# taz.de -- Regisseurin über Science-Fiction-Theater: „Ein Mehr an Wirklichk… | |
> Ehrliche Frage nach einem realen Problem: Regisseurin Alina Sobotta über | |
> die Theatertauglichkeit von Stanisław Lems Science-Fiction-Roman | |
> „Solaris“. | |
Bild: Differenzierter Blick auf den ja gerne mal lächerlichen Menschen: „Sol… | |
taz: Alina Sobotta, was macht einen Science-Fiction-Roman wie [1][Stanisław | |
Lems] „Solaris“ zu einem Theaterstoff? | |
Alina Sobotta: Es ist eigentlich sogar der perfekte Stoff. Weil wir | |
gezwungen sind, uns hinauszubewegen über die Grenzen unserer bekannten | |
Welt, aber auch denen unserer Fantasie – wenn wir Science-Fiction lesen, | |
aber auch, wenn wir uns in den Theaterraum begeben. Beides sind Räume, die | |
ein Mehr an Wirklichkeit ermöglichen und aufmachen. Wenn da ein Autor aus | |
einer sehr konkreten autobiografischen Erfahrung, auch Gewalterfahrung | |
heraus – Lem war ja Holocaustüberlebender – anfängt, auf einer | |
Unbedingtheit von Mehr an Welt zu bestehen; darauf, dass wir uns bestimmte | |
Fragen über uns als Menschheit, unsere Zukunft und die Möglichkeit anderer | |
Welten stellen: Dann geht es ihm wie uns im Theater. Ich glaube, dass wir | |
auch dort einen Raum haben, bei dem die Verabredung ist: Sobald wir durch | |
die Tür treten, Platz nehmen, sind wir eingeladen, Raum und Zeit nochmal | |
auf eine andere Art und Weise zu erleben. Das hat aber natürlich auch seine | |
ganz eigenen Fallstricke. | |
Inwiefern? | |
In Science-Fiction steckt immer ein bisschen die Behauptung: So, wir | |
überlegen uns jetzt, ausgehend von unserer Welt – es ist ja gerade keine | |
Fantasy –, noch mal eine ganz andere. Und dieses world building ist im | |
Theater ein bisschen schwieriger. | |
Warum? | |
Da haben wir es eigentlich immer schon mit einer nicht realen Welt zu tun. | |
Demgegenüber hat es ein Andrei Tarkowski leichter … | |
…der Regisseur der wohl bekanntesten [2][„Solaris“-Verfilmung]. | |
Denn [3][im Film] kann ich die Wege auf der Raumstation mitgehen, ich kann | |
in die Kabine gehen, es gibt eine Küche, eine Bibliothek. Die Form der | |
Realitätsbehauptung ist im Theater erst mal eine andere. | |
Wie kam es nun aber konkret dazu, dass Sie sich mit „Solaris“ beschäftigen… | |
Also, ich bin ja auch Polin, da sind „Solaris“ und Lem Kanon. Das ist | |
übrigens interessant: Ich habe gemerkt, dass es da wirklich einen | |
Generationsunterschied gibt: Wer kennt Lem und gerade auch „Solaris“ – und | |
wer nicht? Mich hat Lem eigentlich schon immer fasziniert. Es war aber eine | |
meiner Dozentinnen an der [4][Musik- und Theaterhochschule], mit der ich | |
mich unterhalten habe und dabei „Solaris“ erwähnt. Die sagte: [5][Ist das | |
nicht der Stoff], nach dem du suchst? Und in dem Moment war das total | |
einleuchtend. | |
Woran genau würden Sie das festmachen? | |
An „Solaris“ berührt mich die Einsamkeit und Verlorenheit der Figuren auf | |
der Station. Ihr Umgang mit ihren individuellen Traumata und Dämonen, die | |
sie da draußen heimsuchen. Die Konfrontation mit ihren offenen Wunden. Was | |
ich daran aber auch so aktuell und wichtig finde: Wir befinden uns gerade | |
wieder in einer Art Wettlauf ins All, einem [6][Space Race] – ähnlich wie | |
zur Entstehungszeit. | |
Das Buch kam 1961 heraus, ein paar Monate nachdem die Sowjets mit „Sputnik | |
5“ allerlei Tiere in den Weltraum befördert hatten – und einige davon auch | |
wieder lebendig zurück. | |
Aber ich habe das Gefühl, wenn jetzt wieder ein Space Race stattfindet, | |
passiert das in einer Manier, die Lem kritisiert hätte. | |
Nämlich? | |
Es geht doch primär darum, unser Wirtschaftssystem auszuweiten in den | |
Kosmos. Darum Rohstoffe und Ressourcen zu erwirtschaften und die zu | |
kapitalisieren. Und verloren gegangen ist eine Form des ideologischen | |
Wettlaufs um den Weltraum. An „Solaris“ finde ich schön und wichtig: die | |
Skepsis, mit der Lem das Ganze betrachtet. Er lässt ja eine Figur fragen: | |
Was suchen wir eigentlich? Wir brauchen keine anderen Welten, wir ersticken | |
ja schon an unserer eigenen. Wir wollen in den Kosmos gehen, aber | |
eigentlich nur Planeten finden, die aussehen wie ein Regenwald, wie eine | |
Eiswüste, wie die Sahara. Denn wirklich andere Welten können wir uns | |
eigentlich gar nicht vorstellen. Wir sehen immer nur uns und unsere Welt | |
gespiegelt. | |
Aber auch das hat seine Tücken. | |
[7][Wenn uns das gezeigt wird] – „unsere eigene monströse Hässlichkeit, | |
unsere Albernheit und unsere Schande“, so heißt es ja im Roman –, dann | |
können wir damit nicht umgehen. Und da mag ich Lems Blick auf die Menschen: | |
Der ist sehr ehrlich, fast schmerzhaft ehrlich, Hässlichkeit und Albernheit | |
finde ich da ein gutes Stichwort. Gleichzeitig trotzdem auch sehr | |
liebevoll, und mit Potenzial für Solidarität und Trost. In dem Sinne finde | |
ich Lem sehr umfassend und erkenne darin eine sehr menschliche Erfahrung. | |
Sein Text ist eine sehr ehrlich gestellte Frage nach einem sehr realen | |
Problem. | |
Und da ist es dann überhaupt nicht mehr überraschend, dass dieser Stoff | |
[8][auf einer Theaterbühne] landet: Wenn man die Sache so angeht, wird | |
daraus genuiner Theaterstoff – wie [9][ein Königsdrama] welcher wäre. | |
Ja, total! Da stecken doch fast klassisch antike Dramen drin: der Mensch | |
gegen das Schicksal. Die Menschen arbeiten sich an diesem fremden Ozean ab | |
wie an einem Gott, bei dem man nicht weiß, ist der eigentlich gutwillig | |
oder böswillig? Manipuliert er uns, oder sind das alles Kollateralschäden, | |
dass uns jetzt hier unsere intimsten und schmerzhaftesten Erinnerungen | |
heimsuchen auf dieser Raumstation? | |
17 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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