauenkörper nicht | |
objektiviert wird. Auch, wenn er nackt wäre, wäre es nicht o. k. | |
Hässliche Sackkleidung über der Kleidung, die ich eigentlich tragen möchte | |
– das fühlt sich nach Freiheitsberaubung an. Und nach Rückschritt. Frauen | |
beugen sich wieder mal dem Patriarchat und der männlichen Dominanz. Dennoch | |
verstehe ich diese Frauen. Knappe Kleidung in der Öffentlichkeit birgt | |
leider immer noch Risiken. Obwohl sich längst rumgesprochen hat, dass | |
selbst nackt rumlaufen kein Freibrief für ungefragtes Grapschen ist. | |
Laut Angaben des Familienministeriums erlebt [3][jede dritte Frau in | |
Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte | |
Gewalt.] Solange die Frage „Und was hatte sie an?“ immer noch eine Rolle | |
bei Vergewaltigung und Übergriffen spielt, kann man keiner Frau verübeln, | |
ein Subway-Shirt zu tragen, um sich sicherer zu fühlen. | |
## Der Unsichtbarkeitsumhang | |
Lautet die eigentliche Frage also: lieber dem Patriarchat beugen oder | |
„sicherer“ sein? | |
Mein Respekt gilt jeder Frau, die stark genug ist, sich nicht einschüchtern | |
zu lassen, aber auch denen, die es nicht sind. Es ist verdammt anstrengend, | |
jedes Mal anzüglichen Blicken standzuhalten und den Weg nach Hause nur mit | |
Schlüssel in der Faust und einem Kopfhörer im Ohr zu bestreiten. Die Angst | |
als treuer Weggefährte. Wenn das Subway-Shirt wie ein Unsichtbarkeitsumhang | |
wirkt, dann go for it. Ich verstehe es. | |
Ich finde den Trend trotzdem nicht gut. Unfreiwillig befeuert er die | |
Annahme, dass Frauen mit ihren Outfits sexuelle Übergriffe provozieren. Die | |
Verantwortung wird umgekehrt und liegt plötzlich beim Opfer und nicht beim | |
Täter. Dabei ist der Täter immer derjenige, der zur Verantwortung gezogen | |
werden sollte. Egal, was die Frau trägt. | |
Jetzt fehlt nur noch, dass ein Männer-Start-up auf die Idee kommt, pinke | |
Subway-Shirts zu designen und aus der Misere der Frau Profit zu schlagen. | |
17 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Eva Keller | |
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