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# taz.de -- Demos gegen rechts: Alle auf die Straße
> Nach gespenstischer Ruhe scheint ein Knoten geplatzt: Allerorten wird
> gegen die AfD mobilisiert. Wie gelingt es, dass das kein Strohfeuer
> bleibt?
Bild: Bundesweit wird gegen die AfD demonstriert, wie hier in Köln am Dienstag…
Mitten in dem Bundesland, das sich womöglich bald einen Rechtsextremen zum
Ministerpräsidenten wählt, liegt Jena. Und mitten in Jena liegt das
Schillergässchen, das genauso romantisch aussieht, wie es klingt: Ein
schmaler Kopfsteinpflasterweg führt an Schillers einstigem Gartenhaus
vorbei auf einen bewachsenen Hügel.
Die alte Sternwarte liegt hier und ganz am Ende, im Dachgeschoss einer
alten Stadtvilla, das Büro des Voice Refugee Forums. Es ist die Keimzelle
der deutschen Flüchtlingsbewegung, die in den 1990er Jahren nicht von
ungefähr in Thüringen ihren Anfang nahm. Das Land machte Asylsuchenden das
Leben damals besonders schwer. Und der Voice-Gründer, [1][der Nigerianer
Osaren Igbinoba], sagte immer wieder eines: „Wenn sich keiner wehrt, machen
sie am Ende dasselbe mit den Deutschen.“
Es scheint, dass dieser Tage immer mehr weißen Deutschen ein ähnlicher
Gedanke kommt: dass die AfD, die angetreten ist, Migrant:innen aus dem
Land zu drängen, auch vieles anderes bedroht – ihre Rechte, ihre Art zu
leben, ihr Gemeinwesen, ihre Demokratie, vielleicht ihre Freiheit.
Vom „deutschen Ernstfall“ schrieb der FAZ-Journalist Justus Bender kürzlich
[2][angesichts der Umfragewerte für die AfD]. Er berichtet seit vielen
Jahren über die AfD. Bender klagte über eine „gespenstische Ruhe im Land“.
Der Spiegel warf den übrigen Parteien vor, „resigniert“ zu haben. Und
tatsächlich lag angesichts dessen, dass die AfD von vielen Politikern
anderer Parteien schon 2019 als „parlamentarischer Arm des
Rechtsterrorismus“ bezeichnet wurde, eine irritierende, stoische
Tatenlosigkeit über dem Land.
## Gesellschaftliche Gegenwehr
Der [3][Bericht von Correctiv] über ein Treffen von AfD-Politikern,
Identitären und Unternehmern bei Potsdam, auf dem ein „Masterplan“ für die
Deportation von Millionen Menschen besprochen wurde, brachte dann einen
Knoten zum Platzen. Vielen war angesichts des AfD-Hochs zunehmend mulmig
geworden, das Bedürfnis, etwas zu tun, lag in der Luft. Was fehlte, war
eine Zündung, und wie es aussieht, war diese Recherche genau das.
[4][Zehntausende kamen zu Kundgebungen in verschiedenen Städten], etwa
jener des Bündnisses namens Köln stellt sich quer aus Gewerkschaften,
Parteien und Initiativen. Der „Aufstand der Mitte“ sei nun im Gang,
berichtete die Tagesschau. Zum „Jahr des Kampfes“ blies der SPD-Vorsitzende
Lars Klingbeil. „Runter vom Sofa gegen rechts!“, forderten
Regionalzeitungen. Plötzlich gehen die Menschen auf die Straße, und die
Bereitschaft ist groß, darin kein Strohfeuer, sondern den Beginn großer
gesellschaftlicher Gegenwehr zu sehen.
Mobilisierungsmäßig soll es weitergehen: „Nach XXL-Demo Sonntag noch voller
in Köln?“, fragt der Express erwartungsfroh. Fridays for Future haben das
Thema aufgegriffen. Das 2022 aufgelöste Unteilbar-Bündnis [5][geht im
Hand-in-Hand-Bündnis auf]. Am 3. Februar will es mit einer Menschenkette um
das Bundestagsgebäude protestieren. Am 17./18. Februar lädt das Netzwerk
Couragiert zum Kongress in der rechtsextremen Hochburg Plauen. Vom 26. bis
zum 28. April lädt das Flüchtlingsgruppenbündnis We’ll Come United zur
Konferenz nach Frankfurt. Große antirassistische NGOs haben sich in einer
neuen Antifaschistischen Plattform zusammengeschlossen. Diese Liste ließe
sich fortsetzen. Alle suchen Wege für Interventionen, die nicht verpuffen,
sondern entscheidende Prozente verschieben können.
Die Reaktion auf die rechten Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz
etwa [6][war so eine Intervention]. „Wir sind mehr“, hieß es damals,
immerhin, das war noch gewiss. Direkt im Anschluss vermochten die
Unteilbar-Demos linke und bürgerliche Kreise auf eine Weise
zusammenzuführen, dass sie eine Zeit lang echte gesellschaftliche
Strahlkraft entwickelten.
## Was machen die Konservativen?
Oder 2019 in Italien, als die Sardinen-Bewegung [7][Flashmobs mit teils
vielen Tausend Menschen immer da organisierte], wo der rechtsextreme
Innenminister Matteo Salvini auftauchte, und so maßgeblich die Popularität
der Lega drückte. Salvini verlor letztlich sein Amt, wenn auch nur
vorübergehend. Damals gab es das, was man so gerne „Momentum“ nennt. Lässt
sich das wiederholen?
Thüringen jedenfalls scheint eine gewisse Schicksalsträchtigkeit
zuzukommen: Björn Höcke zog kaum nur hierher, weil es aus Hessen so nah
ist, sondern weil wohl absehbar war, dass [8][für ihn hier viel zu holen
wäre]. Die Eisenacher Wartburg ist für viele Deutschnationale wichtiger
Bezugspunkt, obwohl die Hambacher Feste eine anti-reaktionäre Angelegenheit
waren. Der rechte Terror des NSU hat hier genauso seine Wurzeln wie der
Flüchtlingswiderstand. Es gibt das freundlich klingende, aber rechtsextreme
Bündnis Miteinanderstadt in Gera, aber auch die demokratische
Zivilgesellschaft oder auch [9][das Bündnis Weltoffenes Thüringen] und die
#BleibOffen-Kampagne von Jenoptik, die die Wirtschaft im Blick haben.
Dieser Tage etwa versucht die Initiative namens Dorfliebe für alle [10][im
Saale-Orla-Kreis den Sieg des AfD-Kandidaten bei der Landratsstichwahl am
28. Januar zu verhindern].
Es wird letztlich vor allem auf die Konservativen ankommen. Ohne sie wird
sich die AfD nicht von der Macht fernhalten lassen. Aber die Union ist in
einem schwierigen Zustand. Die AfD [11][zerrt an ihrem moralischen
Zentrum]. Klarer als etwa der NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst
(„Nazipartei“, „Mit denen geht gar nichts“) kann man sich kaum
distanzieren. Im Osten klingt das an der Basis bekanntlich anders.
Parteichef Merz hat seine 2021 ausgesprochene „glasklare Ansage“ („Wenn
irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann
steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an“) nicht eingehalten.
Merz und andere Vertreter der Bundes-CDU rüsten derzeit in einer Weise
rhetorisch auf, die zu Merkels Zeiten nicht vorstellbar gewesen wäre.
Vielleicht klären sich die Verhältnisse, wenn sich die Werteunion
tatsächlich mit einer eigenen Partei abspaltet. Für den Moment aber ist
offen, wer sich durchsetzt und ob die moralische Substanz der Union
zerfällt wie jene der US-Republikaner. [12][Und was dann?]
## Akute Gefährdung
2019, kurz vor der letzten Landtagswahl in Sachsen, schlug die taz in
Dresden ein Quartier auf, um von vor Ort zu berichten. Damals stand die AfD
in den Umfragen bei knapp 25 Prozent, und man traf Linke, die erzählten,
sie machten sich Gedanken, wo sie hinziehen könnten, sollte die CDU
umfallen und mit der AfD koalieren. Bei der Wahl bekam die AfD dann 27,5
Prozent.
Heute sehen die Umfragen sie in Ostländern bei weit über 30 Prozent. Im
Sommer 2023 gaben bei einer Umfrage der Bild am Sonntag 15 Prozent der
Befragten an, im Fall eines AfD-Kanzlers auswandern zu wollen. Vielleicht
zeigt das ganz gut, dass die Dinge hier manchmal zu schnell heißlaufen.
Kürzlich erzählte ich österreichischen Kolleginnen davon. „Das war hier
genauso, als die FPÖ an die Regierung kam“, meinten sie. 1983, 1986, 2000,
2003 und 2017 gab es FPÖ-Minister. Am Ende hätten dann alle eben geschaut,
wie sie irgendwie mit der Lage umgehen. „Bleibe im Lande, und wehre dich
täglich“, hieß es bei den Dissidenten in der DDR, und auch im Westen
konnten viele Spontis mit dem Spruch etwas anfangen. Vielleicht muss bald
wieder darüber nachgedacht werden, wie man das am besten anstellt.
Jenen, die der weißen Norm entsprechen, wird dies zweifellos eher
leichtfallen als anderen. Die postmigrantischen Neuen Deutschen
Organisationen fürchten „ethnische Säuberungen nach rassistischen
Kriterien“. Migrant:innen, Roma, Muslime, Jüd:innen seien „akut
gefährdet“. Viele erinnerten daran, dass die Kolumnistin Mely Kiyak schon
2018 die Frage aufwarf, ob „sie uns mit FlixBus deportieren werden“.
## Solidarität und Mobilisierung
Keiner weiß, was eine AfD-Regierung wirklich tun würde. In Italien etwa, wo
die Fratelli d’Italia 2022 [13][mit einer bis zum Anschlag rechtsextrem
aufgedrehten Rhetorik gewählt wurden], kam vieles anders als befürchtet,
bisher jedenfalls. Ein Grund dafür dürfte sein, dass Meloni auf ein
EU-Gefüge traf, das mit viel Geld und einer demokratischen politischen
Kultur einhegend auf sie wirkte.
Vielleicht ist dieser Effekt stabil, vielleicht schleift er sich ab, wenn
an immer mehr EU-Regierungen Rechtsextreme beteiligt sind und sie die EU
als solche nach ihren Vorstellungen umzumodeln vermögen. Einem solchen
rechten Europaprojekt steht allerdings entgegen, dass die Differenzen
zwischen den europäischen Rechtsextremen teils enorm sind.
Gewiss aber ist: Kommen Rechtsextreme an die Macht, wird es für die einen
gefährlicher als für die anderen. Die Antwort heißt Solidarität – und
breite, demokratische, politische Mobilisierung. Denn auch darauf wies der
Voice-Gründer und Flüchtlingsaktivist Igbinoba hellsichtig in den 1990ern
hin: Jeder versuche, mit seinen Problemen alleine fertig zu werden, in dem
Glauben, man werde in Ruhe gelassen, wenn man sich ruhig verhalte. „Am Ende
aber sind die Probleme nur noch größer, weil wir Angst gehabt haben, uns
selbst als machtvoll zu begreifen.“
20 Jan 2024
## LINKS
[1] /Selbstorganisation-der-Fluechtlinge/!5031970
[2] /Umfrage-zu-Regierungsbeteiligung-der-AfD/!5967209
[3] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigrati…
[4] /Proteste-gegen-rechts/!5986385
[5] /Demonstration-gegen-AfD/!5982950
[6] /Hetzjagd-in-Chemnitz/!5978838
[7] /Italiens-Zivilgesellschaft-wacht-auf/!5640591
[8] /Umfrage-sieht-AfD-Hoch-in-Thueringen/!5968136
[9] /Eric-Wrasse-ueber-Weltoffenes-Thueringen/!5983479
[10] /Landratswahl-im-Saale-Orla-Kreis/!5985309
[11] /Rechtsruck-im-politischen-Diskurs/!5983190
[12] /Gegen-die-AfD-wappnen/!5982970
[13] /Ein-Jahr-Meloni/!5959210
## AUTOREN
Christian Jakob
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