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# taz.de -- Juristin über Bahnstreik: „Streiks müssen wehtun“
> Die Lokführergewerkschaft GDL will wieder streiken. Streikrecht habe
> Vorrang vor Reiseplänen der Bahnkunden, sagt Rechtsprofessorin Lena
> Rudkowski.
Bild: Während des Streiks sicher einfacher zu fotografieren: Ein fahrender ICE…
taz: Frau Rudkowski, die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) [1][will in
dieser Woche streiken, um eine 35-Stunden-Woche durchzusetzen]. Welche
rechtlichen Vorgaben muss die GDL beachten?
Lena Rudkowski: Das Streikrecht ist nicht gesetzlich geregelt. Es gibt nur
Vorgaben der Gerichte, insbesondere des Bundesarbeitsgerichts. Im Kern
verlangt dieses, dass ein Streik verhältnismäßig ist. Das heißt: der Streik
muss erforderlich und angemessen sein.
Was ist besonders, wenn die Deutsche Bahn bestreikt wird?
Der Bahnverkehr gehört wie Krankenhäuser und Kitas zur sogenannten
Daseinsfürsorge. Es wird also nicht die Produktion eines
Industrieunternehmens bestreikt, sondern ein Dienst für die Allgemeinheit.
Wie wird dort die Verhältnismäßigkeit geprüft?
Bei einem Bahnstreik wird das Streikrecht, das im Grundgesetz ja
vorbehaltlos gewährleistet ist, mit verfassungsrechtlichen Positionen der
Bahnkunden abgewogen. Dass Bahnkunden nicht zum eigentlich gewünschten
Zeitpunkt fahren können, ist ein Eingriff in ihre allgemeine
Handlungsfreiheit. Das hat aber keinen Vorrang vor dem Streikrecht, denn
[2][Streiks müssen ja wehtun, sonst wären sie irrelevant].
Bestreikt wird wahrscheinlich auch der Güterverkehr. Wie sieht es hier aus?
Wenn der Güterverkehr zu lange ausfällt und wichtige Rohstoffe oder
Bauteile fehlen, können ganze Branchen lahmgelegt werden. Hier kommt es
sehr auf die Dauer des Streiks an, ob er noch verhältnismäßig ist.
Vermutlich deshalb hat die GDL angekündigt, dass der kommende Streik
maximal fünf Tage dauern soll.
Welche Bedeutung haben Notdienste?
In der Daseinsfürsorge sind Notdienste erforderlich, um ein Mindestmaß an
Leistungen zu gewährleisten. Meist einigen sich Arbeitgeber und
Gewerkschaft geräuschlos auf solche Notdienste oder die Gewerkschaft
richtet sie von sich aus ein. Ob auch im kommenden Bahnstreik der eine oder
andere Zug fahren wird, ist noch offen.
Kann die Bahn vor Gericht klagen, um einen Streik als unverhältnismäßig
verbieten zu lassen?
Grundsätzlich kann sie das. Allerdings ist die Rechtsprechung seit den
nuller Jahren eher gewerkschaftsfreundlich. Früher galt ein Streik als
Ultima Ratio, als letztes Mittel. Heute wird den Gewerkschaften ein
Beurteilungsspielraum zugestanden, wann ein Streik erforderlich und
angemessen ist.
Haben entsprechende Eilanträge der Arbeitgeber also gar keine Chance mehr?
Solche Anträge haben sehr selten Erfolg. Aber es gibt Ausnahmen. 2021
beanstandete das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg einen Warnstreik
in zwei Kliniken, weil kein Notdienst vorgesehen war. Den hat dann das
Gericht angeordnet.
Von konservativer Seite wird oft gefordert, das Streikrecht zumindest im
Bereich der Daseinsfürsorge gesetzlich zu regeln. Wäre das sinnvoll?
Gesetzliche Regelungen haben den Vorteil, dass sie transparenter sind als
reines Richterrecht. Allerdings sind die Interessenunterschiede zwischen
Arbeitgebern und Gewerkschaften im Streikrecht so groß, dass es für den
Gesetzgeber bequemer ist, die Vorgaben auch künftig den Gerichten zu
überlassen. Manche Forderungen, etwa eine Vorwarnpflicht für Streiks in der
Daseinsfürsorge, erfüllen die Gewerkschaften inzwischen meist freiwillig.
[3][Auch die GDL hat den kommenden Streik vorher angekündigt, damit sich
Bahnkunden darauf einstellen können.]
Vorige Woche hat die Deutsche Bahn beim Landesarbeitsgericht Hessen eine
Feststellungsklage erhoben, weil die GDL nicht mehr tariffähig sei. Worum
geht es da?
Die GDL hat voriges Jahr eine Leiharbeitsgenossenschaft namens Fair Train
gegründet, die der Bahn Beschäftigte abwirbt, um sie ihr dann zu besseren
Konditionen auszuleihen. Die Bahn argumentiert nun, dass die GDL damit
selbst Arbeitgeberin sei, daher ein Interessenkonflikt vorliege und sie
deshalb als Gewerkschaft keine Tarifverträge mehr erstreiten könne.
Welche Auswirkungen hat dieser Rechtsstreit auf den kommenden Bahnstreik?
Voraussichtlich hat das keine Auswirkungen. Die Bahn hat keinen Eilantrag
gestellt. Das Verfahren wirft auch viele neue Rechtsfragen auf. Bis über
die Klage der Bahn entschieden ist, kann es noch einige Zeit dauern.
8 Jan 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Christian Rath
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