# taz.de -- Hindu-Tempel in Bremen: Von Kuh geprüft | |
> Ein farbenfrohes Angebot für ein bisschen mehr kulturelle Aneignung: | |
> Bremens Sri-Varasiththi-Vinayakar-Tempel feiert den „Entferner von | |
> Hindernissen“. | |
Bild: Schön bunt und Ganesha alias Vinayakar, dem „Entferner von Hindernisse… | |
Also diese Farben! Sie dominieren den Raum. Drinnen das Sonnengelb des | |
polierten Fußbodens und der Wand. Auch die üppig mit Goldblechen dekorierte | |
Hülle des Allerheiligsten, Rosa, Minzgrün und Türkis. Draußen strahlt der | |
mit handbemalten Männern, Frauen und blauen Elefanten überhäufte Torturm, | |
der Gopuram. Und dann eben noch dieser knallige Anstrich. | |
Im protestantischen Norden treten Sakralbauten als essigrote | |
Backsteinklinker- oder nachkriegsgraue Sichtbetonkirchen auf. Ganz anders | |
der Bremer Sri-Varasiththi-Vinayakar-Tempel mit seiner gestreiften | |
Außenwand: Die leuchtet noch zinnober und perlweiß durchs Dunkel, wenn die | |
Abenddämmerung alle anderen Farben aufgesogen hat. Das muss das Auge erst | |
mal schlucken! | |
In [1][Hamm-Uentrop hatte vor gut 20 Jahren der Bau des ersten und bis | |
heute größten deutschen Hindu-Tempels] in einem Gewerbegebiet noch | |
[2][unverhohlen rassistische Angriffe auf sich gezogen]. In Bremen sind | |
keine Feindseligkeiten gegen die selbstbewusst artikulierte Fremdheit | |
bekannt geworden. | |
## Bunt gleich neben Modellquartier | |
Dabei ist Osterholz ein durch Einfamilienhäuser und Hochhausblocks | |
geprägter Stadtteil, in dem Rechtsextreme bei Wahlen überdurchschnittlich | |
gut abschneiden. Seit fünf Jahren entsteht hier aber auch [3][das | |
sozial-ökologische Modellquartier „Ellener Hof“]: Dazu gehören eine | |
kulturelle Einrichtung, ein großer Garten, ein Studi-Heim, eine | |
Geflüchteten-Unterkunft etc. pp. Geplant sind 500 Wohneinheiten, komplett | |
mit nachwachsenden Rohstoffen gebaut. | |
Besonders cool ist, dass das niederländische Atelier „De Zwarte Hond“ | |
seinen städteplanerischen Entwurf mit den Wegeführungen ausgehend vom | |
Baum-Bestand und überkommenen Flurvorgaben konzipiert hat. Das | |
[4][barrierefreie Viertel] wirkt daher wie ein gewachsenes Haufendorf. | |
An dessen Rand begann die Bremer Hindu-Gemeinde, nachdem eine Kuh des | |
damaligen Bürgerschaftspräsidenten das entsprechende Grundstück im Januar | |
2018 grasrupfend für würdig erklärt hatte, ihren Tempel zu errichten. | |
Vergangenen Sommer haben dann 15 Hindu-Priester aus aller Welt den Bau | |
eingeweiht. Bei der Kumbhabishekam-Zeremonie wird aus einem Gefäß (Kumbha) | |
gesegnetes Wasser über die plastischen Elemente des Tempels gesprüht | |
(abishekam). In Milch, Quark, Honig und geklärter Butter badet einer der | |
Geistlichen dann die zentrale Götterstatue – in diesem Fall also Vinayakar. | |
Vinayakar bedeutet so viel wie „Entferner von Hindernissen“ und ist ein | |
weniger bekannter Name [5][von Ganesha, dem elefantenköpfigen Scherzkeks | |
und naschhaftesten der Top Ten im hinduistischen Pantheon]: Manche | |
Strömungen verehren den Sohn von Shiva und Pavati sogar als höchsten aller | |
Götter. Seine 32 Erscheinungsformen sind für alles zuständig, was Spaß | |
macht und schmeckt. Selbstverständlich gehört zum Tempel auch eine Pantry, | |
um Opfergaben anzurichten, die dann via Durchreiche in den Saal geschoben | |
werden. | |
Ein Besuch im Tempel verhilft zur Einsicht, wie viel Desinteresse man in | |
Deutschland dem Hinduismus entgegenbringt. Beispiel: Die sonnengelben Wände | |
des Zeremoniensaals schließt ein Fries mit 63 Bildern von Heiligen ab. Die | |
haben, wie bei den Katholiken, alle so ihre Attribute, es gibt einen | |
Fischer, einen Töpfer und einen, der ein Messer in der einen, seinen | |
abgetrennten Zopf in der anderen Hand trägt. | |
Sie wären alle leicht zu identifizieren, kennte man die Lebensgeschichten | |
der Nayanmars, die der Dichter Sēkkilān Mādēvadigal Rāmadēva alias | |
[6][Sekkizhar] im 12. Jahrhundert in 4.253 Versen festgehalten hat. Aber | |
der hat auf Deutsch noch nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag. Und sein | |
Buch, „Das Große Puranam“, die jüngste kanonische Schrift des Shivaismus, | |
[7][gibt’s nur als Selbstverlags-Übertragung] einer engagierten | |
Laien-Übersetzung in englische Prosa. Bisschen mehr kulturelle Aneignung | |
täte ganz gut. | |
## Ein farbiger Gruß an Bremen | |
Die rot-weißen Vertikalstreifen der Außenwand dienen vielen modernen | |
Tempeln als optische Signatur. Hier aber verbinden sie traditionelle | |
Farbgebung – es geht bloß um die Sichtbarkeit, nicht etwa um Kasten, | |
versichert der Sprecher der Gemeinde, „[8][das haben wir hier gar nicht]“ �… | |
mit einem Gruß an Bremen: | |
Die Flagge der Freien Hansestadt ist „mindestens achtmal gestreift und mit | |
der den Streifen entsprechenden Zahl abwechselnd roter und weißer Würfel in | |
zwei Reihen gesäumt“, heißt es in der Landesverfassung. | |
Diesen speckwürfeligen Abschluss hat die Gemeinde übernommen, als Zeichen, | |
das leicht zu deuten ist: Man freut sich, heißt es, über Besuch. Genau | |
genommen sollten sich die Gäste zwar vegetarisch ernähren. Aber | |
kontrolliert wird das nicht. | |
11 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Groesster-Hindu-Tempel-Deutschlands/!5366125 | |
[2] http://www.baumann-martin.de/Kamad-Tem.html | |
[3] https://www.dbz.de/artikel/soziales-wohnen-und-kita-im-ellener-hof-bremen-3… | |
[4] https://www.dabonline.de/2023/10/04/barrierefreiheit-oeffentlicher-raum-mas… | |
[5] /Ganesh-Chaturthi-Fest-in-Mumbai/!5959256 | |
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Sekkilhar#cite_note-23 | |
[7] https://books.google.de/books?id=uOqYDwAAQBAJ&hl=de&source=gbs_navl… | |
[8] https://www.find.uzh.ch/de/events/kastenwesen.html | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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