# taz.de -- Mandala-Aktion im Bremer Überseemuseum: Über Mittag im Nirwana | |
> Im Bremer Überseemuseum ist ein Mönch beim Streuen eines Sandmandalas zu | |
> besichtigen. Es ist unerwartet kompliziert, dabei entspannt zuzugucken. | |
Bild: Ein bisschen Geduld braucht man schon: Geshe Lobzang arbeitet an einem Ma… | |
Ein bisschen erschrecken kann man schon, als da plötzlich im düsteren | |
Tunnel der Buddhismus-Ausstellung im Bremer Überseemuseum ein lebendiges | |
Ausstellungsstück hockt. Auf einem kleinen Podest ruht ein Mann in der | |
Gewandung tibetischer Mönche und streut pulverfeinen Sand in knallbunten | |
Farben auf sein stetig dichter werdendes Bild. Dieses dem | |
Shakyamuni-Buddha gewidmete Mandala ist [1][das Highlight in der | |
Sonderausstellung] des Völkerkundemuseums und stellt attraktionsmäßig | |
selbst die hübsche Goldfigur vom Herrn des Todes und das rituelle | |
Hackmesser in den Schatten. | |
Der Mönch heißt Geshe Lobzang Tsewang und kommt ursprünglich aus Tibet, | |
auch wenn er seit ein paar Jahren in einem Kloster im Odenwald residiert. | |
Eine knappe Woche ist er nun in Bremen, um an diesem Mandala zu arbeiten – | |
bis zu acht Stunden am Tag. Im Halbkreis drumherum sitzen ungefähr zehn | |
Menschen auf Klappstühlen und Hockern. | |
Versteckt im Schatten einer Vitrine macht einer ein heimliches Foto mit dem | |
Handy. Vielleicht ahnt er, dass die abschließende Zerstörung des Bilds | |
wesentlicher Teil der Erfahrung ist, und schämt sich, es auf dem Handy zu | |
verewigen? Vielleicht hat er auch Zweifel, ob man Geshe Lobzang Tsewang | |
einfach so abfotografieren darf, nur weil für die anderen Exponate gilt: | |
„Alles, nur kein Stativ und kein Blitz.“ | |
## Angespannte Ruhe | |
Das Publikum wirkt auf angespannte Weise tatenlos. Einer deutet immer | |
wieder entschieden auf den leeren Platz neben sich: ob nun aus Fürsorge, | |
oder weil es so fies knarrt, wenn die Umstehenden das Gewicht von einem | |
aufs andere Bein verlagern. | |
Von all dem unberührt wirkt der Mönch, der da sein Mandala … ja, was | |
eigentlich? Er malt ja nicht. Sagen wir: Er streut sein Bild. Sein | |
Werkzeug, das an eine Muskatnussreibe erinnert, ist tatsächlich ein | |
Chakpur: ein eng zulaufender Metalltrichter, den der Mönch mit dem farbigen | |
Sand füllt, um ihn punkt- oder korngenau auf dem Mandala zu applizieren. | |
Weil er dafür mit einem Stab am Trichter reibt, hallt unentwegt ein | |
raspelndes Geräusch durch die Ausstellung. | |
Für Mönche wie Geshe Lobzang Tsewang ist das Ausstreuen des Bildes eine | |
spirituelle und meditative Angelegenheit, klar. Aber auch bei den | |
Zuschauer:innen soll das Betrachten des Mandalas „Geistesgifte“ | |
neutralisieren, wie zum Beispiel Gier oder Verblendung. | |
Wieder traut sich wer an ein Foto: eine junge Frau diesmal, die betont | |
beiläufig das Smartphone in die Senkrechte hebt und so tut, als würde sie | |
sich eigentlich mit ihrer Begleiterin unterhalten. Sie macht das gut, und | |
ihr Fotografierversuch wäre beinahe unbemerkt geblieben, hätte sich nicht | |
die Fokussierleuchte der Kamera auf der Glatze des Mönchs gespiegelt. Keine | |
Ahnung, ob er’s bemerkt hat. Er lächelt zwar, aber das tut er eigentlich | |
die ganze Zeit. | |
## Witze gegen das Unbehagen | |
Schwierig, diese Szenerie zu sortieren. Was manchen als das Ausstellen | |
exotisierter Menschen vorkommen mag, ist für andere gelebte religiöse | |
Praxis. Tatsächlich sitzen gleich mehrere entrückt lächelnde Personen | |
drumherum, die den Eindruck machen, irgendwie dazuzugehören. Auf einer | |
Tafel nebenan steht, dass Geshe Lobzang Tsewang vom Dalai Lama | |
höchstpersönlich den Auftrag erhalten habe, [2][auch im Westen zu lehren]. | |
Gegen das Unbehagen notiere ich eine scherzhafte Bemerkung über die | |
Tempeltapete hinter dem Podest, die ich schon wenig später nicht mehr | |
lustig finde. Ich komme mir etwas respektlos vor und frage mich kurz, ob | |
nicht vielleicht das Mandala dieses Geistesgift nach oben drückt und ich | |
gerade sozusagen ausschwemme. Obwohl das Ding ja noch nicht mal fertig ist. | |
Man weiß ja nie. Aber wahrscheinlich liegt’s doch an mir, weil die anderen | |
Leute hier solche Probleme offenbar nicht haben: am wenigstens eine | |
mutmaßliche Bremerin, die in Alltagsklamotten den Schauplatz betritt, die | |
Vitrinen links liegen lässt und den seit einer halben Stunde schweigenden | |
Mönch auf rituelle Weise anspricht. Der lächelt und antwortet ähnlich | |
förmlich, bevor die beiden auf Englisch ins Plaudern kommen. Und selbst die | |
reglosen Lächler drumherum wirken ein bisschen überrascht darüber, dass man | |
mit diesem besonderen Exponat sogar reden darf. | |
16 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uebersee-museum.de/veranstaltung/kunstvolles-sakyamuni-sandmand… | |
[2] https://www.ladakh-welfare.org/ | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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