# taz.de -- Rohrpost im Museum: Wie aus dem Blasrohr | |
> Tempo war einst höchstes Ziel des Fortschritts. Dass manches früher aber | |
> schneller ging, ist im Berliner Museum für Kommunikation zu bestaunen. | |
Bild: Zügige Post ist längst Geschichte: Rohrpost im Museum für Kommunikatio… | |
BERLINtaz | Die Kreditkartenabrechnung kam seit ewigen Zeiten pünktlich zum | |
Monatsende: Immer am 29. landete sie zuverlässig im Briefkasten. Seit einem | |
Jahr etwa trudelt der Brief gut eine Woche später ein, mit einer | |
Verlässlichkeit, die die Deutsche Post eben an den Tag legt, wenn nicht | |
mehr täglich zugestellt wird und die gesammelte Briefpost haufenweise | |
einmal die Woche im Briefkasten steckt. | |
Interessanterweise heißt früher manchmal eben auch: schneller. Also ganz | |
früher. Stichwort Rohrpost: eine alte Technologie, die längst aus der Mode | |
gekommen ist, aber lange Zeit für Geschwindigkeit stand und die – da würde | |
es für heutige Leitbilder eigentlich interessant werden – personalarm | |
vonstatten ging. | |
Wie die Rohrpost einst tadellos funktionierte, lässt sich im [1][Museum für | |
Kommunikation Berlin] erleben. Dazu muss man in den Keller des riesigen | |
Gebäudekomplexes hinabsteigen, im Rahmen der monatlich angebotenen | |
Führungen. Die taz bekommt eine Sonderführung von Wenke Wilhelm, Kustodin | |
für Transportgeschichte und Verkehr. | |
Es handelt sich hier um die einzige noch vorhandene [2][Maschinenstation | |
der Stadtrohrpost] in der Hauptstadt. Der Rohrpostkeller hat sozusagen | |
durch einen Zufall die Epochen überlebt. Denn das heutige Museum, zwischen | |
1871 und 1874 gebaut, fungierte bis 1984 nicht nur als Museum, sondern auch | |
als normales Postamt. Schon zu Reichs- und weiter auch zu DDR-Zeiten: Bis | |
1973 haben die Ostberliner:innen von hier aus Rohrpostkarten und | |
Rohrpostbriefe verschickt. Dann wurde die Anlage wie andere auch | |
stillgelegt. Eine Ära war vorüber. Der Rohrpostkeller aber wurde in seinem | |
Zustand gelassen. Bis heute. | |
## Es riecht immer noch nach Öl | |
Als Mitte des 19. Jahrhunderts Telegramme die Kommunikation | |
revolutionierte, blieb die Zustellung per Boten eine eher zeitraubende | |
Angelegenheit. „Das hat einfach zu lange gedauert“, fasst Wenke Wilhelm die | |
Lage von damals zusammen. Die Rohrpost wurde erfunden, in London ging es | |
1853 los, in Berlin 1876. Bis zur Jahrhundertwende wurde das Netz | |
ausgebaut, für den Rohrpostverkehr standen 150 Kilometer Rohr zur | |
Verfügung. Es gab 12 Rohrpostämter in der Stadt. | |
Wie die Sache funktionierte, lässt sich im Rohrpostkeller sehen – und | |
riechen. Hier unten schnuppert es nach Öl, als wären die Maschinen erst vor | |
Kurzem frisch geölt worden. Sind sie aber nicht, sagt Wilhelm, „das ist | |
wohl in den 1980ern zuletzt gemacht worden“. Doch immer noch kommt ab und | |
an ein Tropfen aus den Maschinen. | |
Im Rohrpostkeller stehen zwei mächtige Motoren, weil von hier aus gleich | |
zwei Rohrpostlinien betrieben wurden: die W8 zum Hauptpostamt in der | |
Französischen Straße und die W9 zu einem Postamt am Potsdamer Platz. Aus | |
bekannten Gründen aber – der Mauerbau – war diese Strecke nur bis 1961 in | |
Betrieb. Ein Keller voller Geschichte(n), der in seiner jetzigen Form wohl | |
im Jahr 1949 so eingerichtet wurde. | |
Die Rohrpost arbeitete mit Druckluft, die anfangs mit Dampfmaschinen, | |
später mittels elektrischen Motoren samt Luftverdichter erzeugt wurde. Die | |
schweren gusseisernen Maschinen will man einfach kurz berühren. Sie sind | |
stumme Zeitzeugen einer vergangenen Ära. Früher waren das laute Dinger, die | |
irre starke Schwingungen erzeugten. Darum ruhen die beiden mächtigen | |
Motoren auf sogenannten Federschwingungsdämpfern getrennt vom | |
Bodenfundament, sozusagen „schwebend“, sagt Wilhelm. | |
Sie kann auch erklären, warum es hier unten immer noch nach Öl riecht: Die | |
erzeugte verdichtete Luft war heiß und ölhaltig wegen der geölten | |
Maschinenteile und musste nicht nur gekühlt, sondern auch im Entöler | |
gereinigt werden, damit sich in den Rohren kein Schmutz absetzen und kein | |
Kondenswasser bilden konnte. Sicherungen, Schalter und Messbarometer (teils | |
aus [3][Bakelit], einem frühen Kunststoff) sind auf einer Steinplatte | |
montiert. | |
## Nachricht aus der Büchse | |
Die grau gestrichenen Rohre sind von erstaunlich geringem Umfang, wie man | |
sehen und fühlen kann, wenn man die Hände ums Rohr legt. Es gibt etliche | |
davon im Keller, doch nur zwei dienten dem Transport der Rohrpost vom | |
Sende- zum Empfangsapparat. Man nennt sie „Fahrrohre“, obwohl sie ja | |
eigentlich „Pustrohre“ heißen müssten, funktionierte die Rohrpost doch | |
„nach dem Prinzip Blasrohr“, wie Wenke Wilhelm es dem Laien so schön | |
erklärt. Die anderen Rohre dienten der Luft- und Wasserzufuhr der Anlage. | |
Die Büchsen, in denen die Karten und Briefe steckten, und auch eine Sende- | |
und Empfangsstation sind eine Etage höher im Museum zu sehen. In Vitrinen | |
sind Büchsenvarianten aus verschiedenen Epochen zu sehen; sie wirken trotz | |
ihres Alters irgendwie futuristisch. Rohrpostkarten sind ausgestellt, um | |
1900 kostete der Verschicken einer solchen 25 Pfennig statt 5 mit der | |
normalen Post – ein damals eher teures, dafür schnelles Vergnügen also. | |
Es gibt auch einen Poststempel zu sehen. Das genaue Hinschauen lohnt: Neben | |
dem Datum gibt es eine 10-Minuten-Einstellung. Ja, so oft (und fix) ging | |
damals die Zustellung von Post per Rohr, nicht ein mal am Tag oder gar pro | |
Woche. Nimm das, Deutsche Post! | |
11 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mfk-berlin.de/ | |
[2] https://www.mfk-berlin.de/termine-liste/rohrpost-fuehrung/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Bakelit | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
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