| # taz.de -- Premiere am Staatstheater Temeswar: Sie altern und verjüngen sich | |
| > In Temeswar inszeniert Bülent Özdil seine Bühnenadaption von Andrei | |
| > Tarkowskis Spielfilm „Der Spiegel“. Besonders das Ensemble überzeugt. | |
| Bild: Darsteller:innen im Stück „Der Spiegel“ am Deutschen Staatstheater T… | |
| Ein sanft leuchtender Lichtstrahl bricht sich auf dem blauen Stoff eines | |
| Paravents und sorgt für einen warmen Schein. Dahinter könnte das Meer | |
| liegen. In der Ferne zwar, aber deutlich erkennbar durch ein geöffnetes | |
| Fenster. Eine leichte Brise würde hereinwehen, die Füße umspielen, die | |
| hinter dem Raumtrenner hervorlugen. So etwa könnte die österreichische | |
| Kaiserin Elisabeth zur Heilung ihrer Lungenerkrankung in ihrem | |
| Sanatoriumsbett auf Madeira gelegen haben. | |
| Die Aussicht des Bettlägerigen auf der Bühne des Deutschen Staatstheater | |
| Temeswar bleibt dem Publikum indes verborgen. Die Kulisse in Bülent Özdils | |
| Bühnenadaption von Andrei Tarkowskis Spielfilm „Der Spiegel“ („Serkalo�… | |
| an deren linkem Rand sich das Krankenlager befindet, vermittelt | |
| Resignation: Den Boden bedeckt Erde, ein kleiner Teich fasst trübes Wasser, | |
| daneben leere Flaschen, Müll, ein alter Teddybär. | |
| Sie sollen wohl der nostalgischen Erinnerung an vergangene Zeiten den | |
| titelgebenden Spiegel vorhalten, den Blick in die vermeintlich bessere | |
| Vergangenheit trüben. „Ich liebe meine Erinnerung, möchte mir aber auch | |
| bewusst sein, dass nicht alles nur glücklich war“, beschreibt Özdil seine | |
| Absicht hinter der Adaption im Gespräch mit der taz. | |
| Diese Diskrepanz zwischen dem, was man individuell zu erinnern meint, und | |
| dem, was sich zur selben Zeit kollektiv in die Geschichte eingeschrieben | |
| hat, ist zentrales Motiv in dem [1][Werk des sowjetischen Filmemachers | |
| Andrei Tarkowski von 1975.] Die Erzählung in „Der Spiegel“ folgt keiner | |
| Chronologie, wechselt diskontinuierlich zwischen Erinnerungssequenzen, die | |
| im Aufwachsen des Protagonisten Alexei für diesen prägend waren. | |
| ## Tarkowskis Bildsprache auf der Bühne | |
| Tarkowskis Bildsprache, die zwischen Traumbildern und dokumentarisch | |
| anmutendem Material changiert, auf die Theaterbühne zu bringen, scheint | |
| geradezu utopisch. Özdil selbst, der bei dem Projekt nicht nur als | |
| Regisseur fungierte, sondern auch Produktion, Kostüm und Bühnenbild | |
| verantwortete, sieht das Vorhaben als gescheitert an, sagt er vor der | |
| Premiere. Geschicktes Erwartungsmanagement oder realistische | |
| Selbsteinschätzung? Vielleicht beides. | |
| Vorschusslorbeeren für sein persönliches Herzensprojekt gibt es dennoch: Am | |
| Abend der Premiere ist der Saal des Theaters fast bis auf den letzten der | |
| 100 Plätze belegt. Mit dieser Resonanz habe er nicht gerechnet, sagt Özdil, | |
| aber Tarkowski sei in Rumänien sehr beliebt. Die Idee, dessen | |
| autobiografisch geprägten Film als Theaterstück zu konzipieren, sei ihm | |
| allerdings schon vor seiner Spielzeit in Temeswar gekommen. | |
| Seit 2022 ist er in der westrumänischen Stadt am Theater tätig. Vorher | |
| arbeitete Özdil, der 1981 in Mittelfranken [2][als Sohn sogenannter | |
| türkischer Gastarbeiter geboren wurde], in Salzburg. Dass man mit der | |
| deutschen Sprache auch außerhalb der DACH-Region am Theater arbeiten könne, | |
| habe ihn überrascht. | |
| Temeswar oder Timișoara, wie es auf Rumänisch heißt, könnte ein | |
| Paradebeispiel für multikulturelles Zusammenleben sein, davon ist der | |
| 44-Jährige überzeugt. 200 Jahre hatte man Zeit, hier zusammenzuwachsen. | |
| Neben den Banater Schwaben – der ansässigen deutschen Minderheit – lebten | |
| auch Ungarn hier, deren Staatstheater sich die Räumlichkeiten mit denen des | |
| Deutschen Staatstheaters teilt. | |
| ## Ein Nebeneinander der Kulturen | |
| Dieses Nebeneinander funktioniere sehr gut, meint Özdil, Identitätsdiskurse | |
| in Deutschland nehme er als viel verhärteter wahr. Die Herkunft als | |
| Identitätsmerkmal scheint auch bei Tarkowski durch, wenngleich subtil. Wenn | |
| Alexei seine Exfrau fragt, ob ihr neuer Partner Ukrainer sei, gewinnt der | |
| Text auf der Bühne plötzlich an Aktualität und macht zeitgleich deutlich, | |
| wie weit etwaige Konflikte zurückgehen. | |
| Während Tarkowski in seinem Film Kindheitserinnerungen an den Zweiten | |
| Weltkrieg einflicht, versucht Özdil einen [3][Bezug zum immer noch | |
| andauernden Krieg in der Ukraine herzustellen]. Und scheitert, wie | |
| vorausgesagt. Nicht gänzlich, aber zumindest in einem wesentlichen Punkt: | |
| Statt dem Publikum den Raum für Assoziationen und eigene Empfindungen zu | |
| lassen, wird überbordend auf theatrale Mittel zurückgegriffen. | |
| Das Bühnenarrangement mit einer verspiegelten Trennwand, die den Blick auf | |
| eine zweite (Zeit-)Ebene freigibt, funktioniert einwandfrei. Je nachdem, wo | |
| sich die Darstellenden befinden – vor oder hinter „dem Spiegel“ –, wech… | |
| sie die Rollen, altern oder verjüngen sich. Hier gelingt es Özdil | |
| wunderbar, die erzählerische Ambivalenz von Tarkowskis Film für die | |
| Theaterbühne zu übersetzen. | |
| Besonders Oana Vidoni und Ida Jarcsek-Gaza, als junge und alte Version von | |
| Alexeis Mutter begeistern in ihrem Spiel, und Rareş Hontzu, der leider nur | |
| Nebenrollen bekleidet, würde man gern länger zusehen. Was nicht recht | |
| gelingen mag, ist der Einsatz von KI: Auf einer großen Leinwand werden | |
| immer wieder Bilder projiziert, die der traumhaft-poetischen Sprache | |
| Tarkowskis nachempfunden sind. | |
| Doch wollen sie nicht recht passen, ästhetisch weder zum Stile Tarkowskis | |
| noch zum übrigen Bühnenbild. Man könnte sie wohlwollend als gelungene | |
| Kritik an KI nehmen, die alles überschreibt, was den Menschen und sein | |
| ambivalentes Wesen ausmacht. Denn ihr Einsatz zeigt deutlich, wie die | |
| Darstellenden und das, was sie durch Text und Körperarbeit zu | |
| transportieren versuchen, von den KI-generierten Bildern überlagert wird. | |
| Fast ist es so, als wollten durch sie und den Einsatz allzu dramatischer | |
| Musik Emotionen erzwungen werden, statt diesen Raum zu geben, sich subtil | |
| zu entfalten. So bleibt der anfängliche Moment, indem ein simpler | |
| Lichtschein genügte, um Assoziationen entstehen zu lassen, – ja um zu | |
| träumen – einer der wenigen, indem das gelingt. | |
| Der Text entstand mit Unterstützung des Deutschen Konsulats Temeswar. | |
| 29 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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