| # taz.de -- Mahnmal gegen Atommüll: Ein Festplatz für den Widerstand | |
| > Die Stadt Beverungen hat ein Protest-W gegen ein Atommülllager in | |
| > Ostwestfalen aufgestellt. Seit die Pläne vom Tisch sind, feiert es eben | |
| > den Sieg. | |
| Bild: Protestfranchise in Ostwestfalen: Das gelbe W steht für den Widerstand g… | |
| Beverungentaz | Ein lauer Sommerabend in Beverungen, Landkreis Höxter, | |
| östlichstes Ostwestfalen. Es ist fast windstill hier, genau an der Grenze | |
| zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Gemächlich fließt die Weser | |
| vor sich hin und die untergehende Sonne hat die Wolken am | |
| Abendhimmel-Horizont in ein sanftes Rosa getaucht. Auf den Wiesen der noch | |
| ziemlich frisch angelegten Uferpromenade watscheln Enten durch etwas zu | |
| symmetrische Blumenbeete, und Menschen lassen sich nieder auf einigen | |
| dieser Ergonomie andeutenden wellenförmigen Holzliegestühle. | |
| Auch der Staub auf der Boule-Bahn hat sich inzwischen verflüchtigt. Am | |
| gegenüberliegenden Ufer – da ist dann schon Niedersachsen – lugen hinter | |
| Baumwipfeln die ersten Hausdächer der Gemeinde Lauenförde hervor. Fachwerk | |
| meets Photovoltaik. Auf der nahegelegenen Weserbrücke schiebt sich der | |
| Autoverkehr langsam in den Feierabend. | |
| In diese Idylle hinein ragt auf der Beverunger Uferseite ein großes, | |
| grellgelb angestrichenes W. Gute 5 Meter hoch und bestimmt 8 Meter breit. | |
| Die vier Holzbalken aus massiver Fichte stehen auf zwei soliden Betonfüßen, | |
| tief eingelassen in den Grasboden der Weserwiesen. Seit Sommer 2022 steht | |
| das Ding schon hier, der Rasen um die grauen Platten herum ist noch nicht | |
| ganz wieder nachgewachsen. | |
| Durch seine Größe und die knallige Farbe ist das W für alle gut sichtbar, | |
| die hier vorbeikommen – auf dem Radweg an der Uferpromenade, für die | |
| Autofahrer*innen auf der nahegelegenen Weserbrücke und für die | |
| Passagiere der Weserdampfschiffe, die hier alle paar Stunden | |
| entlangtuckern. | |
| ## Alte Meiler, neuer Fässer | |
| Das gelbe W ist seit einiger Zeit wirklich allgegenwärtig hier im | |
| Dreiländereck Niedersachsen-NRW-Hessen: in Vorgärten und Schaufenstern, als | |
| Autoaufkleber und T-Shirt-Aufdruck. W wie Würgassen. Und W wie Widerstand. | |
| Ein Protestsymbol der Anti-AKW-Bewegung, angelehnt an das gelbe X aus | |
| Gorleben. | |
| Das große W hier am Flussufer hat die Stadt Beverungen selbst aufgestellt, | |
| direkt am Ortseingang. Das erfährt man, wenn man dem QR-Code folgt, der an | |
| einem der inneren Balken angebracht ist. Denn auch im Weserbergland sollte | |
| Atommüll eingelagert werden, genauer gesagt auf dem Gelände des wenige | |
| Kilometer entfernten [1][ehemaligen Atomkraftwerks Würgassen]. Der Meiler | |
| war 1971 ans Netz gegangen, als erstes kommerziell genutztes Kernkraftwerk | |
| der Bundesrepublik. 1994 musste die Anlage stillgelegt werden, man hatte | |
| Haarrisse im Stahlmantel des Reaktorkerns entdeckt. | |
| 17 Jahre lang wurde die Anlage dann rückgebaut, für rund 1 Milliarde Euro. | |
| Ein großer Schritt nach vorn, so hofften viele, vor allem für den langsam | |
| anlaufenden Tourismus in der Region. Doch das Bundesumweltministerium und | |
| die Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) hatten andere Pläne, wie sie | |
| 2018 verlautbaren ließen: Auf dem Gelände des Altmeilers Würgassen sollte | |
| ein neues Logistikzentrum entstehen, in dem 15.000 Atommüllfässer über | |
| einen Zeitraum von 30 Jahren zwischengelagert werden könnten, bevor sie in | |
| das [2][geplante Endlager Schacht Konrad] verfrachtet werden sollten. | |
| ## W wie Widerstand | |
| Die Nachbarschaft hingegen wollte auf keinen Fall zu einer solche | |
| Atommülldrehscheibe werden. Zivilgesellschaft, Vereine, Kommunen, die | |
| lokale Politik – sie alle stellten sich gemeinsam den Plänen der BGZ und | |
| des Umweltministeriums entgegen. | |
| Allen voran die [3][Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck], die sich Ende | |
| 2020 gegründet hatte. BGZ und die Entsorgungskommission hätten bei der | |
| Entscheidung für den Standort ihre eigenen Sicherheitsstandards missachtet. | |
| Die Straßen- und Bahnanbindung sei völlig unzureichend, außerdem liege die | |
| Anlage im Überschwemmungsgebiet der Weser. | |
| Darüber hinaus hatte ein von den Bundesländern NRW und Niedersachsen in | |
| Auftrag gegebenes Gutachten des TÜV Nord in 2022 gezeigt, dass ein | |
| zentrales Atommüllzwischenlager nicht nötig sei und keine nennenswerte | |
| Beschleunigung bei der Endlagerung erwarten lasse. | |
| Ende 2023 knickte die Politik dann ein. Das Zwischenlager käme mittlerweile | |
| zu spät und wäre schlussendlich unwirtschaftlich. „Ein Milliardengrab“, w… | |
| Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte. Schacht Konrad wird jetzt doch | |
| dezentral beliefert werden, ohne vorheriges Logistikzentrum. Und | |
| falls doch noch eins kommt, wird es sicher nicht in Würgassen stehen. | |
| Aufatmen im Dreiländereck! | |
| Damit ist auch das W hinfällig, das gelbe, weil’s doch mehr zum Kämpfen | |
| taugt als zur Siegesfeier. Ein bisschen stehenbleiben darf es trotzdem | |
| noch. Die Stadt kriegt es derzeit nicht weg – wegen des Hochwassers. | |
| 14 Jan 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Atommuell-Zwischenlager-in-NRW/!5979091 | |
| [2] /Genehmigung-fuer-Endlager-bleibt/!5977907 | |
| [3] https://www.atomfreies-dle.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jonas Graeber | |
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