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# taz.de -- Absurder Klassiker im Hamburger Theater: Die Kunstkacke ist am Damp…
> Regisseur Johan Simons zeigt Alfred Jarrys „Ubu“ am Hamburger Thalia
> Theater als eine Herrschaft des Vulgären. Das Ergebnis ist zahn- und
> ziellos.
Bild: So etwas gibt es nur im Theater: Marina Galic und Jens Harzer sind als Va…
Sie ist die „Wissenschaft der Wissenschaften“, die ’Pataphysik, korrekt
geschrieben mit vorauseilendem Apostroph. Oder wie es 1893 ihr Erfinder
Alfred Jarry auch formulierte: „die Wissenschaft der imaginären Lösungen“
oder „die Berechnung der Oberfläche Gottes“. Hier sind alle Dinge vom
Zufall bestimmt, hier – patati, patata – scheitert jede Eindeutigkeit.
Auch Vater und Mutter Ubu sind ’Pataphysiker. In Jarrys „König Ubu“, des…
Uraufführung 1896 als Skandal in die Theatergeschichte einging. Dieser Ubu
ist der Archetyp des Wutbürgers und blutrünstigen Massenmörders.
Er ist ein obszöner, gefräßiger, vulgärer Tyrann. Der Verfasser selbst, ein
[1][Punk avant la lettre], hat sich in seinem kurzen Leben selbst mehr und
mehr als Ubu inszeniert. Das [2][bekannteste Zitat] des gleichnamigen
Stücks fällt gleich zu Beginn mit „Merdre!“, hier übersetzt als „Schei…
Dann folgt ein Attentat, eine Thronübernahme, eine Gewaltherrschaft – und
schließlich eine Flucht. Zum Anfangsimpuls à la Macbeth kommt später noch
eine Prise Hamlet hinzu und … sehr viel Sprachverqueres. Ein Mash-up, ein
Medley, ein Fest für Intertextualist*innen.
## Tiere sind zum Spielen da
Weithin gilt „König Ubu“ als Geburtsstunde des modernen Theaters.
Dadaist*innen und Surrealist*innen beriefen sich darauf, erst recht
Vertreter*innen [3][des absurden Theaters]. Aufgeführt wurde das Stück
[4][bis vor zehn Jahren] eher selten. Johan [5][Simons] hat es am
Thalia-Theater auf die Bühne gebracht, mit Marina Galic als Vater und Jens
Harzer als Mutter Ubu
Über ein Live-Video-Triptychon sieht man das machtgierige Paar in einem
kleinen weißen Raum mit toten Tieren, Puppen und abgehackten Gliedmaßen
spielen, sieht es Blut schlürfen und kunstkacken, kochen und kichern, hört
es pöbeln, singen und furzen. Die Figuren sind grob und grell gezeichnet:
mit Schnäuzer und vorgespanntem Bauch die eine, mit strähniger
Blondhaar-Perücke und knappen Faltenröckchen die andere (Kostüme: Katrin
Aschendorf).
Eingangs und immer wieder an diesem Abend wird der eigentliche Theaterraum
von drastischen Filmbildern (Video: Sascha Kühne) dominiert. Da ist die
Hexenküche der Ubus nicht nur ein kunstaktionistisch bespielter White Cube,
sondern auch ein Hinterzimmer der Macht, in dem menschenverachtende Pläne
geschmiedet und grausame Fantasien mit Stoffpuppen und toten Hasen
bebildert werden: „Enthirnen, Ohren stutzen, töten!“
[6][Hämisch schaffen die Ubus bald alles ab,] Politik, Wissenschaft und
Justiz, Kultur, Kunst und Kritik. Blutverschmiert schleppen sie Lappen,
Lumpen und Drecksbrühe aus ihrem Labor, füllen damit „die Versenkung“, ein
Loch im tiefschwarzen, restlichen Bühnenraum. Überzeichnet ist ihr Spiel
dabei, poltert zwischen Mensch gewordenem Puppentheater und enervierend
clownesker Groteske. Verweise auf die gruselige Gegenwart sind
selbstredend.
Später kommen mit Lisa Sommerfeldt, Pascal Houdus, Thomas Loibl drei
weitere Spieler*innen hinzu und auch noch ein grollender Braunbär (Paul
Smollich). Dann wird über die Jagd philosophiert, recht hilflos aus
Knausgards „Sterben“ zitiert, im aufkommenden Sturm umhergeirrt und kurz
die Tricolore geschwenkt.
Vermutlich sollen diese zusammenhanglosen Szenen nun die Flucht der Ubus
nach Frankreich erzählen. Musikalisch untermalt mit Jacques Brels Chansons
– dem französischsten [7][aller flämischen Belgier]. Langatmig plaudern die
Spieler*innen über Warteschlangen, Ameisen und übers Tieftauchen.
Würfeln Entscheidungen herbei und verharren dann doch auf der Stelle.
Nicht nur die recht schwachen, hinzugefügten Texte laufen zäh ins Leere,
sondern bald auch das Spiel und der anfängliche Schrecken der
Veranstaltung. Veralberte Kleinst-Szenen mit Kaffee, Braunbär und
’Pataphysik-Palaver machen den Abend zunehmend ziel- und zahnlos,
kasperlnd-pubertär und anstrengend selbstbezogen.
Eine freundlichere Formulierung definierte solch hermetische Pose als L’art
pour l’art, deren Codes nur Eingeweihte kennen. In diesem Fall – patati,
patata – alle ’Pataphysiker*innen.
23 Mar 2025
## LINKS
[1] https://tuttle.taz.de/!6068348&s=ubu&SuchRahmen=Print//
[2] https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id…
[3] https://nachtkritik.de/nachtkritiken/deutschland/berlin-brandenburg/berlin/…
[4] https://www.kultura-extra.de/theater/spezial/repertoire_koenigubu_DTberlin.…
[5] /Familientragoedie-im-Deutschen-Theater/!6066374
[6] /Zoran-Terzics-Buch-Idiocracy/!5667342
[7] /Belgiens-leiser-Tod/!5140918
## AUTOREN
Katrin Ullmann
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Christoph Marthaler
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