| # taz.de -- Videospiel „The Invincible“: Ostmoderne im All | |
| > Im Videospiel „The Invincible“ durchschreitet man außerirdische Planeten | |
| > – und die Gedankenwelt des Science-Fiction-Autors Stanisław Lem. | |
| Bild: In „The Invincible“ geht es um Sicherheit und Verständnis, nicht um … | |
| Die Biologin Yasna ist auf einem fremden Planeten gestrandet. Und was für | |
| ein Planet: Auf Regis III wechseln sich Gebirgslandschaften mit | |
| weitläufigen Wüsten und riesigen Höhlengewölben ab, immer überdacht von | |
| einem einzigartigen Sternenhimmel. Diesen Planeten durchschreiten | |
| Spieler:innen im Game „The Invincible“ – und damit die Gedankenwelt des | |
| [1][polnischen Science-Fiction-Autors Stanisław Lem]. | |
| Yasna wacht in einer der Wüsten auf und erinnert sich daran, dass sie zuvor | |
| noch alleine auf dem Raumschiff war, während die restliche Crew den | |
| Planeten erforschte. Über Funk spricht sie mit Novik, dem Kopf der | |
| Forschungseinheit, der ebenso verwirrt ist wie sie. Gemeinsam versuchen sie | |
| herauszufinden, warum die restliche Einheit verschwunden ist. Dann | |
| entdeckt Yasna merkwürdige Metallstrukturen, die den gesamten Planeten | |
| durchziehen. Langsam beschleicht sie der Verdacht, dass sie nicht alleine | |
| sind in dieser fremden Welt – und dass Novik ihr etwas verschweigt. | |
| Mit gerade einmal fünf Stunden ist „The Invincible“ nicht lang, dafür ist | |
| jede Minute ein intensives und atmosphärisches Erlebnis. Während ihrer | |
| Odyssee muss Yasna mal ein Signal aufstellen, eine Sonde programmieren oder | |
| eine Sauerstoffflasche austauschen. Spielerisch ist das alles keine | |
| Herausforderung, unterhaltsam ist es dennoch. | |
| Statt auf komplexe Rätsel zu setzen, ist das Spiel ein „Walking-Simulator,“ | |
| also eine Reise durch eine fremde Welt, bei der die Bilder und Erzählung im | |
| Vordergrund stehen. Das ästhetische Erlebnis steht hier im Vordergrund, | |
| dazu gehören die verspielten retro-futuristischen Settings ebenso wie die | |
| sphärischen Klänge, die an die Musik des griechischen Komponisten Vangelis | |
| erinnern. | |
| ## Östliche Visionen | |
| „The Invincible“ entwickelt sich schnell zu einer unheimlichen Reise, in | |
| der Yasna beginnt, ihre Sinne und Erinnerungen zu hinterfragen. Spätestens | |
| wenn die Biologin sich nicht mehr sicher ist, ob sie gerade ein angeblich | |
| verstorbenes Crewmitglied gesehen hat oder dabei ist, den Verstand zu | |
| verlieren, bekommt das Spiel eine leichte Horrornote. Die starke Handlung | |
| ist dem Buch geschuldet, auf dem das Spiel basiert. | |
| Das polnische Entwicklerstudio Starward Industries hat sich den | |
| gleichnamigen Roman aus dem eigenen Land als Vorlage genommen. 1964 schieb | |
| der Philosoph Stanisław Lem „Niezwyciężony“, in Deutschland als „Der | |
| Unbesiegbare“ erschienen, auf Englisch als „The Invicible“. Lem steht in | |
| einer Reihe von vielen osteuropäischen Science-Fiction-Autor:innen, die im | |
| Westen noch immer zu wenige Aufmerksamkeit bekommen. | |
| Vergleicht man die westlichen Zukunftsgeschichten mit denen der ehemaligen | |
| Ostblockstaaten, wirken die östlichen Versionen meist geerdeter. Sie | |
| gehören eher zu der sogenannten „hard science fiction“, die realistische | |
| Weiterentwicklungen von Wissenschaft und Technik als Grundlage für ihre | |
| Vorstellungen von Zukunft nehmen. Doch sie widmen sich auch verstärkt den | |
| großen philosophischen Fragen des Menschseins. Extraterrestrische Wesen | |
| spielen hingegen nur eine Nebenrolle. Auseinandersetzungen mit Aliens | |
| kommen so gut wie gar nie vor, während der Krieg der Welten im Westen der | |
| Standardtopos ist. | |
| Dieser Ansatz hat es auch ins Weltkino geschafft: Mit Filmen wie „Stalker“ | |
| und vor allem „[2][Solaris]“ hat der russische Regisseur Andrei Tarkowski | |
| die Ästhetik einer entschleunigten, sowjetischen Science-Fiction geprägt | |
| wie niemand sonst. Wie „The Invincible“ basiert auch der Film „Solaris“… | |
| einem gleichnamigen Buch von Stanisław Lem. | |
| ## Von der „Metro“ in die Haft | |
| Auch die russischen Brüder Arkadi und Boris Strugazki, auf deren Novelle | |
| Tarkowskis „Stalker“ basiert, haben mit ihren Geschichten aus dem | |
| sogenannten Mittags-Universum nicht nur James Camerons „Avatar“-Epos | |
| beeinflusst, sondern auch gleich mehrere erfolgreiche Videospiele. 2007 war | |
| es [3][Dmitri Gluchowski], der mit seinem dystopischen Roman „Metro 2033“ | |
| Science-Fiction-Fans für sich gewann. Später wurde sein Roman über das | |
| Leben in unterirdischen Bahnhöfen nach dem Atomkrieg auch als erfolgreiches | |
| Videospiel adaptiert. Wegen seiner Kritik am Ukrainekrieg und der | |
| Solidarität mit Alexej Nawalny wurde der Autor inzwischen in Russland zu | |
| acht Jahren Haft verurteilt. | |
| Gemeinsam sind vielen Autor:innen aus den ehemaligen Ostblockstaaten die | |
| mehr oder weniger subtilen sozialistische Untertöne. Oftmals ist die | |
| Forschung im All staatlich organisiert und der Anreiz dafür kein | |
| kapitalistischer. Während Geld seinen Wert verloren hat, wird die Freude an | |
| der wissenschaftlichen Arbeit und der Entdeckung zum Mittelpunkt des | |
| Lebens. Ein Beispiel für diese Einstellung gibt es in der westlichen | |
| Science-Fiction: „Star Trek“-Crews haben nicht für Geld, sondern aus | |
| Neugier an der Wissenschaft und altruistischen Gründen geforscht. Auch | |
| in „The Invincible“ spielt Kapital keine Rolle. Stattdessen ist es die | |
| Suche nach Sicherheit und der Versuch, das Geschehen auf dem fremden | |
| Planeten zu verstehen. | |
| 7 Nov 2023 | |
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| Martin Seng | |
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